Ferat Koçak: »Klimabewegung muss sich reflektieren«

Ferat Koçak (Linke) wirft Fridays for Future vor, ihn zum Schweigen gebracht zu haben

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Koçak, Fridays for Future hat am Donnerstag in Berlin für den Frieden in der Ukraine demonstriert. Sie sollten auf der Demonstration eine Rede zum Thema Rassismus halten, wurden aber kurz vorher von der Bühne geholt - mit Verweis auf ein Video, in dem Sie die Nato kritisiert haben. Wie kam es dazu?

Erst mal wurde ich schon einige Tage vorher angefragt, ob ich als Aktivist über Rassismus reden möchte und habe zugesagt. Wir haben die genauen Themen abgesprochen: Krieg, Aufrüstung, Rassismus - was die Nato angeht, wollte ich mich zurückhalten. Dann habe ich am Donnerstag getwittert, dass ich jetzt gleich auf der Demo reden werde. Als ich schon allen »Hallo« gesagt hatte und gerade auf die Bühne gehen wollte, kam die einzige nicht-weiße Person im Umkreis zu mir und sagte, ich dürfe doch nicht reden, weil einige Aktivist*innen Bauchschmerzen hätten wegen meines Videos zur Nato. Dabei wollte ich gar nicht über die Nato reden - das war alles abgesprochen!

Interview

Ferat Koçak ist Sprecher für Antifaschismus und Klimapolitik der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. Nach dem Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine teilte er auf Twitter ein Video, in dem er unter anderem »den Rückzug der Nato aus Osteuropa und ein Ende aller Rüstungsexporte« fordert. Mit ihm sprach Louisa Theresa Braun.

Worum sollte es in der Rede gehen?

Zuerst hätte ich gesagt: »Fuck Putin, verpiss dich aus der Ukraine!« Und dann, dass die Politik für Frieden sorgen muss und die geplanten Ausgaben für Aufrüstung besser für Klimaschutz zu gebrauchen wären. Dass das Militär auch extrem klimaschädlich ist. Einen kleinen Verweis auf Kurdistan und die Türkei hätte ich mir als Kurde natürlich nicht nehmen lassen. Schließlich hätte ich die rassistischen Grenzkontrollen kommentiert: dass Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine von der Polizei aus den Zügen geholt wurden. Und natürlich wäre ich bei »System Change« (»Systemwandel«) rausgekommen. Ich habe die Rede hinterher im Video aufgenommen und man kann sie sich jetzt auf Instagram ansehen.

Wie fühlen Sie sich nach dieser plötzlichen Absage und wie ging es dann weiter?

Dass mir das erst gesagt wurde, kurz bevor ich auf die Bühne sollte, war schon ein Schlag ins Gesicht. Ich bin eigentlich jemand, der Verständnis hat für die Fridays for Future-Aktivist*innen, obwohl ich weiß, dass sich viele BIPoC, also nicht-weiße Menschen, bei ihnen nicht zu Hause fühlen. Aber dieses Vorgehen war schon hart und hat mich emotional getroffen. In der Zwischenzeit haben wir das aber solidarisch geklärt. Fridays for Future hat sich bei mir entschuldigt, das Video mit meiner Rede geteilt und ich werde sie auch beim globalen Klimastreik am 25. März unterstützen. Der gemeinsame Kampf steht im Vordergrund. Trotzdem sehe ich in dem Vorfall ein gesamtgesellschaftliches Problem, das sich nicht nur in der Klimabewegung widerspiegelt.

Fridays for Future wird häufig dafür kritisiert, eine sehr weiße Bewegung zu sein. Sie sagen sogar BIPoC würden bei den Fridays nur akzeptiert, solange sie nicht aus der Reihe tanzen.

Ich streite mich gerade mit Leuten darüber, ob das »nur« Silencing war - also ein »zum Schweigen bringen« - oder schon Rassismus. Ich denke, ich wurde eingeladen, um Vielfalt nach außen zu transportieren, was ich immer gerne mache. Und ich finde, wenn ich dann gesilenced werden, ist das schon Rassismus. Dasselbe ist dem Rapper Chefket auch passiert, der wurde von den Fridays auch schon zum Klimastreik erst ein- und dann wieder ausgeladen. Ich erlebe so oft, dass man versucht, uns BIPoC auf Linie zu pressen, nicht nur in der Klimabewegung. In Kreuzberg wurden gerade die Gesichter der Opfer des rassistischen Terroranschlags in Hanau mit Ukraine-Flaggen überklebt. Da klebt jetzt die eine Solidarität über der anderen!

Wie könnten denn Kämpfe für Klimagerechtigkeit und gegen Rassismus Ihrer Ansicht nach besser zusammengeführt werden?

Die weiße Klimagerechtigkeitsbewegung muss sich selbst reflektieren. Wir brauchen Aktionen, die über den Tellerrand schauen, sowohl in den Globalen Süden als auch in die Berliner Bezirke, in denen viele BIPoC leben. Dann müssen wir schauen, wo es Überschneidungen gibt. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, sind in der Regel erst mal Antirassismus-Aktivist*innen, weil das für sie überlebenswichtig ist. Die einen sind in der Gesellschaft schlechter gestellt als die anderen. Aber Schnittmengen sehe ich auf jeden Fall bei den Repressionen, die sowohl Klimagerechtigkeits- als auch Antirassismus-Aktivist*innen erfahren. Daran kann man gemeinsam arbeiten, um sich gegenseitig zu stärken und langfristig besser zu mischen.

Noch mal zurück zum Streitthema Nato: Auf Twitter wurde Ihnen »Wagenknecht-Rhetorik« vorgeworfen. Sahra Wagenknecht hat mit einigen anderen Linke-Abgeordneten kürzlich eine Erklärung vorgelegt, in der sowohl Waffenlieferungen als auch Sanktionen gegen Russland kritisiert werden. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin definitiv kein Wagenknecht-Fanboy! Wir müssen auf alle Fälle Putin zurechtweisen, aber auch den Protest gegen Putin innerhalb Russlands stärken. Ihnen dürfen wir nicht das Leben schwer machen. Sanktionen müssen die Reichen treffen, die Oligarchen, nicht die Bevölkerung. Und wir dürfen nicht in eine Aufrüstungsspirale geraten, das sollte für Linke eigentlich klar sein. Die Nato hat monatelang Militärübungen in Osteuropa durchgeführt, bevor Putin den Krieg begonnen hat. Jetzt fahren auch Nazis in die Ukraine, die am Ende von unseren Waffenlieferungen profitieren.

Vielleicht war der Zeitpunkt gerade nicht so cool, um ein Video über diese Kehrseite der Medaille zu machen. Nur den Aggressor zu sehen, scheint im ersten Moment richtig zu sein. Aber wir müssen das ganze Bild sehen, sonst landen wir in einem Ost-West-/Gut-Böse-Schema. Das hatten wir schon mal und waren kurz vor einem Atomkrieg. Das müssen wir verhindern.

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