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Jeder Achte offen für QAnon
Studie untersucht Verbreitung von US-Verschwörungsglauben
Es sorgte für Irritationen, als Xaidoo Naidoo im April 2020 ein Video veröffentlichte, in dem der Musiker mit einem Nervenzusammenbruch kämpfend wirre Thesen verbreitete. Die bizarrste: Eine geheime Elite halte Tausende Kinder in unterirdischen Bunkern gefangen und vergehe sich mittels satanischer Riten an ihnen.
Naidoo wurde durch das Video über Nacht zum bekanntesten deutschsprachigen Anhänger der aus den USA stammenden QAnon-Bewegung. Eine Studie des Berliner Centers für Analyse, Strategie und Monitoring (CeMas) belegt nun: Jeder Achte in Deutschland ist offen für die Verschwörungserzählungen von QAnon.
Auftrieb erhielt die Bewegung laut den Forscher*innen mit Ausbruch der Coronakrise. Anhänger*innen von QAnon wurden bei Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gesichtet, auch erkennbar am Tragen des Buchstabens »Q« auf Fahnen oder Kleidungsstücken. Die Schnittmengen zwischen beiden Bewegungen sind laut Studie groß. Aktuell noch ungeimpfte Menschen stimmen zu 46 Prozent mindestens teilweise zentralen Verschwörungserzählungen von QAnon zu, bei den Geimpften sind es nur 8,7 Prozent.
Aufhorchen lässt, dass in der Gesamtbevölkerung einerseits eine klare Mehrheit nichts mit den wirren Thesen anfangen kann, andererseits eine nicht zu unterschätzende Minderheit sich offen zeigt: In der repräsentativen Erhebung stimmten 16,4 Prozent mindestens teilweise der Behauptung zu, das Land werde »von einer fremden Macht beherrscht, die im Hintergrund die Fäden zieht«. Die Anschlussfähigkeit an die Verschwörung »einer Gruppe satanischer Pädophiler« fällt mit 8,4 Prozent geringer aus. Größer ist mit 15 Prozent die mindestens teilweise Zustimmung zur Behauptung, bei der letzten Bundestagswahl habe es »systematischen Wahlbetrug gegeben«. Wenig überraschend ist die Erkenntnis, wonach AfD-Anhänger*innen besonders empfänglich sind: 44 Prozent stimmen laut Studie QAnon-Verschwörungserzählungen »eher« zu. Bei den Wähler*innen aller anderen Parteien liegt der Wert viel niedriger, teils im untersten einstelligen Bereich.
Auffällig sei, wie sich QAnon inzwischen verselbstständigt. Ursprünglich geht die Bewegung auf in Internetforen veröffentlichte Beiträge zurück, die ab Oktober 2017 unter dem Pseudonym »Q« erschienen. Bis heute ist unklar, ob sich hinter dem Kürzel eine Einzelperson oder Gruppe verbirgt. Besagter »Q« behauptete, über tiefe Einblicke in die US-Politik zu verfügen. QAnon-Anhänger*innen waren später maßgeblich am Sturm auf das Kapitol in Washington im Januar 2021 beteiligt.
Doch obwohl »Q« seit über einem Jahr keine Botschaften veröffentlicht, ist seine Anhängerschaft weiter äußerst aktiv. Der größte deutschsprachige QAnon-Kanal auf dem Nachrichtendienst Telegram zählt 140 000 Abonnent*innen, in den 84 Gruppen, in denen die Nutzer*innen selbst schreiben können, wurden 2021 über 8,3 Millionen Nachrichten ausgetauscht. Die Forscher*innen gehen davon aus, dass es nach den USA im deutschsprachigen Raum die zweitgrößte QAnon-Szene gibt.
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