Lasst uns in Frieden (24): Ständiges Theaterzeichen

Im Berliner Ensemble ist die Friedenstaube wieder da

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie ist wieder da, die Friedenstaube auf dem Vorhang im Berliner Ensemble. Brecht hatte sie 1954 aufhängen lassen: »Auf den Großen Vorhang malt die streitbare Friedenstaube meines Bruders Picasso«, hatte er gewünscht. Vorher hatte der höfliche Brecht den Maler um Erlaubnis gebeten, verbunden mit »herzlichem Respekt für alle Ihre schönen und nützlichen Arbeiten«. Und er nannte die Friedenstaube auf dem BE-Vorhang ein »ständiges Theaterzeichen«.

Wenig später übernahm das Leipziger Dokumentarfilmfestival den Vogel in sein Logo und seinen Briefkopf. Es goss ihn als Figur in Meißner Porzellan für seine Hauptpreise. Die Leipziger Tauben waren jahrelang begehrte und ehrenvolle Trophäen als Auszeichnungen für hervorragende Dokumentarfilme, die natürlich alle dem Frieden verpflichtet waren.

Picasso hatte die Zeichnung für den Weltfriedenskongress 1949 in Paris entworfen. Das Bild wirkte auch ohne den Ölzweig, der in der biblischen Legende den Insassen der Arche Noah verkündet, dass die Sintflut zu Ende sei.

Picassos Werke waren in der DDR umstritten. Einerseits war der renommierte Künstler als Verbündeter im Friedenskampf willkommen, anderseits wurden seine Bilder kritisch betrachtet und häufig als formalistisch diffamiert. Seine Friedenstaube bildete eine Ausnahme. Brecht hat eines der berühmtesten Bilder Picassos gut gekannt: »Guernica«, in dem Picasso das faschistische Massaker des spanischen Dorfes 1937 verurteilt hatte. Dieses Bild hat Brecht in seine »Kriegsfibel« aufgenommen. Im BE hing der Vorhang mit der Friedenstaube jahrzehntelang und begrüßte Abertausende Zuschauer.

Brecht wusste, wovon er sprach und schrieb: »Der Frieden ist das A und O aller menschenfreundlichen Tätigkeit, aller Produktion, aller Künste, einschließlich der Kunst zu leben …« Als Berlin noch in Trümmern des Krieges lag, zeigte Brecht in seinem Stück »Mutter Courage und ihre Kinder«, wie im Dreißigjährigen Krieg eine Marketenderin ihre Kinder verliert, um am Krieg zu verdienen.

Brechts Inszenierung seines Stückes am BE wurde ein sensationeller Zuschauererfolg. Da bot die Taube auf dem Vorhang mit ihrer Strahlkraft zeitgleich den Zuschauern ein mehr als beziehungsreiches visuelles Manifest an, zu einer Zeit, da der Kalte Krieg in Europa seine Eskalationen noch vor sich hatte. Ein solches Symbol und in solcher zeichnerischen Schönheit hing in keinem deutschen Theater jener Jahre.

Die Friedenstaube wurde viel gezeigt, oft stilisiert in den verschiedensten Variationen und Zusammenhängen. Wikipedia präsentiert sogar eine sowjetische Sonderbriefmarke zu Picassos 100. Geburtstag im Jahre 1983, für damalige sowjetische Verhältnisse war das eine erstaunliche Ausnahme. Und auch das DDR-Kinderlied von der kleinen weißen Friedenstaube wurde von Picassos Taube angeregt.

Eine Nachwende-Intendanz im BE hat den Friedenstauben-Vorhang abhängen lassen - aus Gründen, die man sich rasch denken kann. Das Kinderlied verschwand aus den Schulbüchern. Nun hängt der Vorhang mit der Friedenstaube wieder - als Forderung und Mahnung, als sinnliches und schönes Bild. Dort sollte er bleiben. Dauerhaft. Jeder weiß, weshalb.

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