- Kultur
- Israelischer Film »Aheds Knie«
Die Verachtung
Pamphlet, Parabel und Schlüsselstück: Der israelische Spielfilm »Aheds Knie« will die Kunst vor einer Politik retten, mit der sie am Ende viel gemein hat
Dass die Kunst eine grausame Geliebte sei, ist ja auch so eine Binse, und als Thomas Mann seinen Lieblingsenkel nahm, um ihn im »Doktor Faustus« elendiglich an Hirnhautentzündung sterben zu lassen, hat dem Roman das geholfen, ob man das nun appetitlich findet oder nicht. Kunst, als letzter Ort der Wahrheit, macht keine Gefangenen, und wenn es stimmt, dass Kunst das Leben erst ermögliche, wie kann sie dann aufs Leben Rücksicht nehmen?
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
In der israelischen Wüste hat der Regisseur X. (im Original: Y.) heimlich das Geständnis einer Bibliothekarin, der lokalen Kulturbeauftragten, mitgeschnitten, die ein bisschen verliebt in ihn ist, ihm aber etwas anderes gestanden hat, nämlich die Anweisung ihres Dienstherrn, des Ministers für Kunst, alles Unisraelische zu zensieren. Es gehe darum, unbotmäßige Kunst brotlos zu machen: »Wer unser Land beschmutzt, soll verhungern.« X., ein bekannter Mann, ist für eine Filmvorführung in den Wüstenort gekommen; dort soll er in einem Formular eintragen, um welche (dem Staat genehmen) Themen es geht, im Film wie in der anschließenden Diskussion. Als er droht, die skandalöse Praxis im Netz zu veröffentlichen, droht die junge Frau zurück, und Kunst und Leben stehen sich plötzlich sehr konkret und darum freilich sehr symbolisch gegenüber.
»Aheds Knie« ist Pamphlet, Parabel und Schlüsselstück. Der Minister war im wahren Leben die Kulturministerin Miri Regev, X. ist das Alter Ego von Regisseur Nadav Lapid, der aus dem Plan von X., über Aheds Knie einen Film zu drehen, einen Film gemacht hat, und das Knie gehört Ahed Tamimi, einer (realen) palästinensischen Aktivistin, die ins Gefängnis ging, weil sie einen israelischen Soldaten geohrfeigt hatte, worauf sich ein rechter Politiker zu dem Satz verstand, ihr gehöre die Kniescheibe zerschossen. »Auf« oder »in die Knie gehen« ist natürlich auch Metapher, und wer ins Kino geht, nicht um die Welt zu vergessen, sondern sich ihr auszusetzen, ist in »Aheds Knie« genau richtig.
Israel ist nämlich, erfahren wir, »am Arsch«, und der Film, sagt der niemals lächelnde X., dessen Mutter dann auch noch Krebs hat, handelt vom »Verlust der Seele des Landes und seiner Verrohung«. Irgendeine Form von Leichtigkeit oder höhere Dosen von Humor kann man da nicht erwarten, und noch die Kamera, die immer wieder mäandernd, versetzt, auf dem Kopf arbeitet, bildet natürlich ebenjenen abweichenden Blickwinkel ab, den Zensur verbieten will, aber sowenig verbieten kann wie den zumal von Musik in Marsch gesetzten Kopfkinofilm hinter der Stirn von X. Das ist mehr als déformation professionelle; denn wenn Musik, und jeder kennt das, sich ihre Bilder selbst schafft, ist das wiederum eine dicke Metapher, und zwar für den unkontrollierbaren künstlerischen Menschen, in dessen innerer Wüste der See liegt, der auch in »Aheds Knie« in der Wüste liegt und in den X. natürlich eintaucht. Explizites Arthaus ist ja immer auch die Parodie von Arthaus, und auch deshalb lässt sich der Film ganz gut aushalten.
Zweitens ist da noch die Wüste, die diesseits der plan existenzialistischen Metapher - »Das Leben ist ein Skandal und wir sind alle hilflos«, sagt X. in seinem üblichen vollen Ernst - ein angemessen karges, im Übrigen wunderschönes Bühnenbild für ein aus Dialog, Assoziation und tieferer Bedeutung zusammengesetztes Lehrstück abgibt, in dem die Moral des Ministers sich schließlich mit der Moral von X. überblendet sieht. Denn geht es nicht beiden um die Inszenierung ihrer persönlichen Wahrheit? Für die beide, falls nötig, über Leichen gehen? Hat die minutenlange Tirade, in der X. seine tiefe Verachtung für die israelische Politik mitteilt, ihren Anteil Projektion? Eine gute Frage, die noch viel besser wäre, wenn der Film sie nicht so ausdrücklich beantworten würde.
»Alles ist so passiert. Alle Charaktere haben wirklich gelebt. Die repetitiven Momente stammen aus dem Leben. Achten Sie nur auf den Stil«, schickt X. seiner Vorführung voraus, und das ist ja immer ein guter Rat. Der Filmkritik sind dazu Godard und Bergman eingefallen, und wenn wir, wegen Wüste und Musik, jetzt noch »Wenders« sagen, mag das Fazit sein, dass »Aheds Knie« nicht der Leitartikel ist, als den ihn die wirklichen Charaktere und repetitiven Elemente verdächtig machen. Sodass dem Film, dessen Drehbuch Lapid, nach dem Tod der Mutter in nur zwei Wochen geschrieben haben soll, die Ironie erspart bleibt, im Bemühen, die Kunst zu retten, bloß das Gegenteil zu schaffen.
»Aheds Knie«: Israel/Deutschland/Frankreich 2021. Regie und Drehbuch: Nadav Lapid. Mit: Avshalom Pollak, Nur Fibak, Yoram Honig, Lidor Ederi,109 Minuten. Start: 17. März.
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