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Zwischen Revolution und Realpolitik
Ein Plädoyer von Kristina Lunz für eine feministische Außenpolitik
Feministische Außenpolitik – was ist das denn? Dies mögen sich viele gefragt haben, als vor über einem Jahr dieser Begriff in der Koalitionsvereinbarung der Ampel-Regierung fixiert wurde. Wer die 177 Seiten »Für die Zukunft« damals nicht studiert hat, mag sich diese Frage vor knapp einer Woche gestellt haben, als Außenministierin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze Leitlinien einer ihnen vorschwebenden feministischen Außenpolitik vorstellten. »Wir rufen hier heute nicht eine Revolution aus«, verkündete Deutschlands Chefdiplomatin – was sie nicht explizit hätte betonen müssen, da dies von der Grünen-Politikerin eh niemand erwartet hätte. Es gehe um die Stärkung von Frauenrechten und der gesellschaftlichen Stellung von Frauen weltweit, erklärten die beiden. Wenn Frauen in Parlamenten, Regierungen und in der Diplomatie stärker vertreten seien, würde die Welt gerechter, friedlicher und humaner sein. Das klingt schön, aber auch etwas naiv.
Man braucht nur einen Blick zurück in die jüngste Vergangenheit zu werfen. Es war eine Frau, die eiskalt meinte, das Embargo gegen den Irak, das einer halben Million irakische Kinder das Leben kostete, sei den Preis (Schwächung des Regimes von Saddam Hussein) wert gewesen. So die US-Außenministerin Madeleine Albright 1996 in einem Fernsehinterview. Später nannte sie diese Äußerung zwar einen Fehler, die toten Kinder wurden dadurch nicht wieder zum Leben erweckt. Oder die »Eiserne Lady« von Großbritannien, die nicht nur mit mörderischen Regimen wie der Roten Khmer unter Pol Pot in Kambodscha oder der Militärjunta von Augusto Pinochet in Chile kollaborierte, sondern auch die Rückereroberung einer kleinen Inselgruppe im südlichen Atlantik durchpeitschte. Der sinnlose Falklandkrieg 1982 kostete 900 Tote auf britischer und argentinischer Seite. Oder die Frauen der Diktatoren, ob in Europa, Asien oder Afrika, die ihren Männern in Machtgier und Machtmissbrauch, Gefühllosigkeit und Grausamkeit gegenüber dem eigenen Volk wie auch anderen Völkern kaum nachstanden, etwa Elena Ceaușescu (Rumänien) oder Imelda Marcos (Philippinen).
Man möchte Kristina Lunz, Jahrgang 1989, unterstellen, dass sie dies weiß. Sie konnte für ihr Buch namhafte Geleitwortautorinnen gewinnen: die Britin Madeleine Rees, Generalsekretärin der Women’s International Leage for Peace and Freedom, die zuvor über zehn Jahre als Gleichstellungs-Expertin beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte tätig war, bevor Männer sie rüde wegmobbten, sowie die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström, die den Begriff »feministische Außenpolitik« prägte. Die den Fußspuren des Entspannungspolitikers Olof Palme folgende Sozialdemokratin, die sich für das Verbot aller Kernwaffen sowie in der Me-Too-Bewegung engagierte, ist ebenfalls mehr oder weniger unsanft zum Rücktritt gezwungen worden.
Es ist schon ein Ritterschlag, wenn man als junge Frau von zwei solch gestanden, erfahrenen Streiterinnen für Frauenrechte als »eine bemerkenswert mutige Denkerin«, »hart arbeitend, empathisch, zielstrebig« gewürdigt wird. Tatsächlich hat Kristina Lunz in ihrem jungen Leben schon viel geleistet, unter anderem für die Uno in Myanmar und für eine NGO in Kolumbien gearbeitet, als Aktivistin von »Nein heißt Nein!« eine Änderung des Sexualstrafrechts hierzulande erstritten und ein Centre for Feminist Foreign Policy gegründet. Von »Forbes« bis »Focus« wurde sie zu den einflussreichsten Vordenkerinnen unter 30 geadelt. Man darf davon ausgehen, dass Kristina Lunz als zeitweilige Beraterin des Berliner Auswärtigen Amtes maßgeblich die Verpflichtung der Rot-Grün-Gelben Bundesregierung zu feministischer Außenpolitik mit angestoßen hat.
