• Politik
  • Aufrüstung in Deutschland

Goldenes Jahrzehnt der Rüstungslobby

Die Bundesregierung will eine deutsche Raketenabwehr aus Israel. Doch davor stehen Fragezeichen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte bereits in der vergangenen Woche, dass die Verwendung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens, mit dem die Bundeswehr bedacht werden soll, Chefsache ist. Deshalb traf sich der SPD-Mann ohne den Umweg über die zuständige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit Generalinspekteur Eberhard Zorn. Was kam heraus? Eine Indiskretion, gespickt mit allerlei Unsinn. So berichtete die «Bild am Sonntag», Deutschland wolle Israels «Iron Dome» (Eiserne Kuppel) über Deutschland spannen, um möglicherweise anfliegende russische Raketen abzuwehren. In der Tat: «Iron Dome» funktioniert hervorragend – bei der Abwehr von kleinen Kurzstreckenraketen à la Kassam, die von der Hamas und anderen Gruppierungen im Gaza-Streifen «über den Zaun» nach Israel geschossen werden. Die Bundeswehr könnte es vermutlich gebrauchen – zur Auffüllung der kaum noch vorhandenen Heeresflugabwehr. Doch gegen atomar bestückte russische Lang- und Mittelstreckenraketen, gegen «Iskander» oder Hyperschall-Flugkörper ist das System nicht einsetzbar.

Wirkungsvoller wäre das von der Israel Aerospace Industries (IAI) und dem US-Konzern Boeing entwickelte «Arrow»-System. Das wurde ab 1986 entwickelt, um Raketen mit Reichweiten von mehr als 200 Kilometern abzufangen. Das «Arrow-3»-System kann inzwischen mehr. Seit 2017 ist es einsatzbereit und soll ballistische Raketen während ihres sogenannten Weltraumfluges, also außerhalb der Atmosphäre, abfangen und sogar Satelliten vernichten können. Auch wenn Deutschland weitaus größer ist als Israel, könnte man durchaus versuchen, mit «Arrow» einen deutschlandweiten Schutzschirm aufzubauen. Falls das System tatsächlich – wie vom Hersteller behauptet – High-Tech-Raketen abwehren kann. Verwendet wird es bislang lediglich in Israel, um herkömmliche iranische Mittelstreckenraketen abzuwehren. Die sind mit den modernsten russischen Angriffsmitteln nicht vergleichbar. Und was soll Deutschland für das «Arrow-3-System zahlen? Nur zwei Milliarden Euro, las man. Die Zahl haben angeblich Sicherheitsexperten deutschen Medien gesteckt – und so die Leserschaft veralbert.

Zwar gab es Gerüchte, laut denen sich die Bundeswehr nicht nur für US-amerikanische F-35-Atombomber, sondern auch für THAAS-Flugabwehrraketen aus Übersee interessiert. Die sind mit den »Arrows« vergleichbar. Bislang jedoch ist das »Patriot«-System von Lockheed Deutschlands Versicherung für einen »sauberen« Luftraum. Nach dem Ende des Kalten Krieges behielt die Bundeswehr zwölf ihrer einst 36 Raketensysteme. Zehn sind im operativen Einsatz, einige gerade in der Slowakei. Um das System zu optimieren, hat Deutschland das mit den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten glücklos entwickelte bodenbewegliche Abwehrsystem MEADS (Medium Extended Air Defense System) aufgegeben.

Derzeit wird das deutsche »Patriot«-System durch den Kauf von 50 Flugkörpern der neuesten Art ertüchtigt. Diese zum Schutz bestimmter Räume, also punktuell einsetzbaren, PAC-3 MSE kosten ohne Radar und Kommandotechnik allein mehr als 400 Millionen US-Dollar. Dass man in aller Eile ein komplettes, hochmodernes »Arrow«-3-System, mit dem das gesamte Bundesgebiet geschützt werden könnte, für nur zwei Milliarden Euro beschaffen kann, ist also absurd. Gleiches gilt für die Errichtung eines separaten deutschen Raketen-Schutzschirms generell. Schließlich ist Deutschland via Combined Air Operations Center (CAOC) bei Kalkar fest in das Abwehrsystem der Nato integriert.
Die für »Arrow-3« ausgelegten Radargeräte – so ein weiteres Gerücht – sollen so leistungsstark sein, dass man mit ihnen auch den Luftraum über Polen, Rumänien oder dem Baltikum im Blick habe. Ergo: Die Verbündeten dort müssten also nur noch ein paar eigene Raketen aufstellen und den Radardaten aus Deutschland vertrauen. Die Aussage zeugt kaum von Realitätssinn, denn in Polen wie Rumänien haben die USA – sehr zum Ärger Russlands – weit umfangreichere Raketenabwehrsysteme errichtet. Während der jüngsten Gespräche mit US-Präsident Joe Biden im südostpolnischen Rzeszow bat Präsident Andrzej Duda überdies um eine raschere Lieferung der bestellten kompletten »Patriot«-Systeme. Die sollen neben den bereits von den USA nach Polen beorderten gleichartigen Batterien aufgestellt werden.

Auch wenn Grüne und FDP bereits die vom Kanzler bestätigten Pläne pauschal abgenickt haben – das alles passt noch nicht zusammen. Es sei denn, die Nato plant einen ganz großen europäischen »Wurf«, überträgt dabei Deutschland strategische Aufgaben zur Raketenabwehr in Europa und entlastet so die auf China fixierten USA. Davor stehen noch viele Fragezeichen. Gewiss dagegen ist: Nach der 100-Milliarden-Euro-Bundeswehr-Offerte ist für Rüstungslobbyisten und ihre Auftraggeber ein goldenes Jahrzehnt angebrochen. Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine bietet dafür ausreichend Anlass.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -