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- Italien in der WM-Qualifikation
Die Leiden des Europameisters
Italiens Fußballer kämpfen um die Teilnahme an der WM, viel Vertrauen genießen sie in der Heimat nicht
Auf dem Stiefel setzt wieder das Bibbern ein. Nur mit zwei Siegen in den Entscheidungsduellen gegen Nordmazedonien am Donnerstag und dem Sieger der Partie zwischen Portugal und der Türkei fünf Tage später kann Europameister Italien noch die WM in Katar erreichen. Roberto Mancini verbreitet Optimismus, der an Realitätsverkennung grenzt. «Das Schönste kommt im November und Dezember», bezog sich der Nationaltrainer munter auf die Winter-WM im Wüstenland. Mutig kündigte er an: «Wir haben nur Plan A, keinen Plan B. Wir wollen die WM gewinnen. Also müssen wir auch diese beiden Spiele davor gewinnen.»
In der Aussage steckt natürlich jede Menge Autosuggestion. Und gegenwärtig bleibt die Wirkung bestenfalls auf den im Trainingszentrum Coverciano bei Florenz zusammengezogenen Kader beschränkt. Der Rest des Landes folgt Roberto Mancini eher nicht. Vor allem in den Medien regieren Angst und Panik. Die «Gazzetta dello Sport» reflektierte bereits, was das Ausscheiden bedeuten würde: «Nicht die Apokalypse, aber ein heftiger Rückschlag», hieß es im Sportblatt. Der «Corriere dello Sport» sieht «Italien am Scheideweg», die Angst wurde mit Berichten über die Verletzungsmisere und Zweifeln an der mentalen Verfassung der Nominierten befeuert.
Zahlreiche Schlüsselspieler fehlen verletzt: Außenstürmer Federico Chiesa sagte ebenso ab wie Leonardo Spinazzola, der als offensiver Außenverteidiger so etwas wie ein vierter Angreifer während der wilden EM-Tage war. Außerdem zwickt und zwackt es in den Körpern der Oldies Leonardo Bonucci (34 Jahre) und Giorgio Chiellini (37). Letzterer könnte im ersten, Bonucci aller Wahrscheinlichkeit nur im zweiten Spiel auflaufen. Mittelfelddauerläufer Nicolò Barella ist platt, der technisch begabte Kämpfer Manuel Locatelli positiv auf Covid getestet. Im Sturm herrscht ohnehin Flaute, die Angreifer scheinen das Toreschießen verlernt zu haben.
All das sind objektive Schwierigkeiten. Auf den in der Türkei spielenden - und dort auch treffsicheren - Mario Balotelli verzichtete Mancini, weil ihm die Klubs der Serie A kein Wochenende für einen Extralehrgang der Nationalspieler schenkten und er so den Beinahe-Rückkehrer nicht testen konnte.
Die fehlende Zeit für einen Lehrgang darf man auch als weiteren Beweis dafür werten, wie egal den Klubs der Serie A angesichts der eigenen pekuniären Interessen das Wohl und Wehe der Squadra Azzurra ist. Mancini beklagt das immer wieder. Aber auf die Entwicklung potenzieller Nationalspieler nehmen die Klubs wenig Rücksicht. Von bereits hohen 57 Prozent Anteil ausländischer Spieler in der Serie A zu Amtsbeginn von Mancini ist die Quote stetig auf mittlerweile 62 Prozent angestiegen. Auch deshalb greift er nun verstärkt auf in Italien eingebürgerte Südamerikaner wie Joao Pedro von Cagliari Calcio und Luiz Felipe von Lazio Rom zurück.
In Zukunft dürfte sich der Teufelskreis aus mangelnder Spielpraxis für Auswahlakteure und damit verbundener verzögerter Entwicklung noch verschärfen. U21-Coach Paolo Nicolato beklagte kürzlich, dass in der aktuellen Saisonphase seine Spieler in den Serie A-Klubs und selbst in denen der Serie B kaum noch Einsatzzeit bekämen: «Wir sind mit einer U21 mit Serie A-Spielern gestartet. Jetzt müssen wir schon in der Serie C suchen.
Den aktuellen Abschwung des A-Teams seit dem gewonnenen Finale bei der EM sieht Mancini selbst in einer Mischung aus zu kurzer Regenerationsphase seiner Spieler im Sommer und einem Rückgang von Einsatzwillen, Spielfreude und Glaube an die eigenen Mittel begründet. »Wir müssen zuallererst die Leichtigkeit und die Freude am Spiel wiedergewinnen. Das alles hat uns bei der EM so stark gemacht«, meinte er. Freude ist in Drucksituationen aber auch schwer zu entwickeln. Und gute Spiel sah man in den Monaten zwischen dem siegreichen Auftritt im Wembleystadion und der nun anstehenden Partie gegen Nordmazedonien im Stadio Barbera in Palermo auch eher selten. Verständlich also, dass der Coach die Aufmerksamkeit lieber auf die ferne Zukunft, das WM-Turnier, umzulenken versucht.
Bezeichnend für den Zustand des italienischen Fußballs ist, dass Analysen des kommenden Gegners fast völlig fehlen. Sonderlich bedrohlich wirkt Nordmazedonien, bei allem Respekt und auch angesichts der Erinnerung an den Coup beim Sieg gegen die DFB-Auswahl im März 2021, nicht. Stützen der aktuellen Auswahl sind der beinharte Innenverteidiger Visar Musliu, der im Winter zum Zweitligaletzten FC Ingolstadt gewechselt ist, und Stürmer Alexandar Trajkovski. Der kennt immerhin die heiße Atmosphäre vom Stadion Barbera in Palermo von jeweils zwei Spielzeiten in der Serie A und B. Inzwischen vergoldet er sich allerdings den fußballerischen Vorruhestand in Saudi-Arabien.
Nein, die Angst der Italiener vor dem Ausscheiden speist sich von tief innen. Das Debakel der letzten WM-Qualifikation ist gegenwärtig. Wurde der Triumph in Wembley bei der EM im Sommer noch als Beginn eines goldenen Zeitalters gefeiert, sehen nur wenige Monate später viele darin nur noch einen vereinzelten Sonnenstrahl inmitten tiefster Finsternis. Zumindest im ersten Duell sollte Mancinis Truppe mit spielerischen Mitteln gegen all die Untergangsfantasien ankommen können.
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