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Ukraine bald EU-Mitglied?
Kommissionspräsidentin macht Kiew Offerte und schießt Sputnik und RT ab
Im Krieg fallen bekanntlich alle Hemmungen und Grenzen. Was lange Zeit undenkbar schien, wird plötzlich laut gedacht: auch ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine. So erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag gegenüber dem TV-Sender Euronews, sie könne sich einen solchen Beitritt vorstellen. »Wir wollen sie drin haben«, betonte die Präsidentin mit Blick auf die Ukraine. Die Botschaft kam an, denn am Montag erfolgte der Antrag des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Videobotschaft: »Wir bitten die Europäische Union um den sofortigen Beitritt der Ukraine im Rahmen eines Sonderverfahrens.« Sein Ministerpräsident Denis Shmyhal ergänzte via Twitter: »Die Ukrainer haben schon lange bewiesen, dass wir ein integraler Bestandteil der europäischen Gemeinschaft sind. Jetzt ist es an der Zeit, dies zu Papier zu bringen.«
Ein solches Sonderverfahren gibt es bislang nicht. Ebenso wenig wie einen offiziellen Antrag des Landes. EU-Beitrittskandidaten müssen sich einem jahrelangen Beitrittsprozess unterziehen. Zudem müssen sie die Werte der EU achten, also Menschenwürde, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Gerade hier hapert es bei der Ukraine, in der einige mächtige Oligarchen die Kontrolle haben. Der aktuelle Präsident Selenskyi gilt als Kandidat des Oligarchen Ihor Kolomoiski, für dessen Fernsehsender er auch tätig war.
Erst im September urteilte der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht zur Ukraine: »Großkorruption und eine Vereinnahmung des Staates im Sinne privater Interessen sind in der Ukraine immer noch weit verbreitet.« Die EU-Kommission dämpfte am Montag auch gleich die Euphorie und erklärte, die endgültige Entscheidung liege bei den Mitgliedsstaaten. Von der Leyens Einladung an die Ukraine fällt also in die Rubrik Solidaritätsbekundung.
Dabei hatte Brüssel schon einmal versucht, die Ukraine an die EU zu binden: mit desaströsen Konsequenzen. Das EU-Assoziierungsabkommen enthielt viele Passagen, die Kritiker*innen als »Unterwerfung« werteten. Der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch weigerte sich, das Abkommen zu unterzeichnen. Die darauf folgenden Proteste »pro-europäischer Kräfte« führten zu seinem Sturz und in den Bürgerkrieg. Erst nach Janukowitschs Flucht konnte das Abkommen ratifiziert werden.
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Die Sache mit dem Beitritt war also eine Luftnummer, Fake News könnte man meinen. Ziemlich ernst hingegen ist es der Kommission mit dem Verbot von Propagandasendern. Im Kampf um die Deutungshoheit will die EU-Kommission die russische Propaganda-Konkurrenz mundtot machen und die TV-Kanäle von Russia Today und Sputnik verbieten. »Sie sollen nicht länger in der Lage sein, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen«, erklärte von der Leyen am Sonntagabend. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gab sich kämpferisch: »Wir unternehmen einen entscheidenden Schritt, um der russischen Informationsmanipulation den Hahn zuzudrehen.« Unterstützung kommt von der Vereinigung der Europajournalistinnen und Europajournalisten (AEJ), die bereits am Freitag ein EU-weites Verbot von »Russia Today« gefordert hatte. »RT« spiele eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung von Lügen und Fake News, hieß es in einer Stellungnahme von AEJ-Generalsekretär Edward Steen in Bezug auf den russischen Einmarsch in der Ukraine. RT versuche, so die AEJ, »die westlichen Demokratien zu schwächen, denen die Ukraine beitreten möchte«.
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Doch wie will die EU die Sender eigentlich verbieten? Da blieben Borrell und die Kommissionspräsidentin vage: »Wir entwickeln gerade Instrumente, um deren toxische und gefährliche Desinformation in Europa zu unterbinden«, so von der Leyen mit Blick auf Russia Today und Sputnik, die als Propagandasender des Kremls gelten. Letztlich könnte es auf die Sperrung von Kabelnetzen und Satellitenfernsehdiensten hinauslaufen, wie das Tech-Magazin »The Verge« vermutet.
Vorbild könnte hier Österreich sein, wo der Kabel-TV-Konzern Telekom Magenta am Sonntag erklärte, man werde RT aus dem Programm nehmen. Die polnischen Behörden hatten bereits am Donnerstag die Ausstrahlung einer Reihe russischer TV-Sender verboten, darunter Rossija 24 und RT. Und in Deutschland wurde RT bereits vor einigen Wochen aufgefordert, den Sendebetrieb einzustellen, weil die medienrechtliche Zulassung in Form einer Sendelizenz fehlen würde. Das galt nicht nur für die Satellitenausstrahlung, sondern auch für die Livestreams im Internet.
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