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Missbrauch im Dunkelfeld
Viele geflüchtete Kinder erleiden sexuelle Gewalt. Die Hilfsorganisation World Vision fordert einen besseren Schutz
Sexuelle Gewalt an Kindern ist ein Tabuthema, über das nur selten gesprochen wird, das oft in einem kriminellen Dunkelfeld stattfindet. Häufig werden Taten verschwiegen, sodass von vielen unentdeckten Fällen ausgegangen werden muss. So viel ist bekannt.
Als besonders gefährdete Gruppe gelten geflüchtete Kinder, weil sie schlecht geschützt in einer Ausnahmesituation leben. Über sexuelle Übergriffe gibt es bislang keine Studien, nicht einmal verlässliche Schätzungen. Eine Untersuchung der Kinderschutzorganisation World Vision hat nun versucht, sich dem Thema zu nähern, was nicht leicht war, denn die Organisation hat dafür nicht mit den Kindern selbst gesprochen. »Zu schwer wogen Bedenken«, erklärte Christoph Waffenschmidt, Vorstandsvorsitzender von World Vision, anlässlich der Präsentation der Studie am Dienstag.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Vor dem Hintergrund ihrer prekären Lebenssituation sei die Gefahr groß gewesen, »Traumata aufzurütteln oder auszulösen und dabei dringend benötige Hilfe nicht vermitteln zu können«, erklärte Waffenschmidt. Folglich haben Sozialwissenschaftler für die Untersuchung Erwachsene befragt, die in der Sozialen Arbeit, Psychotherapie, Forschung oder Interessenvertretung tätig sind und Kontakt zu betroffenen Kindern haben. Häufig seien es vertraute Bezugspersonen, so Waffenschmidt, die Einblick in die Umstände geben, welche Übergriffe ermöglichen.
Viele Kinder aus Kriegs- und Konfliktgebieten haben bereits sexualisierte Gewalt erlitten, wenn sie in Deutschland eintreffen. Das ist ein Ergebnis der Befragung. Manche Transitländer seien für flüchtende Kinder besonders gefährlich, heißt es - Libyen etwa oder die Türkei, ebenso einige osteuropäische Länder. »Je länger eine Flucht dauert und je schlechter die Kinder unterwegs versorgt sind, desto eher geraten Mädchen und Jungen in gefährliche Abhängigkeiten«, erläuterte die Studienleiterin Caterina Rohde-Abuba. Auch Zwangsprostitution oder Zwangsheirat würden durch Not begünstigt.
In Deutschland setze sich die ungewisse Situation insbesondere dann fort, wenn die Kinder auf längere Zeit ein unsicheres Aufenthaltsrecht haben, nicht frühzeitig eine Schule besuchen und Freizeitangebote wahrnehmen können, heißt es. Übergriffe gebe es häufiger, wenn die Kinder zusammen mit vielen Menschen leben müssen und sich notgedrungen in Räumen aufhalten, die nicht abzuschließen sind. Dann fehlten Schutzräume. Allerdings wies die Studienleiterin darauf hin, »dass die Gefahr der sexualisierten Gewalt nicht nur von Fremden ausgeht«.
Viele Einrichtung sind auf solche Übergriffe offenbar nicht vorbereitet. Häufig fehlten kindgerechte Beschwerdemöglichkeiten und mehrsprachige, kultursensible Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, kritisierte Rohde-Abuba. Für Jungen sei es noch schwieriger, über ihre Erfahrungen zu sprechen als für Mädchen, weil es Männlichkeitsvorstellungen und gesellschaftliche Tabus gebe und weil für sie noch seltener Hilfsangebote zur Verfügung stünden.
World Vision appelliert an die Bundesregierung, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die Kinder besser zu schützen, nicht zuletzt angesichts der aktuellen Fluchtbewegung aus der Ukraine. Besondere Gefährdungslagen im deutschen Asylsystem müssten beseitigt werden. Insbesondere eine dezentrale Unterbringung von Familien sei wichtig. Zudem müssten deren Asylverfahren beschleunigt werden, um lange Ungewissheiten zu vermeiden. Außerdem bräuchten Betroffene einen besseren Zugang zu Hilfen. World Vision fordert damit eine Kehrtwende in der Asylpolitik, um die Schwächsten besser zu schützen.
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