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- Helmut Recknagel
»Alles oder nichts war meine Parole«
1960 war der Thüringer Helmut Recknagel der erste Skisprung-Olympiasieger, der nicht aus Skandinavien stammte. Am Sonntag wird er 85
Herr Recknagel, wann haben Sie das letzte Mal Sport getrieben?
Helmut Recknagel war eines der größten Sportidole der DDR: 1960 in Squaw Valley wurde er der erste nicht skandinavische Skisprung-Olympiasieger. Er wurde zudem zweimal Weltmeister (1960, 1962) und gewann dreimal die Gesamtwertung der Vierschanzentournee. Im März 1964 beendete der zweifache »DDR-Sportler des Jahres« aus Steinbach-Hallenberg seine Karriere und wurde Veterinärmediziner. Nach der Wende gründete er ein erfolgreiches Sanitätshaus in Berlin. Im Jahr 2011 wurde er in die »Hall of Fame« des deutschen Sports aufgenommen. Er lebt heute in Berlin-Friedrichshain.
Heute früh. 20 Kniebeuge, 20 Liegestütze und leichte Kraftarbeit. Tägliches Programm, damit ich im Alter die täglichen Turbulenzen leichter durchlaufe.
Sonntag werden Sie 85, wie geht es Ihnen?
Im Moment? Note zwei bis drei. Statik und Dynamik habe ich etwas vernachlässigt in den letzten Jahren. Und jetzt muss ich versuchen, muskulär was aufzubauen, um auch Stürze zu vermeiden. Ab 80 ist stürzen gefährlich - Oberschenkelhalsbruch!
Sie waren einer der erfolgreichsten Skispringer überhaupt. Olympiasieger, Weltmeister, dreimal Vierschanzen-Tourneesieger. Wer ist für Sie der größte Skispringer aller Zeiten?
Da brauche ich nicht lange nachzudenken. Jens Weißflog war dreimal Olympiasieger zweimal im Einzel und einmal in der Mannschaft. Und was besonders wertvoll daran ist: Er wurde in zwei Stilarten Einzel-Olympiasieger. Das kann ich neidlos anerkennen.
Haben Sie es ihm schon mal selbst gesagt?
Ja, ich treffe ihn ja jedes Jahr wenigstens einmal. Letztes Jahr in Oberwiesenthal, diese Woche wurde sein Trainer Joachim Winterlich 80, ich war eingeladen, aber ich schaffe das nicht. Das wird mir reisemäßig zu viel.
Derzeit läuft fast jedes Wochenende ein Weltcup-Skispringen im TV? Gucken Sie sich die Sprungläufe an?
Alle. Ich schaue alle. Habe auch natürlich in Peking die Olympischen Spiele verfolgt und natürlich auch die Paralympics.
Wann waren Sie das letzte Mal bei einem Sprunglauf dabei, also selbst vor Ort?
2018 zur Skiflug-WM in Oberstdorf an der Heini-Klopfer-Schanze. Oberstdorf bleibt für mich unvergessen, mit 17 Jahren bin ich da das erste Mal runter. Ich war ja vom Typ her auch eher ein Skiflieger. Was früher eine Skiflugschanze war, entspricht heute eher einer Großschanze. Ich wäre in meiner Blütezeit auch gerne so auf solchen 200-Meter-Bakken wie den in Vikersund in Norwegen gesprungen, wo Stefan Kraft 2018 auf 253,5 Meter gesegelt ist und damit die Weltbestweite aufgestellt hat. Früher dagegen haben wir beispielsweise in Planica ab 191 Metern nicht mehr gewertet - der Skiweltverband wollte keine Rekordhascherei.
Sie waren auch ein sehr guter Fußballer, habe ich gelesen. Und haben sogar ein Angebot ausgeschlagen in der DDR-Oberliga zu spielen bei der BSG Turbine Halle. Stimmt das?
Stimmt haargenau. Ich war Skisportler, da machte ich wirklich alles: Abfahrt, Slalom, Langlauf und auch Skisprung. Aber ich spielte auch bei Steinbach-Hallenberg in der Landesklasse Fußball. Ich war ganz gut, schnell, trickreich, wendig, torgefährlich. Auch die Elfmeter waren meine Sache: Ich war sehr treffsicher. Als 1954 die deutsche Mannschaft in Bern Weltmeister wurde, war ich begeistert - Fritz und Ottmar Walter wurden meine Helden. Die waren Anfang der 50er Jahre mit dem 1. FC Kaiserslautern zweimal Deutscher Meister geworden, deswegen sagte ich mir: Da musst du hin, da wirst du was! Doch mein Vater wollte mich nicht gehen lassen, ich war ja erst 17 und er hatte das Sagen. Schließlich musste ich dann innerhalb eines Monats entscheiden: Versuche ich es in Kaiserslautern im Fußball? Bei Turbine Halle? Oder doch im Skispringen? Da ich Einzelkind war, sagte mein Vater zu mir: Du kannst nicht weggehen. Du bleibst und gehst zum SC Motor Zella-Mehlis, du bist schon Jugendmeister im Skispringen.