Bekanntlich reicht Bekenntnis nicht. Auf die Praktizierung kommt es an. Baerbock hat am 1. März schon mal einschränkend erwähnt, feministische Außenpolitik unter ihrer Ägide werde sich an Realpolitik orientieren. Was das bedeutet, weiß man. Die kühnsten Visionen nützen nix, wenn sie dann angeblichen Sachzwängen unterworfen werden. Baerbock räumte ein: »Wir sind nicht naiv. Wir werden mit einer feministischen Außenpolitik nicht alle Probleme dieser Welt lösen können.«
Kristina Lunz hat keine Scheu zu gestehen, naiv gestartet zu sein. »Naivität hilft. Manchmal ist sie gar ein Segen«, schreibt sie. Und meint damit ihre Kühnheit, eine Kampagne gegen Sexismus und die Degradierung von Frauen in der »BILD«-Zeitung entfacht zu haben: »Ich hatte keine Ahnung, dass Frauen in der Öffentlichkeit – vor allem, wenn sie den Status quo kritisieren – mit extremem Hass und Gewalt konfrontiert werden.« Die damalige Stipendiatin in London hatte einen offenen Brief an den Chefredakteur der »BILD« geschrieben: »Frauen sind nicht die Lustobjekte einer Gesellschaft!« Und wurde daraufhin von einem selbstgefälligen Kai Diekmann verhöhnt und verspottet. Ihre Petition erzielte jedoch innerhalb kürzester Zeit 60 000 Unterschriften. Diese Erfahrung nennt Kristina Lunz ihr feministisches Erwachen.
Die in Oberfranken aufgewachsene Tochter einer Erzieherin und eines Elektrikers hat eine behütete Kindheit genossen, bemerkte aber auch früh, dass alle Machtpositionen in ihrer Gemeinde, »Pfarrer, Wirtshausbesitzer, Sportvorstände, Bürgermeister, Landarzt oder Fahrschullehrer«, von Männern besetzt waren. Ihnen sei großer Respekt entgegengebracht worden. »Gleichzeitig waren einige davon mir und anderen jungen Frauen gegenüber übergriffig und respektlos.« Frühe Prägungen, die ihren leidenschaftlichen Einsatz gegen jegliche Gewalt sowie für Gleichstellung und Gerechtigkeit begründen. Und dies nicht nur im nationalen Rahmen, sondern auf internationaler Bühne. Männlichen Machtgebaren und militärischen Muskelspielen will sie feministische Macht und Mediation entgegensetzen. »Kein Frieden ohne Feminismus«, ist Kristina Lunz überzeugt.
Als Vorreiter Schweden 2014 deklarierte, künftig eine feministische Außenpolitik zu betreiben, war von einer »3R«-Formel die Rede: Rechte von Frauen weltweit stärken, deren Repräsentation in der Politik erhöhen und Ressourcen gezielt zur Verbesserung der Lage von Frauen global einsetzen, wozu vor allem Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung gehören, aber auch Kredite oder die Versorgung mit ein Stück Land. In den meisten Regionen der Welt schultern Frauen die Hauptlast täglicher Überlebensmüh. In Kriegen sind sie und ihre Kinder schutzlos brutalster Gewalt ausgeliefert. Sie vorbehaltlos zu unterstützen und zu beschützen, sollte selbstverständlich sein.
Bedarf es hierfür eines besonderen Adjektivs? Wie steht feministische Außenpolitik generell zu der ausgebeuteten, diskriminierten, entrechteten, gedemütigten, geknechteten übergroßen Mehrheit der Menschheit, die nicht nur weiblichen Geschlechts ist? Verfechter feministischer Außenpolitik verstehen sich auch als deren Anwälte. Warum dann aber die begriffliche Eingrenzung? Es gibt das schöne Wort Humanismus. Und pazifistische Außenpolitik klingt ebenso sehr sympathisch.
