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SPD und Enteigner auf Konfliktkurs

Sozialisierungsinitiative kritisiert Benennung konservativer Experten für Fachkommission scharf

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Auseinandersetzung um den weiteren Umgang der rot-grün-roten Koalition mit dem erfolgreichen Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen wird zunehmend schärfer. Nun sorgt die durchgestochene Zusammensetzung der einzusetzenden Expertenkommission, die »Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens« ein Jahr lang prüfen soll, für Unmut bei der Initiative.

Die Kommission soll zwölf Mitglieder haben, je drei sollen von den Koalitionspartnern SPD, Grüne und Linke sowie der Enteignungsinitiative nominiert werden. Nach nd-Informationen setzt die SPD dabei ausschließlich auf hochkarätige Verfassungsrechtler, die allerdings durchweg tendenziell konservativ sind. Einer davon ist der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Michael Eichberger. Er wurde auf Vorschlag der CDU 2006 gewählt und sprach im höchsten deutschen Gericht bis 2018 Recht.

Die beiden weiteren SPD-Kandidaten haben bereits in einem Gutachten sowie in einem juristischen Podcast dargelegt, dass sie den Sozialisierungsartikel 15 des Grundgesetzes unter anderem nicht für anwendbar halten, da die Berliner Landesverfassung einen erweiterten Eigentumsschutz garantiert. Es handelt sich um Christian Waldhoff, Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht der Berliner Humboldt-Universität, sowie Wolfgang Durner, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Dort lehrte zuvor auch Waldhoff.

»Diese Mitglieder machen deutlich, dass der Senat weiter versucht, den einst von der Sozialdemokratie erkämpften Artikel 15 zu begraben«, sagt Moheb Shafaqyar, einer der Sprecher der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. »Die beiden Professoren bedienen sich der exakt gleichen juristischen Argumente wie die Rechtsanwälte der Deutsche Wohnen. Mit ihnen wird es nicht um die Umsetzung des Volksentscheids gehen, sondern darum, ihn zu verhindern«, so Shafaqyar weiter.

Martin Pallgen, Sprecher von Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), reagiert auf nd-Anfrage verärgert: »Durchstechen von Namen vorab und öffentliches Desavouieren von Mitgliedern ist schlechter Stil.« Bestätigen, ob die genannten Juristen tatsächlich der Kommission angehören sollen, will er nicht. Die Liste der Mitglieder werde nach der Senatssitzung am nächsten Dienstag veröffentlicht. Damit wird die angekündigte 100-Tage-Frist eingehalten.

Die Initiative kritisiert außerdem, dass bisher fast ausschließlich Juristinnen und Juristen für die Kommission vorgeschlagen wurden. »Es handelt sich hier nicht ausschließlich um eine juristische, sondern vor allem eine politische und soziale Frage«, so Shafaqyar.

Grüne und Linke haben ihre Benennungen für die Kommission koordiniert. Ein weiterer Spitzenjurist ist Christoph Möllers. Das SPD-Mitglied hat den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität inne. Wie er zur Sozialisierung steht, ist nicht bekannt.

Florian Rödl und Isabel Feichtner scheinen hinter den Zielen des Volksentscheids zu stehen. Der Zivilrechtler lehrt an der Freien Universität und vertrat Berlin vor dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren um den gekippten Mietendeckel. Feichtner ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg. Ann-Kathrin Kaufhold als weitere Juristin ist Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität.

Die achte und letzte namentlich bekannte Person für den Expertenrat ist Thorsten Beckers, Professor für Infrastrukturwirtschaft und -management an der Bauhaus-Universität Weimar, der erste Nichtjurist. Er hatte in einer von der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstalteten Diskussion die Ansicht vertreten, dass eine Sozialisierung haushaltsneutral und unter Verkehrswert möglich sei. Außerdem soll eine noch nicht benannte Vertreterin der gemeinwohlorientierten GLS-Bank nominiert sein.

Die Initiative hat ihre drei Vertreterinnen und Vertreter noch nicht benannt. Den zwölf Kommissionsmitgliedern vorsitzen könnte die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin, die von 1998 bis 2002 Bundesjustizministerin und bis 2009 Bundestagsabgeordnete war.

Den hohen Anteil an Juristinnen und Juristen in der Kommission nennt auch Niklas Schenker, Mietenexperte der Linksfraktion, gegenüber »nd« »unzufriedenstellend«. In der Kommission müssten »auch die wohnungspolitischen Notwendigkeiten sowie die Höhe der Entschädigung geklärt werden«, so Schenker. So negativ wie die Initiative sieht er die Zusammensetzung der Kommission allerdings nicht. »Dass viele Gegner*innen der Vergesellschaftung in der Kommission sitzen, ist Ausdruck der widerstreitenden Auffassungen in der Koalition. Trotzdem bietet die Expertenkommission die historische Chance, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes möglich zu machen«, sagt er zu »nd«. Es dürfe nicht nur um das Ob, sondern vor allem um eine rechtssichere Umsetzung gehen. »Nach der Entscheidung der Initiative über ihre Teilnahme und ihre zu benennenden Personen, muss der Senat die Kommission zügig einsetzen und mit der Arbeit beginnen«, fordert Schenker. Für ihn sei es »irritierend, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Wohnen und Bauen das Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft mit aller Kraft vorantreibt, während die Vertreterinnen und Vertreter des mit großer Mehrheit beschlossenen Volksentscheids lange hingehalten wurden«.

Doch auch zwischen Sozialisierungsinitiative und Linkspartei ist längst nicht mehr eitel Sonnenschein. »Wir können nur bilanzieren: Wenn Absprachen mit uns hinderlich für den Koalitionsfrieden sind, ist dieser wichtiger als Zusagen uns gegenüber«, heißt es in einer kürzlich versandten, »nd« vorliegenden Mail der Kontakt- und Verhandlungsgruppe an den Linke-Landesvorstand. »Ihr habt einen großen Teil eures Wahlkampfs auf unserer Kampagne aufgebaut. Wir sehen aktuell nicht, wie ihr den Versprechen, die ihr damit gemacht habt, mit so einer Art von Politik und einem solchen Ausmaß an Konfliktscheue gerecht werdet«, heißt es weiter.

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