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Alle gegen Putin
Erneut gehen in Berlin Zehntausende gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße
Zehntausende Menschen sind am Sonntagnachmittag in Berlins Mitte auf die Straße gegangen, um gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren. Darunter auch die 17-jährige Anastasia. Sie demonstriert vor allem für eine Forderung: »Das Wichtigste ist, dass der Himmel über der Ukraine geschlossen wird«, sagt Anastasia zu »nd«. Sie selbst habe Familienangehörige in der Ukraine. Dass ihr Ruf nach einer Flugverbotszone über dem Kriegsland von den westlichen Regierungen bislang nicht unterstützt wird, ist ihr bewusst: »Aber es muss sein, denn es ist nicht nur Krieg in der Ukraine - es ist Krieg in Europa. Die russische Armee tötet Männer, Frauen, Kinder. Und das muss gestoppt werden.«
Auch die 18-jährige Sofia kann mit Blick auf eine Flugverbotszone die ablehnende Haltung der Nato-Staaten nicht begreifen. Auch sie ist vor allem deshalb am Sonntag auf der Großdemonstration, die vom Alexanderplatz zur Straße des 17. Juni führt. Sofia ist mit ihrer Schwester aus Kiew geflohen und vor wenigen Tagen in Berlin angekommen. »Meine Eltern sind dort geblieben. Bomben, Raketen. Die Leute verstecken sich in Kellern und leben in Angst. Ich wünsche mir, dass die deutsche Regierung die Ukraine dabei unterstützt, den Himmel zu schließen und so die Luftangriffe zu stoppen«, sagt sie zu »nd«.
Wie vor genau zwei Wochen, als sogar Hunderttausende gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine durch Berlin zogen, hatte auch diesmal wieder ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Umweltschutzinitiativen und Friedensgruppen zu der Demonstration mobilisiert. Die von Anastasia, Sofia und anderen mit Angehörigen in der Ukraine aufgestellte Forderung nach einer Flugverbotszone findet sich in dem Demonstrationsaufruf des Bündnisses explizit nicht. Hier geht es vor allem um Abrüstung.
»Stoppt den Krieg! Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine« - das ist der gemeinsame Nenner. Und dafür sind ein Großteil der laut Veranstalterangaben 60 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Straße. Ob Flaggen, Ansteckschleifen, Halstücher, Luftballons: Die dominierende Farbkombination am Sonntag ist das ukrainische Blau-Gelb. Die Friedenstaube ist sowieso zurück, ebenso das Peace-Zeichen. Dazu selbstbemalte Transparente ohne Ende.
Auch Ingrid, eine pensionierte Lehrerin aus Lichtenberg, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hält ein selbst gestaltetes Plakat hoch: »Stop Putin«. Eine Parole, die man in dem Demonstrationszug in unzähligen Variationen findet. Ingrid stellt dabei klar, dass sich ihr Protest gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Machtclique richte, nicht aber, so die 74-Jährige zu »nd«, gegen »die Russen«. Das sagen dann auch fast alle, mit denen »nd« am Sonntag in Mitte gesprochen hat.
Und in noch einem Punkt herrscht große Übereinstimmung: Es dürfe bei alldem nicht zugelassen werden, dass in Berlin Menschen mit tatsächlicher oder auch nur vermuteter russischer Migrationsgeschichte zum Ziel von Hass, Hetze und Gewalt werden. Entsprechende Attacken haben seit dem Beginn des völkisch-nationalistisch grundierten Angriffskriegs in der Ukraine massiv zugenommen. Beleidigungen, Schmierereien, Farbbeutelwürfe, Brandsätze: In den vergangenen zwei Wochen registrierte die Berliner Polizei rund 100 Straftaten, die einen Zusammenhang zu dem Ukraine-Krieg aufweisen würden. Die meisten Taten sind nach Angaben der Polizei offenkundig antirussisch motiviert, ein kleinerer Teil aber auch gegen die Ukraine gerichtet.
Den vorläufigen Höhepunkt der Angriffe bildet hier der Anschlag auf den Campus Marzahn der Internationalen Lomonossow-Schule. Unbekannte hatten in der Nacht zum Freitag den Eingangsbereich der Turnhalle an der Allee der Kosmonauten in Brand gesetzt. Die Polizei geht von einem Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine aus. Die freie Lomonossow-Schule ist für ihr bilinguales, konkret: deutsch- und russischsprachiges Unterrichtsangebot bekannt. Dabei besuchen keineswegs nur Schülerinnen und Schüler mit russischer Migrationsgeschichte die Schule, sondern auch Kinder und Jugendliche mit polnischen, georgischen oder eben auch ukrainischen Wurzeln.
»Ein feiger Angriff«, zeigte sich Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) bestürzt. »Ganz klar muss sein: Kinder führen keine Kriege, kein Schulkind russischer Herkunft darf für die Verbrechen des Putin-Regimes haftbar gemacht werden«, sagte Busse am Freitag.
Neben vielen anderen verurteilte auch Die Linke die Tat auf das Schärfste. »Wir solidarisieren uns mit den Schülerinnen und Schülern, ihren Familien sowie den Lehrerinnen und Lehrern und stehen an ihrer Seite, wenn ihnen nun blinder Hass entgegen schlägt«, erklärte etwa der Linke-Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf. Man appelliere an alle, »in dieser schwierigen Zeit sich gegen Anfeindungen gegen als russisch gelesene Menschen zu wehren und deutlich zu zeigen, dass in unserem Bezirk kein Platz für Diskriminierung, Vorverurteilung und Gewalt ist«.
Ingrid, die ehemalige Lehrerin aus Lichtenberg mit dem »Stop Putin«-Schild, ist noch am Sonntag sichtlich erzürnt: »Das hat mich richtig wütend gemacht. Was haben denn Kinder und Jugendliche in Berlin mit diesem Krieg zu tun?«
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