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Von einer Gesundheitskrise zur nächsten
Auf dem diesjährigen Public Health-Kongress in Berlin bringt der Ukraine-Krieg das Programm durcheinander
Unter dem Motto »Was jetzt zählt« begann am Dienstag die mittlerweile 27. Ausführung des Kongresses Armut und Gesundheit in Berlin, auch als Public Health-Kongress bezeichnet. Wegen der Corona-Pandemie findet er wie bereits in den vergangenen zwei Jahren auch diesmal ausschließlich online statt. Laut Veranstalter sollte sich das diesjährige Motto auf die beiden großen Menschheitsherausforderungen Klimakrise und Corona-Pandemie beziehen, mit dem Ukraine-Krieg habe sich im Laufe der Vorbereitungen jedoch noch eine dritte Katastrophe aufgedrängt, der man sich stellen wolle.
Eröffnet wurde der Kongress mit allgemein gehaltenen Grußworten unter anderen des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach und Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (beide SPD). Dabei betonte Lauterbach, Gesundheit müsse einen neuen und viel größeren Stellenwert in der Gesellschaft bekommen. Um aus einem viel zu oft nur reaktiven Handeln herauszukommen, müsse der Schwerpunkt dabei auf die Prävention gelegt werden, so der Minister weiter.
Gesundheitliche Prävention wurde in der darauffolgenden Eröffnungsveranstaltung vor allem als eine Frage der besseren Kommunikation gefasst. »Wir brauchen Kommunikatoren, die auf die Menschen zugehen. Vor allem auf jene, die durch eine gewisse Bildungsferne und auch die Ablehnung traditioneller Medien und Informationskanäle nicht so einfach zu erreichen sind«, sagte beispielsweise Martin Dietrich, kommissarischer Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die durch die Corona-Pandemie noch mal beschleunigte Digitalisierung sei dabei jedoch Segen und Fluch zugleich, ergänzte Thomas Götz (Grüne), Staatssekretär für Gesundheit und Pflege des Landes Berlin. »Denn die Digitalisierung führt dann auch wieder zu digitaler Ungleichheit«, so Götz. Er führte diesen Gedanken nicht weiter aus, vermutlich um die Frage nach einer systemimmanenten Ungleichheit zu umschiffen.
Im Gegenteil zeigte sich, dass die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene Zeitenwende angesichts des Ukraine-Krieges auch auf einige Gesundheitsexpertinnen und -experten wirkt. So kommentierte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger, die Situation, dass fast ausschließlich Frauen und Kinder aus der Ukraine fliehen mit den Worten: »Ich spreche mich ja eigentlich gegen die Retraditionalisierung im Geschlechterverhältnis aus, aber in dieser Situation möchte ich mich da zurückhalten angesichts dessen, dass die Frauen fliehen und die Männer kämpfen.«
Bezogen auf das momentane Leid der Menschen in der Ukraine, das den ersten Kongresstag weitgehend überschattete und immer wieder thematisiert wurde, sagte Allmendinger: »Die Möglichkeit von Gesundheit und Freiheit ist den Ukrainern gerade komplett verwehrt. Sowohl der Schutz der körperlichen Unversehrtheit als auch der Schutz des Lebens überhaupt, der bei uns an erster Stelle steht, ist ihnen genommen worden. Zurück bleiben traumatisierte, entwurzelte, heimat- und wohnungslose Menschen.« Sie forderte den sofortigen Stopp »des Gemetzels in der Ukraine«.
Insgesamt sollen im Laufe des Kongresses noch bis zum Donnerstag mehr als 500 Referentinnen und Referenten ihre Expertisen in die Diskussionen einbringen. Die Akteure kommen aus der Wissenschaft, dem Gesundheitswesen, der Politik sowie aus der Praxis und Selbsthilfe. Problematisiert werden sollen vor allem die gesellschaftlichen Strukturen und deren Veränderungspotenziale für einen besseren Gesundheitsschutz. Durch das Zusammenkommen und den Austausch miteinander erfahre eine heterogene Gruppe von Menschen eine Lobby, die oftmals wenig Unterstützung erhalte, so die Veranstalter.
In über 100 Diskussionsforen dreht es sich beim seit 1995 jährlich ausgerichteten Public Health-Kongress rund um die Themen gesundheitliche Ungleichheit sowie soziale Determinanten von Gesundheit. Wie schon in den vergangenen Jahren werden auch dieses Mal etwa 2000 Teilnehmende von außen erwartet. Da ein direktes Zusammenkommen wegen der Pandemie noch nicht möglich ist, rief Allmendinger bei der Eröffnungsveranstaltung auch dazu auf, den digitalen Raum des Kongresses zu einem sozialen Raum zu machen. Konkret ermutigte sie die Teilnehmenden, sich aktiv zu vernetzen und auszutauschen. Inhaltlich forderte die Soziologin, Gesundheitsförderung als soziale Innovation zu begreifen und anzuschieben.
Das sei auch dringend nötig, betonte Ansgar Gerhardus von der Uni Bremen. »Wir sind mit Public Health bisher nicht durchgedrungen«, so der Pflegeforscher. Und das trotz der vor allem pandemiebedingten Situation, in der Gesundheit ein so weit verbreitetes Thema geworden sei und wir von einer Krise in die nächste kämen. »Vor ein paar Jahren hat Gesundheit noch kein Schwein interessiert«, so Gerhardus.
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