- Berlin
- Impfpflicht für Pflegebeschäftigte
Pflegeeinrichtungen fürchten Notstand
Die Impfpflicht-Einführung für Beschäftigte sorgt für Kritik im Vorfeld ihrer Umsetzung in Berlin
«Wir brauchen eine Verordnung», fordert der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft am Montag im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Warum es noch keine klare Regelung angesichts der in zwei Wochen greifenden Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Berlin gebe, will Düsterhöft wissen. Brandenburg habe diese schließlich bereits am 18. Januar auf den Weg gebracht.
Das bundesweite Gesetz zur Pflicht einer Corona-Schutzimpfung für Beschäftigte zum Beispiel in Kliniken und Pflegeheimen wurde im Dezember letzten Jahres beschlossen. Sie müssen bis zum 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen - oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Die Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter informieren, wenn das nicht geschieht. Diese, so das Gesetz, sollen die Beschäftigung in der Einrichtung untersagen können.
Zur Anhörung im Gesundheitsausschuss sind mehrere Vertreter*innen von Pflege- und Sozialstationen eingeladen, um zu erläutern, wie sich aus ihrer Sicht die Situation darstellt. Denn es gibt bei vielen Anlass zur Befürchtung, dass es mit einer Impfpflicht in der ohnehin schon von Personalnot belasteten Pflegelandschaft zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit kommen wird. Dabei ist in den meisten Krankenhäusern und Pflegeheimen, aber auch bei ambulanten Pflegediensten der Großteil der Beschäftigten geimpft - insgesamt liegt die Quote bei 90 Prozent.
Es gebe zwar «einige Ausreißer nach unten», sagt Bärbel Arwe von der Caritas Altenpflege, die in Berlin acht Seniorenheime und fünf Sozialstationen mit insgesamt 1200 Beschäftigten betreibt. Aber: «Die Impfung gehört nach unserem Verständnis zum Berufsethos», erklärt Arwe. «Wir stehen hinter der Impfstrategie.» Auch in ihren Einrichtungen sind 90 Prozent der Mitarbeiter*innen geimpft. Man habe das Angebot zur Impfung schnell und unkompliziert aufgelegt: «Die Kolleginnen mussten nur den freigemachten Arm zur Verfügung stellen», so Arwe.
Nun stoße man aber trotz umfangreichem Aufklärungsprogramms an Grenzen: «Wir sind jetzt bei den Mitarbeiter*innen angekommen, die sich emotional oder auch aus fachlichen Gründen nicht impfen lassen wollen», schildert die Caritas-Mitarbeiterin das Problem. Wobei sie nicht erklärt, welche fachlichen Gründe das sein könnten, für die es kein ärztliches Attest gäbe. Eine «scharfe Umsetzung» der Impfpflicht führt in Arwes Augen direkt zu «systematischer Überlastung und Versorgungsnotstand», denn dann «stünden uns 120 Personen in der ambulanten Pflege nicht mehr zur Verfügung». Dies alles auf die quarantäne- und krankenstandsbedingten Ausfälle obendrauf, die zusammen bei 30 Prozent liegen.
Für die Klient*innen bedeutet dies: «40 bis 50 Verträge müssten gekündigt werden. Es seien Menschen, die laut Arwe akut keine Alternative hätten: »Da kommt sonst niemand.« Die Mehrbelastung ginge dann auf das Konto der geimpften Beschäftigten - nach zwei Jahren Pandemie. »Die zahlen die Zeche«, schlussfolgert Bärbel Arwe.
Ähnlich dramatisch formuliert es Swantje Kersten, Vorstandsvorsitzende beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe Nordost. »Wenn die Menschen den Beruf verlassen, wird es eine Lücke geben.«
Wer soll diese Lücke füllen, ist die große Frage, die Einrichtungsleiter*innen und Expert*innen umtreibt. Das Impfpflicht-Gesetz gilt bis zum 1. Januar des kommenden Jahres. Für dessen Umsetzung fehle es auch anderweitig an Voraussetzungen, hatte die Spandauer Amtsärztin Gudrun Widders kürzlich kritisiert: »Mit dem Infektionsschutzgesetz werden den Gesundheitsämtern Aufgaben zugedacht, die sie weniger zu fachlich kompetenten Ansprechpartnern und Beratern machen, als zu Vollzugsbehörden.« Wenn Sanktionen für Beschäftigte in Pflege oder im medizinischen Bereich geplant seien, die sich nicht impfen lassen, müssten dafür auch die ordnungsbehördlichen Strukturen geschaffen werden, »die aber nicht Dienststellen der Gesundheitsämter sein sollten«, so Widders weiter. Die Zuständigkeit müsse bei den Arbeitgebern liegen.
»Die Struktur steht«, entgegnet hingegen Ulrike Gote den Kritiker*innen ihres Hauses am Montag. Laut der Gesundheitssenatorin gibt es ein mehrstufiges Verfahren, bis hin zum Verbot für weiterhin Ungeimpfte, Einrichtungen zu betreten. Berücksichtigt werde dabei grundsätzlich, ob in einer Region die Versorgung gefährdet sein könnte. Keine Einrichtung solle schließen müssen. Ein Krisenteam sei extra gegründet worden, dies zu verhindern. »Aber bisher hat das noch niemand in Anspruch genommen, es gibt keine Meldung«, so Gote. Gemeldet werden sollen mögliche Versorgungsengpässe, laut Senatorin, zentral an eine Stelle im Landesamt für Gesundheit und Soziales.
Dies sei bislang alles nicht ausreichend bekannt gemacht worden, zeigt sich SPD-Politiker Düsterhöft weiterhin besorgt. »Wenn die Versorgungssicherheit Vorrang hat, ist es klar, dass es darauf hinausläuft, dass die Impfpflicht nicht umgesetzt wird. Man wird es am Ende des Tages nicht hinbekommen, diese Impfpflicht durchzusetzen«, befürchtet Düsterhöft.
Auch Stefanie Fuchs von der Linksfraktion reichen die Ausführungen nicht: »Die Einrichtungen hängen maximal in der Luft, ich bin ein wenig erschüttert.« 14 Tage seien nicht mehr viel Zeit, um die Informationen zielgerichtet durchzugeben.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!