Ukrainischer Botschafter mit Forderungskatalog unterwegs

Andrij Melnyk ist durch zahlreiche TV-Auftritte und Interviews bekannt. Seine Forderungen unterbreitet er immer drängender, teils auch mit Polemik

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Andrij Melnyk spart weder mit Forderungen noch mit Kritik gegenüber der deutschen Regierung. Der ukrainische Botschafter hat der Bundesregierung und Kanzler Olaf Scholz (SPD) mangelndes Engagement im Ukraine-Krieg vorgeworfen. Berlins Weigerung, ein Embargo auf Gas und Öl aus Russland zu erheben, sei wie ein »Messer in den Rücken der Ukraine«, sagte der Diplomat der »Welt«. Er gehe jedoch davon aus, dass die Entscheidung der Bundesregierung keinen Bestand haben werde. »Wir glauben, dass diese Position moralisch nicht haltbar ist und fallen wird - wenn nicht in den nächsten Tagen, dann in den nächsten Wochen.«

Zudem übte Melnyk Kritik an der Haltung der Bundesregierung, sich nicht vehementer für eine Eintrittsperspektive seines Landes in die EU einzusetzen. »Am Montag hat mein Präsident Selenskyj wieder mit Kanzler Scholz telefoniert. Es war, als ob man mit einer Wand gesprochen hätte.« Bei dem Telefonat sei Scholz nicht dem Wunsch des ukrainischen Präsidenten nach einem EU-Kandidatenstatus nachgekommen, berichtete Melnyk. Nachdrücklich forderte Melnyk die Zustimmung der Bundesregierung zu einem EU-Beitritt der Ukraine. Mit einer Zustimmung könnten »all diese strategischen Fehler« in der deutschen Russlandpolitik der vergangenen Jahre korrigiert werden, sagte er. »Es geht um die Zukunft meines Landes.«

Im Abgeordnetenhaus in Berlin sprach Melnyk am Donnerstag und bat dringend um deutsche Hilfe. »Wir brauchen einen Versorgungskorridor in die Ukraine, um die Menschen mit Medikamenten und Lebensmitteln zu versorgen«, sagte Melnyk am Donnerstag im Landesparlament. »Wir brauchen eine Berliner Luftbrücke 2.0, nur diesmal auf dem Landweg.« Der Diplomat bezog sich damit auf die Hilfe der West-Alliierten für Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg.

»Wir haben alle in unseren Geschichtsbüchern gelernt, wie tapfer diese Stadt war, damals, als die Sowjets eine Blockade eingeführt hatten«, erinnerte der ukrainische Botschafter an die Jahre 1948/49. »Heute fühlen sich viele Ukrainer genauso wie die Deutschen damals. Und wir bitten Sie, alles Möglichen zu unternehmen, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken«, sagte Melnyk.

Nicht nur politische Unterstützung fordert Melnyk ein, sondern immer wieder auch die Lieferung von Waffen und Waffensystemen für den Kampf gegen die russischen Truppen. Dabei orientiert sich Melnyk nicht an dem, was Deutschland bereit wäre zu liefern, sondern an dem, was die Rüstungsindustrie an kurzfristig lieferbaren Waffen bietet. »Ich weiß, dass dem Verteidigungsministerium 60 Seiten Angebote von Rüstungsunternehmen vorliegen. Wir erwarten eine positive Entscheidung«, forderte Melnyk gegenüber der dpa.

Bislang hält sich Deutschland bei der Lieferung von Waffensystemen überwiegend zurück. Nach Melnyks Angaben seien bisher nur Hilfslieferungen aus Deutschland für das Militär in der Ukraine angekommen. Dazu zählen 500 Panzerfäuste mit 1000 Schuss Munition, 500 Luftabwehrraketen vom Typ »Stinger«, 14 gepanzerte Fahrzeuge, 23 000 Schutzhelme sowie 50 000 Esspakete. Melnyk rechnet auch mit 1300 kugelsicheren Schutzwesten und 2600 Metallplatten für Schutzwesten. Druck übt er auch bei der Lieferung von 2700 Raketen des Typs »Strela« aus. »Diese Waffensysteme werden tatsächlich sehr dringend gebraucht«, sagte der Botschafter. Mit Blick auf die Verhandlungen zwischen den Außenministern der Ukraine und Russlands am Donnerstag in der Türkei sagte Melnyk, er hoffe auf eine »allumfassende Waffenruhe«. Das Wichtigste sei, »dass die Waffen schweigen, dass die Toten geborgen werden, dass die Menschen, die unter den Trümmern liegen, auch gerettet werden können«, sagte er.

Die von der Nato in dieser Woche abgelehnte Bereitstellung von MiG-29-Kampfjets nimmt Melnyk derzeit nicht an. »Fakt ist, dass wir diese Flugzeuge so schnell wie möglich brauchen, um den Luftraum zu schützen«, sagte er. Russland bombardiere Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen. »Wenn die Flugzeuge an die Ukraine übergeben würden, würde das keinen Kriegseintritt der Nato bedeuten. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Tagen positive Neuigkeiten dazu erhalten.« Die USA hatten einer Verlegung der Jets von Polen auf den US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz nicht zugestimmt, da sie Reaktionen aus Russland befürchten und es die Aussichten auf eine Konfrontation mit der Nato erhöhen würde.

Lesen Sie auch den Kommentar »Stopp, Herr Melnyk!« von Daniel Lücking

Die Rüstungsindustrie steht bereits Gewehr bei Fuß. Ende Februar hatte Rheinmetall auf das von Kanzler Scholz zugesagte Sondervermögen für die Bundeswehr reagiert. Das Unternehmen legte eine Liste von Projekten vor, deren Realisierung etwa 42 Milliarden Euro kosten soll. Um Panzer, Munition, Militär-Lkw, Flugabwehr-Türme und andere Güter zu produzieren, rechnet der Unternehmenschef mit 3000 weiteren Stellen. Teilweise gehe es um Neuprodukte und teilweise um die Modernisierung von Bundeswehr-Beständen. »Wir könnten sofort anfangen zu produzieren, unsere Lager sind gut gefüllt«, sagt Firmenchef Armin Papperger. Damit wird sich die Bundeswehr absehbar von Material trennen, das Melnyk für die Ukraine akquirieren könnte. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.