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Das Nirgendwo ist in Gefahr
Zukunft des Umwelt- und Kulturzentrums in Friedrichshain ungewiss
Vor vielen Jahren war das graue Gebäude mal ein Lokschuppen, von dem aus vermutlich das dahinterliegende Heizkraftwerk am Wriezener Bahnhof - heute ist das der Club Berghain - mit Kohle versorgt wurde. Die durch den Wriezener Park in Berlin-Friedrichshain führenden, stillgelegten Gleise erinnern noch daran. »Dann war hier lange Zeit nur eine Brache, außer dem Berghain-Publikum und Anwohner*innen kam kaum jemand vorbei«, sagt Sarah Nock. Nirgendwo nannte sie deshalb das Umwelt-, Kultur- und Nachbarschaftszentrum, das seit 2013 mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in dem alten Lokschuppen und auf der umliegenden Grünfläche aufgebaut wurde.
Inzwischen ist der Ort zwischen RAW-Gelände, East Side Gallery und dem berühmtesten Techno Club Berlins deutlich belebter und weitläufig begrünt. Die eingezäunte Fläche um den Kieztreff herum ist voller Pflanzen, Sitzgruppen aus Holz und Insektenhäusern. Doch durch die Corona-Pandemie ist die Zukunft des Nirgendwo in Gefahr.
Bislang finanzierte sich das Zentrum unter der Geschäftsführung von Sarah Nock durch die vegane Gastronomie, die als Saisonbetrieb jedoch nur im Sommer und nur im Rahmen von Veranstaltungen geöffnet hatte. Durch die Pandemie brachen sämtliche Einnahmen weg, die Corona-Hilfen reichen gerade so für die laufenden Kosten. Den kleinen Veranstaltungsraum oder das Café unter Pandemie-Bedingungen zu öffnen, hätte sich nicht rentiert. »Ich musste alle Mitarbeitenden, bis auf einen, entlassen und stehe jetzt quasi alleine da«, sagt Nock. Sie selbst hält sich mit einem Nebenjob über Wasser.
Eigentlich will sie, dass Geld und Gewinn im Nirgendwo keine Rolle spielen, sondern nur das, was »der Ort und die Menschen im Kiez brauchen«, im Sinne von Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Stadtnatur. Im Rahmen der Umweltbildung fanden im Frühjahr und Sommer Workshops und Aktionen zum Thema Gärtnern, Upcycling, Permakultur und Artenvielfalt statt. Zusammen mit den Teilnehmer*innen wurden Insektenhotels und Vogelhäuschen gebaut und die Grünfläche gepflegt. Es fanden kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Poetry Slams oder Zirkusshows statt. Auch private Feste wie Hochzeiten und Taufen konnten hier gefeiert werden. »Wir verstehen uns als Plattform und Raum für Angebote der Natur- und Umweltschutzverbände und für die Leute aus der Nachbarschaft«, erklärt Nock. Auch im kommenden Sommer soll es wieder Programm geben.
Aber ohne Geld geht es nicht, wie die Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH nun schmerzlich erfahren musste. Zwar hat das Nirgendwo als Umweltbildungszentrum Bürgermeisterin Clara Hermann (Grüne) auf seiner Seite. Doch Nock bedauert: »Der Bezirk würde uns gerne finanzieren, hat aber die Mittel nicht.«
Vor allem der Kulturbereich bereite ihr Bauchschmerzen. »Ich habe verzweifelt versucht, Projektgelder zu beantragen, aber bin immer gescheitert. Alle Anträge wurden ohne Kommentar abgelehnt«, erzählt sie. Unter anderem für Zirkusshows, Wissenschaftsvarietés und Streamingformate habe sie nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht, ein Antrag habe sie in der Regel eine Woche Arbeit gekostet.
Da die Jurys ihre Entscheidungsgrundlagen nicht mitteilten, wisse sie nicht, was sie falsch mache. »Ich habe keine Chance auf Feedback und brauche dringend Hilfe. Das macht mich richtig wütend«, sagt Nock verzweifelt. Nun versuche sie, in der Wirtschaft Sponsor*innen zu finden, Umweltbildungsworkshops als Firmenevents zu verkaufen, oder Unternehmen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, Sommerfeste anzubieten.
Sie verstehe nicht, dass pandemiebedingt viel Geld in große Konzerne fließe, aber es nicht ausreichend Förderung für kleine gemeinnützige Orte wie das Nirgendwo gebe, bei dem wenig Geld schon sehr viel bewegen könnte, sagt Nock frustriert. Zurzeit werde das Zentrum von Ehrenamtlichen und ehemaligen Mitarbeiter*innen am Leben gehalten. »Hier findet viel wertvolle Arbeit statt, die nicht bezahlt wird, sondern die Leute in ihrer Freizeit machen«, sagt sie. Unter anderem wird Nock von Marek Richter unterstützt, der vor der Pandemie in der Gastronomie arbeitete, sich dem Nirgendwo trotz Entlassung weiter verbunden fühlt und Rundgänge über das Gelände anbietet.
Ihm ist wichtig, dass es in Friedrichshain-Kreuzberg nicht bald überall so aussieht, wie »in diesem klinisch toten Stadtquartier«, sagt er mit Blick auf das nahe gelegene Mercedes-Benz-Quartier, in dem gerade der zukünftige Amazon-Tower gebaut wird. Nock hofft aber auch, dass sich die Unternehmen für ihren Kiez interessieren und in den Einrichtungen der Nachbarschaft engagieren. »Amazon setzt da viel Geld um, die könnten uns ja unterstützen und wir ihnen zeigen, wie sie die Terrassen begrünen«, schlägt sie vor.
Prinzipiell finde sie es verständlich, dass eine Großstadt wie Berlin weiter verdichtet wird. Aber es müsse genug Platz für Grünflächen bleiben. »Stadtnatur ist der Schlüssel für Klimaresistenz und Gesundheitsprävention«, sagt Nock. Sie sei selbst auf dem Land groß geworden und fühle sich verantwortlich dafür, Kindern und Erwachsenen »positive Momente im Umgang mit Flora und Fauna zu vermitteln, weil ich fest daran glaube, dass ein solcher Moment reicht, um Menschen für die Natur zu inspirieren«.
Kunst und Kultur betrachtet Sarah Nock als wichtiges »Vehikel, um diese Themen zu transportieren«. So hätten Musiker*innen bei der Fête de la Musique zum Beispiel den Garten des Nirgendwo als Kulisse genutzt. Auch im gastronomischen Bereich sollen Umwelt- und Nachhaltigkeitswerte vermittelt werden. Das Café habe - als es noch geöffnet war - plastikreduziert und vegan gearbeitet, »weil jedes Leben zählt. Tiere und Pflanzen sind genauso wertvoll wie der Mensch«, sagt Nock. In diesem Sinne würde sie mit dem Nirgendwo gerne weiter für die Natur und die Menschen im Kiez da sein. Ob es eine Zukunft hat, ist aber schwer absehbar. Sarah Nock glaubt an Karma. »Was ich an die Welt sende, resoniert«, erzeugt also ein Echo, ist sie überzeugt. Demnach könnten sich Geldgeber finden.
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