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- Frauentag 8. März
Nicht nur Pille, bitte
Die Hormonstörung PCOS ist weit verbreitet – und eher unbekannt
Den Moment bei der Frauenärztin, beide Beine weit gespreizt und eines der intimsten Körperteile entblößt, den fand ich schon immer etwas unangenehm, besonders als Jugendliche. Als ich 18 Jahre alt war, war ich mal wieder in genau dieser unangenehmen Situation. Seit vier Monaten war meine Periode ausgeblieben, an den Besuch bei der Gynäkologin führte kein Weg mehr vorbei. »Kein Wunder kriegen Sie ihre Periode nicht mehr, Sie sind viel zu dünn«, quäkte mich die Ärztin an. »Kriegen Sie besser jetzt Kinder, sonst wird das nichts mehr.« Ich war geschockt. Laut BMI war ich weder unter-, noch übergewichtig. Ich war gerade dabei das Abitur zu machen. Ein Kind zu bekommen kam mir in diesem Lebensabschnitt unpassend vor. Damit ich wieder eine Blutung bekomme, bekam ich ein Rezept für die Pille in die Hand gedrückt. Ich war irritiert.
Nach etwa eineinhalb Jahren war ich von den starken Nebenwirkungen der Pille genervt und hatte sieben Kilo mehr auf der Waage. Ich wollte endlich wissen, was für eine Zyklusstörung ich hatte und beantragte bei meiner Gynäkologin meine Patientinnenakte, um die Praxis zu wechseln. Da stand es dann ganz fett auf dem Befund: polyzystisches Ovarialsyndrom, kurz PCOS. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Nach Recherche, Arztbesuchen und einem Termin in der sogenannten »Kinderwunschabteilung« eines Universitätsklinikums begann ich zu verstehen, was da alles dranhängt: PCOS ist eine Hormonstörung, die schätzungsweise fünf bis zehn Prozent aller cis Frauen im gebärfähigen Alter haben. Gesprochen wird darüber kaum, vielleicht auch weil die Symptome nicht ins gängige Repertoire eines Small Talks passen: Pickel, fettige Haut, zu wenig Haare auf dem Kopf, dafür zu viele am Körper und im Gesicht, Gewichtszunahme, einen seltenen Eisprung und somit unter Umständen auch Unfruchtbarkeit.
Die medizinische Erklärung ist komplex. Männliche Hormone werden in den Eierstöcken überproduziert, deshalb kommt es verzögert oder gar nicht zur Eizellreifung, was sich wiederum auf den Eisprung auswirkt. Außerdem gibt es einen ganzen Pool an Begleiterscheinungen wie beispielsweise Schilddrüsenunterfunktion oder Insulinresistenz, was sich wiederum auf das Körpergewicht auswirkt. Viele von PCOS betroffene Frauen sind deshalb übergewichtig. Ich bin nicht übergewichtig, muss aber ständig auf meine Ernährung achten. Medizinische Beratung zu bekommen ist schwierig. Das verwundert mich immer wieder aufs Neue. Von allen Gynäkologinnen, bei denen ich bisher wegen PCOS war, habe ich ein Pillenrezept in die Hand gedrückt bekommen. Mehr könne man eben nicht machen. Und das, obwohl ich jedes Mal betont habe, dass ich die Antibabypille nicht vertrage. Wie mir geht es vielen anderen jungen Frauen. In den letzten Jahren hat die Zahl an Onlineforen oder PCOS-Bloggerinnen enorm zugenommen. Betroffene beraten sich gegenseitig und teilen ihr Wissen. Für stolze Preise werden Seminare und E-Books angepriesen, geschrieben von Betroffenen meist ohne medizinische Ausbildung.
Ich wundere mich sehr, wie wenig diese weit verbreitete Frauenkrankheit von unserem Gesundheitssystem beachtet wird, dann aber von Geschäftsfindigen als Einkommensquelle umfunktioniert wird. Mit einer Ernährungsumstellung und einigem Wissen über PCOS lässt sich die Intensität mindern. Deswegen finde ich, dass jede Betroffene als Krankenkassenleistung ein Anrecht auf Informationen haben sollte und darauf, mehr als nur ein Pillenrezept in die Hand gedrückt zu bekommen.
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