Offenbar kennt Kristina Lunz solche Bedenken. Sie verteidigt in ihrem Buch Feminismus als den »richtigen Begriff«: »Denn für mich ist Feminismus ein Sammelbegriff für Theorien und Bewegungen, die politische Organisierung und Aktivismus fordern und antreiben … Er artikuliert Utopien und Visionen für eine gleichberechtigte und gerechte Gesellschaft, in der alle Menschen frei von Unterdrückung, Marginalisierung und Ausgrenzung leben. Dazu gehört ein Ende von Ungerechtigkeiten und Machthierarchien, inklusive Sexismus, Rassismus, Kolonialismus und Klassismus.«
Die Autorin konzediert, dass auch die feministische Bewegung egoistische, engstirnige Zeiten kannte, etwa als für das Frauenwahlrecht gekämpft wurde und Women of Colour ausgeschlossen blieben. »Doch der Feminismus heute hat sich weiterentwickelt und schließt nun alle Formen der Unterdrückung und Marginalisierung mit ein.« Dies würde für den Humanismus nicht gelten. Einwenden könnte man hier, dass wie der noch relativ junge Feminismus der wesentlich früher die geschichtliche Arena betretene Humanismus sich weiter entwickelt hat. Dies offenbart etwa ein Vergleich zwischen der Frauen und Sklaven noch ausschließenden Bill of Rights von 1776 der nordamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer, der Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen der französischen Revolutionäre von 1789 sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948.
Kristina Lunz hat es sich nicht leicht gemacht. Sie unterfüttert ihre Streitschrift mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Diskursen. »Intersektionalität« nennt sie »ein Kernelement des Feminismus, wie ich ihn verstehe und praktiziere«. Dieser Ende der 80er Jahre von der Schwarzen Juraprofessorin Kimberlé Crenshaw eingeführte Begriff sei dienlich, Nuancen genauer zu sehen und zu verstehen. »Weiße, europäische Männer aus der Oberschicht dominieren über nicht weiße Männer der Arbeiterschicht. Heterosexuelle Männer genießen mehr gesellschaftliche Privilegien als homosexuelle Männer … Doch was im Großen und Ganzen historisch gesehen, all diese Männer in unseren patriarchalen Gesellschaften eint: Sie dominieren über die Frauen in ihrem Umfeld. In der Familie. Im Staat.« Und mehr noch: »Die patriarchale Gesellschaftsordnung entscheidet über Krieg und Frieden.« Dem ist zuzustimmen, mit der Anmerkung, dass sich auch Außen- und Premierministerinnen als schlimme Kriegstreiber erwiesen haben. Siehe oben. Und es dürfte auch niemandem entgangen sein, dass sich Baerbock verbal militanter gebärt als der Kanzler, der gerade im Ukraine-Krieg wiederholt »Sorfgalt statt Schnellschuss« angemahnt hat. Und dass auch Feministen nicht immer gewaltfrei agieren, bewiesen die englischen Suffragetten vor dem Ersten Weltkrieg.
»Vulnerabilität« ist ein weiterer, von der Autorin benutzter Begriff aus der Wissenschaft, ebenfalls Ende der 80er Jahre aufgekommen. Er bezeichnet eine Verwundbarkeit und Verletzlichkeit, Unsicherheit und Schutzlosigkeit von Bevölkerungsgruppen, die in bestimmten gesellschaftlichen Ausnahmezuständen besonderen Stressfaktoren ausgesetzt sind, die sie selbst nicht zu bewältigen vermögen, weshalb sie auf externe Hilfeleistungen angewiesen sind. Beispielsweise Hungerkatastrophen. Es wäre wahrlich ein Verdienst feministischer Außenpolitik, wenn diese solche vorbeugen könnte, statt – wie bisher – erst eingreift, wenn die Not unübersehbar ist. Dann dürfte sich auch der Streit über Etikettierungen erledigen.
Das ziemlich akademisch gehaltene Buch von Kristina Lunz wird durch Kurzporträts von Feministinnen aufgelockert. Interessant auch der Exkurs über Frauen in der Diplomatie nach jahrelanger Abwesenheit, Ausgrenzung. Kristina Lunz erinnert unter anderem an die aus einer Arbeiterfamilie stammenden Änne Kundermann, die 1950 die Leitung der Diplomatischen Mission der DDR in der Volksrepublik Bulgarien übernahm und damit die erste deutsche Botschafterin war. Die Bundesrepublik zog erst 1969 nach mit der Ernennung der aus einer adligen Familie stammenden Ellinor von Puttkamer als Leiterin ihrer Ständige Vertretung beim Europarat in Straßburg.
Kristina Lunz hat ein anspruchsvolles und anregendes Buch verfasst, über das es sich zu diskutieren lohnt. Offenbar ist es auch groß gefragt, kommt es doch in diesem Monat bereits in zweiter Auflage heraus.
Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Ullstein, 448 S., geb., 22,99 €.
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