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Lasst uns in Frieden (19): Pathos des Waffenverzichts
Ein Pathos des Waffenverzichts wäre angemessen, wie wir es aus der expressionistischen Lyrik kennen
Dass wieder Krieg in Europa ist und ein scheinbar stabiles Gleichgewicht der Kräfte mit einem Mal passé, das - und nicht nach Benjamin, »dass es so weitergeht« - ist aktuell die Katastrophe. Die Rede ist von Zeitenwende, von Heldenmut und Remilitarisierung. Klar lässt Putin sich nicht von Sofakissen und deutschen Helmen beeindrucken, aber Aufrüstung befriedete die Welt bislang auch nicht gerade.
Was Krieg bedeutet, als Terror und Schrecken, findet sich zumeist in den unerzählten Geschichten der Einzelnen, von Tausenden toten ukrainischen Zivilisten, Hunderten gefallenen russischen Soldaten. Ob mehr oder weniger - Zahlen bleiben abstrakt. Dahinter aber verbergen sich persönliche Schicksale, und was das bedeutet, vermag bei uns fast niemand mehr zu ermessen, zu sehr ist das Wissen darum inzwischen verschüttet. Dabei wurden Literaten nach dem Ersten wie nach dem Zweiten Weltkrieg nicht müde, von dem zu berichten, was geschah.
Nicht selten wurden sie dabei reichlich pathetisch wie etwa der expressionistische Lyriker Karl Otten in seinem Band »Thronerhebung des Herzens«, 1918 erschienen in der Reihe »Der Rote Hahn«, einer Serienpublikation des »Die Aktion«-Herausgebers Franz Pfemfert. Hier heißt es etwa: »Mütter! Sagt eure Not, lauter, schreit Schreie weist / Mit euren steifen Fingern auf die Mörder die nach Beute streifen / Hört Gottes Rächerschwert ob ihren Köpfen pfeifen.«
Das klingt unseren Ohren fremd, damals jedoch brachten diese Zeilen Otten mehrere Monate Festungshaft ein. Und gerade jetzt, wo zwei Brudervölker aufeinander schießen, wo einzelne Menschen sich vor Panzerkolonnen stellen, fragt man sich, ob Ottens »O Mensch«-Pathos wirklich so fehl am Platz ist, wenn er ausruft: »Herr lass mich laut und lauter rufen wie das Flammenlied der aufsteigenden Sonne: Brüder! Brüder sind wir! Brüder sind wir alle! Feinde aller Länder verbrüdert euch! Erwacht! Schaut auf, schaut euch um!«
Ein Pathos des Waffenverzichts wäre der jetzigen Situation angemessen. Und vielleicht wäre es ebenso angemessen, wenn man bei uns nicht ganz so laut zu den Waffen riefe. Denn die Waffen haben die unangenehme Eigenschaft, sich wie Coronaviren ganz von selbst zu vermehren, wenn sie nur einmal einen Wirt gefunden haben.
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