Erinnern Sie sich noch an Ihren allerersten Sprung von einer Schanze?
Ja, in Steinbach-Hallenberg war das. Ich war zwölf. Die Schanze war ein Anlaufturm aus Holz, Zimmermannsarbeit, aber zusammengefallen nach dem Krieg! Sie hatte nur eine leichte Neigung, deswegen sind wir mit Stöcken angefahren und haben dann fünf Meter vor der Schanzenkante die Stöcke weggehauen - und dann einfach runter.
Es war der Beginn einer großen Karriere, bei der Sie am 3. März 1957 Historisches schafften, als Sie als erster Nicht-Skandinavier das Springen am legendären Holmenkollen in Oslo gewannen, mit 19. Wissen Sie noch Ihre Weiten von damals ?
Das war überhaupt nicht weit, von heute aus betrachtet. Ich war im Training Schanzenrekord gesprungen, 70 Meter, aber die galten nicht. Ich glaube, im Wettkampf waren es dann 64,5 und 65 Meter. Das war schwach. Aber wir hatten auch dichten Nebel, man konnte höchstens 20 Meter weit sehen. Egal: Ich war der erste Sieger, der nicht aus Skandinavien stammte. Das bleibt mein größter Erfolg! Der Holmenkollen ist für mich das Höchste, er ist wie Wimbledon im Tennis.
Die nächste Pioniertat folgte 1960 in Squaw Valley in den USA. Auf der dortigen Schanze wurden Sie der erste Skisprungolympiasieger, der nicht aus Skandinavien stammte.
Es waren 45 Teilnehmer, ich hatte Startnummer 44, Halonen, der stärkste Finne, war hinter mir, der war im Vorteil und hätte sich schön alles einteilen können. Also ich war angehalten, mit Konzentration, Kraft und Übersicht alles zu geben, was drin war. Alles oder nichts war meine Parole. Fällst du bei einem Sprung, hast du verloren. Stehst du den Sprung, hast du gewonnen. Und so kam es.
Sie haben dreimal die Vierschanzentournee gewonnen. War die damals schon so eine Riesenveranstaltung wie heute?
Die Tournee war auch in den 1950er schon etwas Großes. Ich habe 1957/58, 1958/59 und 1960/1961 gewonnen. Dass ich 1959/60 wegen des Flaggenstreits (die DDR hatte 1959 die neue Flagge mit Hammer und Zirkel eingeführt, die die BRD umgehend verbot - d. Red.) nicht teilnehmen konnte, ärgert mich bis heute. Auch in Squaw Valley bei Olympia gab es Ärger. Ich hatte die Ehre, die Fahne der gesamtdeutschen Mannschaft bei der Eröffnung zu tragen. Aber Bundeskanzler Konrad Adenauer wütete, man könne doch nicht hinter einem Kommunisten laufen. Dabei war alles gut: Denn Georg Thoma aus Hinterzarten holte den Olympiasieg in der Nordischen Kombination und trug die Fahne zum Abschlussfest. Die Ost-West-Balance war da, besser ging es doch gar nicht!
Wie fühlt sich Skispringen an? Was hört man da, was sieht man?
Man hört gar nichts. Das Blickfeld ist ziemlich eng. Je weiter es geht, immer klare Linie halten, nicht nach links, rechts schauen, gerade Bahn. Aus Luftwiderstand wird das Tragmoment: Man segelt.
Wie begehen Sie Ihren Ehrentag am Sonntag? Sportlich?
Ich feiere gar nicht. Mir ist nicht danach. Die ganze Situation, die Pandemieerscheinungen und die kriegerische Auseinandersetzung Russlands mit der Ukraine, das gefällt mir alles nicht. Jeder sollte auf sich und seine Gesundheit aufpassen, aber auch auf andere und eine Spende machen, so wie ich und meine Frau es getan haben. Was diese kriegerische Geschichte in der Ukraine angeht, das lehne ich voll ab! Und ich hoffe, dass die Sache schleunigst beendet wird.
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