- Politik
- Ukraine-Krieg
Vorerst keine Nato-Kampfjets für die Ukraine
Washington fädelte Rüstungsdeal über eine Air Base in Deutschland ein – in letzter Minute wurde eine Eskalation der Lage verhindert
»Die Behörden der Republik Polen sind nach Konsultationen mit dem Präsidenten und der Regierung der Republik Polen bereit, alle ihre MiG-29-Flugzeuge unverzüglich und kostenlos auf die Basis in Ramstein zu verlegen und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Verfügung zu stellen.« Die Verlautbarung des polnischen Außenministers Zbigniew Rau ging am Dienstagabend als Eilmeldung durch internationale Medien.
Bereits vor gut einer Woche hieß es in Kiew, dass drei EU-Staaten einst in der Sowjetunion hergestellte Kampfflugzeuge in die Ukraine liefern werden. Sogar Zahlen gab es: Zwölf MiG-29 sollten aus der Slowakei kommen, 16 MiG-29 und 14 Su-25-Jagdbomber wollte Bulgarien angeblich spenden, 28 MiGs kämen aus Polen. Dazu gab es Meldungen, laut denen ukrainische Piloten bereits in Polen eingetroffen seien, um Flugzeuge zu übernehmen. Radarbilder bestätigten die Landung von drei ukrainischen IL-76-Transportflugzeugen, die angeblich Waffen und Gerät abholten. So schien sich zu bestätigen, was der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits eine Woche zuvor kundtat: »Kiew ist auf uns zugekommen und hat gesagt, dass sie Kampfjets von Typen brauchen, die die Piloten der ukrainischen Luftwaffe bedienen können«, sagte er und verstieg sich sogar auf 70 Maschinen, die bilateral von einzelnen EU- und Nato-Mitgliedstaaten geliefert würden. Dann herrschte Schweigen.
Bis zum Sonntag. Der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, verkündete, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe am Samstag bei einem Telefonat mit Mitgliedern des US-Kongresses darum gebeten, die Übergabe der Jets durch osteuropäische Nato-Verbündete zu erleichtern. Gleichfalls am Sonntag forderte US-Außenminister Antony Blinken Polens Regierung sehr deutlich zur Herausgabe der MiGs auf, als er verkündete: »Wir befassen uns derzeit aktiv mit der Frage der Flugzeuge, die Polen der Ukraine zur Verfügung stellen könnte, und wir prüfen, wie wir diese Flugzeuge aufstocken könnten.« In der CBS-Sendung »Face the Nation« gab Blinken ausdrücklich »grünes Licht« für den Transfer.
Polen schien irritiert. Umgehend bezeichnete die Kanzlei des polnischen Premiers alle Meldungen, wonach Polen MiG-Jets im Tausch gegen F-16 aus den USA abgeben wolle, als Fake News. Noch am Dienstagnachmittag dementierte die Regierung, man wolle MiG-29 an die Ukraine übergeben.
Am Dienstagabend dann die Kehrtwende, die ohne entsprechende Signale aus Washington undenkbar ist. Und die löste wiederum in Washington Hektik aus. Aus Blinkens Außenamt und dem Pentagon kamen Erklärungen, in denen »Polens Idee« als undurchführbar abgelehnt wurde. Warum platze der Deal in letzter Minute? Denkbar jedoch ist ein Einspruch anderer Nato-Mitglieder. Denn die Lieferung der MiGs – selbst wenn sie über den Umweg US-Basis Ramstein gelaufen wäre – hätte Polen noch deutlicher als Kriegspartei erscheinen lassen und Moskau zu einem Angriff animieren können. Selbst wenn der »nur« im Cyberraum erfolgt wäre, hätte der Beistandsartikel 5 der Nato gegriffen. Ergebnis? Europa hätte sich in einen größeren Krieg zwischen der Atommacht Russland und der gleichfalls nuklear ausgestatteten Nato hineinmanövriert.
Auch wenn der Deal (vorerst) geplatzt ist, ergeben sich Fragen. Polen verfügt derzeit über rund drei Dutzend F-16 sowie 28 MiG-29. 22 davon stammen aus NVA-Beständen, die gehörten dann der Bundeswehr und wurden 2003 an Polen übergeben. Ganz gewiss nicht, ohne eine mögliche Weitergabe der Maschinen juristisch zu regeln. Was wusste man in Berlin von dem Ukraine-Deal, der über einen US-Stützpunkt in Rheinland-Pfalz abgewickelt werden sollte?
Zu fragen ist auch nach dem militärischen Sinn einer solchen MiG-Lieferung. Die ukrainische Luftwaffe ist samt peripherer Technik zerstört, Russland hat zumindest bis zum Dnipro die Lufthoheit. Selbst wenn man inzwischen in den USA und der Nato anfängliche Zweifel zur Durchhaltefähigkeit der ukrainischen Armee überwunden hat, ergeben sich technische Probleme. Die »Nato-MiGs« wurden auf westlichen Standard gebracht. Sie besitzen eine andere Avionik und eine für ukrainische Piloten fremde Elektronik. Die sichert unter anderem eine Echtzeitverbindung zu Nato-Führungs- und Aufklärungsmitteln, beispielsweise den fliegenden AWACS-Gefechtsständen, die aktuell im ständigen Einsatz über Polen sind. Sollte AWACS womöglich zerstörte ukrainische Anlagen ersetzen, und als neue Leitzentrale für neue Kampfjets genutzt werden? Noch ist das eine Vermutung – die im Bundestag und in aller Öffentlichkeit zerstreut werden kann.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!