Lasst uns in Frieden (16): Lieber dumm als Dum-Dum

Wie Boy George von Culture Club mit einem saudummen Song den Nagel auf den Kopf traf

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich ist Pop eine intellektuelle Zumutung. Eine Aneinanderreihung von Banalitäten, Gemeinplätzen und Klischees. Die meisten Texte bewegen sich auf dem Niveau eines Fließbandschlagers, bei dem das Reimlexikon das wichtigste Hilfsmittel ist. Schmalz und Kitsch kennen dabei weder Länder- noch Sprachgrenzen. Es macht keinen grundlegenden Unterschied, ob sich »Herz« auf »Schmerz« oder »cry« auf »why« reimt. Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, ein Stück von Michael Jackson zu übersetzen, weiß, dass fehlende Englischkenntnisse ein Segen sein können.

Doch vollends unerträglich wird es, wenn Pop sich in Gesellschaftskritik übt. Dann mündet das Streben nach einer besseren Welt in einer schlechteren Sprache. Kostprobe gefällig? »War, war is stupid. And people are stupid. And love means nothing in some strange quarter.« Und jetzt das Ganze auf Deutsch: »Krieg, Krieg ist dumm. Und Menschen sind dumm. Und Liebe bedeutet gar nichts in manchen seltsamen Gegenden.« Uff! Ächz! Stöhn! Überraschend, wie viele Plattitüden man in so wenige Worte packen kann. Und noch überraschender, dass Culture Club es damit 1984 in den meisten englischsprachigen Ländern - also dort, wo man den Text auf Anhieb verstand und bewusst wahrnahm - unter die Top 3 schafften.

Und dann wiederum auch nicht überraschend. Denn 1984 war das Jahr, in dem der Kalte Krieg noch einmal heiß zu werden drohte. Bei einer Mikrofonprobe alberte der US-Präsident und frühere Westerndarsteller Ronald Reagan: »Meine amerikanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger! Ich freue mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für vogelfrei erklärt. In fünf Minuten beginnen wir mit der Bombardierung.«

In Moskau fand man solche »Späße« weniger witzig. Dass dort ein offenkundig sterbenskranker Greis, Konstantin Tschernenko, das Sagen hatte, trug auch nicht dazu bei, die Nerven zu beruhigen. Zu allem Übel war das Wettrüsten - hier sowjetische SS-20-, dort amerikanische Pershing-II-Mittelstreckenraketen - noch immer in vollem Gang. Regelmäßige Fehlalarme verstärkten die Furcht, ein Atomkrieg könnte »zufällig« ausgelöst werden.

In diesem Klima der Angst fiel »The War Song« von Culture Club auf fruchtbaren Boden. Dass sich der Sänger Boy George einfachster Worte bediente, war kein Nachteil. Im Gegenteil. Die Komplexität des Rüstungswahnsinns im nuklearen Zeitalter dampft der Song auf ganze drei Wörter ein: »War is stupid« - Krieg ist dumm. So einfach ist das. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Und genau darin liegt das Geheimnis des Pop: Er trägt Plattitüden derart überzeugend vor, dass daraus Wahrheiten werden. Naivität als Trumpf. Oder wollte irgendjemand an der kindlichen Weisheit eines Boy George zweifeln?

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