- Politik
- Folgen des Ukraine-Kriegs
Ein Desaster für den Dialog
Deutsch-russische Austauschorganisationen stecken in der Sackgasse
Die hübsche Villa mit dem Zwiebelturm-Erker im Preußischen Viertel Dresdens ist verschlossen, alle Fensterläden sind heruntergelassen. Niemand geht mehr ans Telefon des Deutsch-Russischen Kulturinstituts, Veranstaltungen wurden abgesagt. »Wir bauen weiter Brücken«, hatte Vereinsvorsitzender Wolfgang Schälike am dritten Kriegstag noch geäußert. Zur gewünschten Begegnung mit ihm kommt es nicht mehr. Keine Resonanz auch bei der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Leipzig.
Es ist verständlich, dass diese dem friedlichen Austausch und der Völkerverständigung gewidmeten Institutionen erst einmal den Schock überwinden müssen, wie sehr ihnen der russische Präsident Wladimir Putin in den Rücken gefallen ist. Eigene Irrtümer müssen verarbeitet, über eine Neuorientierung nachgedacht werden. Andere große Nichtregierungsorganisationen und ihre russischen Partner leben schon lange mit Repressionen oder Verboten. Lediglich der Jugendaustausch bildet eine Ausnahme.
Die Rolle des Dresdner Deutsch-Russischen Kulturinstituts verdient besondere Betrachtung. Die Villa ist sozusagen eine russische Exklave, konsularische Außenstelle der Russischen Föderation. Hinter dem Institut steht die 2007 von Putin gegründete Stiftung Russkij Mir, die die russische Sprache im Ausland verbreiten soll und neben Dresden einen zweiten deutschen Ableger in Nürnberg hat. »Warum soll es dann noch öffentliche Gelder bekommen?«, fragte man bisher schon in Stadt und Land. Tatsächlich bekommt das Kulturinstitut nur 15 000 Euro Zuschuss aus der Kommunalen Kulturförderung Dresdens.
Als Höhepunkt der Arbeit des Instituts darf die Einweihung des Dostojewski-Denkmals zwischen Landtag und Kongresszentrum am 10. Oktober 2006 gelten. Am Rande des Petersburger Dialogs gaben Putin, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) persönlich ihren Segen. Ansonsten aber entfaltete das Kulturinstitut wenig begegnungsfördernde Wirkung, was der Kulturausschuss der Stadt auch schon bemängelte. Der ältere, sowjetisch geprägte Teil der russischen Community fühlt sich hier zu Hause, der Nachwuchs kaum. Das Veranstaltungsprogramm umgeht mit meist retrospektiver Traditionspflege politische Brisanz.
Gleichwohl sind die personellen Verflechtungen mit dem Putin-Regime eindeutig. Vereinsvorsitzender Wolfgang Schälike ist ein persönlicher Freund des Diktators mit Dresdner Vergangenheit. Vizechef Witali Kolesnik, eigentlich Ukrainer, liegt voll auf Linie der Kreml-Propaganda. Eine kritische Musikerin der Dresdner Staatskapelle soll er jüngst als »Faschistin« bezeichnet haben. Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) will jetzt das Gespräch mit dem Institut suchen, um seine Zukunft zu klären. Denn unter weitsichtigen Dresdner Kulturbürgern taucht angesichts der aufkommenden antirussischen Stimmung auch schon die Frage auf, wer einen Wiederannäherungsprozess zwischen Deutschen, Ukrainern und Russen moderieren soll. Die Städtepartnerschaft mit St. Petersburg hat Dresden bislang nicht aufgekündigt.
Ungefähr 30 Partnerschaftsabkommen hat Stefan Melle als Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Austausches DRA kündigen müssen, seit die Nichtregierungsorganisation und ihr Petersburger Partner im Mai des Vorjahres als unerwünscht eingestuft wurden. Ein faktisches Betätigungsverbot auf russischem Boden. Der Veranstaltungsplan zeigt nur noch wenige Bildungsveranstaltungen in Deutschland. Von der Unterstützung der Zivilgesellschaft, von den Begegnungen, Austauschprogrammen und Projekten ist außer stillen Kontakten nichts geblieben.
Melles Urteil über das »feudale« Regime der sowjetisch geprägten Führungsclique im Kreml fällt deshalb nicht erst seit Kriegsbeginn vernichtend aus. »Putin hasst NGOs«, sagt Melle und schreibt diese Feindseligkeit dem generellen russischen »Verfolgungswahn« gegenüber Ausländern und Putins Abneigung gegen westliche Lebensart und Freiheiten zu. Sein Amtsantritt beim DRA fiel 2006 mit dem ersten NGO-Gesetz zusammen, das weiter verschärft wurde und jeden Austausch praktisch abgewürgt hat.
»Putin stößt alle vor den Kopf, die gut mit ihm auskommen wollen«, ist der Geschäftsführer verständlicherweise frustriert. Melle zieht eine gerade Linie von Putins Amtsantritt vor 22 Jahren zum Überfall auf die Ukraine. Für ihn bildet dieser nur die Konsequenz der Großmachtambitionen und der Träume von einer schrittweisen Wiederherstellung des Sowjetimperiums.
Das dem DRA in seinen Gründungsintentionen von 1993 verwandte Deutsch-Russische Forum ist seit Längerem nur noch ein Hohlkörper, obschon es anders als der auf Basisbegegnungen ausgerichtete DRA wirtschaftlicher orientiert war. Der Petersburger Dialog ist nur noch Geschichte. Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat den Vorstandsvorsitz des Forums resigniert niedergelegt.
»Wir haben nie eine politische Einflussnahme auf unsere Arbeit erlebt«, überrascht hingegen Geschäftsführer Thomas Hoffmann von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch mit Sitz in Hamburg. Auch die russische Seite habe stets »großes Interesse« gezeigt, die Schulen ohnehin. Etwa 17 000 Schüler und Jugendliche reisten jährlich hin und her. Lingua franca war bei den Begegnungen das Englische, denn nur noch drei Prozent der deutschen Schüler lernen Russisch. Die relativ geschützte Arbeit des Jugendaustausches ist auf ein Regierungsabkommen von 2004 zurückzuführen, das bis zuletzt eingehalten wurde.
Nun aber spricht Hoffmann von einer Katastrophe, zumal man nach den Corona-Einschnitten gerade wieder beim Neustart war und Pläne schmiedete. Die Arbeit wie vor dem Krieg werde wohl so nicht wiederkommen. Man wolle aber »auf keinen Fall die Tür zuschlagen«. Gespräche sollten weiterhin möglich sein, zumal man auch die russischen Partner schockiert erlebe.
Tief sitzt der Schock auch beim Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Demonstrativ sind die russische und die belorussische Flagge vor dem Haus entfernt worden. Direktor Jörg Morré sieht sich noch nicht zu einem Interview imstande, weil die Zukunft völlig ungewiss sei. »Schöne Gesten« blieben den Deutschen ja unbenommen, aber es gehe um ein Miteinander. »Und dass das nun einschneidend, nachhaltig gestört ist, liegt auf der Hand«, schließt der Direktor.
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