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Ungesunde Löhne
Beschäftigte der Ruppiner Kliniken fordern lange vorenthaltenen Tarif
Die Geschichte der Ruppiner Kliniken beginnt als Landesirrenanstalt, so hieß das damals. 1897 wurden die ersten 1000 Kranken aufgenommen. Eine Psychiatrie gibt es immer noch. Doch heute handelt es sich um ein Krankenhaus mit allem, was sonst noch dazu gehört: Chirurgie, Gynäkologie und Kardiologie zum Beispiel - und im Schlepptau sogar eine Medizinischen Hochschule.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Verrückt klingt, dass die 1400 Beschäftigten der Ruppiner Kliniken und ihrer Tochterfirma Ostprignitz-Ruppiner Gesundheitsdienste nur 91 Prozent des Tarifs für den öffentlichen Dienst erhalten, obwohl es ein kommunales Krankenhaus ist, das dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin gehört. Doch 2001 traten die Kliniken aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband aus. Das ist keine Seltenheit. Von 54 Krankenhäusern im Land Brandenburg zahlen nur drei nach Tarif.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi streitet nun aber dafür, dass die Monatslöhne der Ruppiner Kliniken an den Tarif angeglichen werden. Dann gäbe es immer noch Benachteiligungen, stellt Verhandlungsführer Torsten Schulz klar. Denn bei der Jahressonderzahlung, bekannt als Weihnachtsgeld, würden die Krankenschwestern und das übrige Personal dann trotzdem noch etwa 30 Prozent weniger erhalten. Auch davon, dass im öffentlichen Dienst die Wochenarbeitszeit bis 2025 von 40 Stunden auf 38,5 gesenkt wird, will Verdi gar nicht anfangen. Die Gewerkschaft konzentriere sich in der laufenden Tarifauseinandersetzung auf die Anhebung der zwölf Monatslöhne auf 100 Prozent, erzählt Schulz.
In den bisherigen Verhandlungsrunden gelang darüber keine Einigung mit der Klinikleitung. Diese hat angeboten, die Löhne 2022 auf 92 Prozent anzuheben und bis 2024 auf 95 Prozent. Das würde im Jahr 2022 Mehrkosten von 1,85 Millionen Euro bedeuten, rechnet Verena Clasen vor. Sie ist Sprecherin der Klinik-Holding. »Wir können nur verantwortungs- und maßvoll im Rahmen unserer Möglichkeiten Angebote vorlegen. Diese sind durch die Krankenhausfinanzierung limitiert«, erklärt Clasen. Auf kommunaler Ebene seien bundespolitische Probleme wie die mangelnde Krankenhausfinanzierung nicht zu lösen. Bei einer Verbesserung der Rahmenbedingungen wäre man bereit, Tarifabschlüsse nachzubessern.
So tritt die Belegschaft am Mittwoch den mittlerweile sechsten Tag in den Warnstreik. Ein Notdienst arbeitet, während knapp 200 Kollegen mit roten Fahnen und gelben Warnwesten zum Landratsamt ziehen. Dort verleihen sie bei einer Kundgebung einer politischen Forderung Nachdruck. Es sind 932 Unterschriften gesammelt worden, die der Kreistag am Donnerstag als Petition behandeln sollte. 932 Beschäftigte wünschten, dass die Kliniken dem Kommunalen Arbeitgeberverband beitreten und dadurch automatisch wieder Tarif zahlen. Deshalb entstehende Defizite soll der Landkreis ausgleichen.
Darüber befinden sollte der Kreistag in nicht öffentlicher Sitzung am Donnerstagabend erst nach Redaktionsschluss. Es war allerdings absehbar, dass der Vorstoß keine Mehrheit erhält. Das sagt Linksfraktionschef Justin König den Streikenden am Mittwoch vor dem Landratsamt. Nur die sieben Stimmen der Linksfraktion könne er ihnen versprechen, bedauert er. Das werde aber nicht ausreichen. Alle 46 Kreistagsabgeordneten sind zur Streikkundgebung eingeladen. Es erschienen nur Justin König, Paul Schmudlach und Ines Nowack (alle Linke). Sie bringen einige Genossen mit und schenken heißen Tee und Kaffee an die Krankenschwestern aus, die gern zugreifen, weil es sehr kalt ist. Obwohl Justin König nicht viel Hoffnung machen kann, erhält der 24-Jährige viel Applaus für seine aufmunternden Worte. »Ihr müsst durchhalten, weiter streiken und Druck machen«, rät er. Dass wollen die Streikenden auch tun. Am Donnerstag ziehen sie wieder los - zum Protest vor der Kreistagssitzung im Kyritzer Kulturhaus.
Dass die Ruppiner Kliniken das Geld nicht mit vollen Händen ausgeben können, ist Justin König bewusst. 2019 habe der Kreistag den Kliniken für den Notfall schon Kredite bewilligt, die diese dann doch nicht in Anspruch nehmen mussten, erzählt er. Unfair sei, dass die alten Ruppiner Kliniken größtenteils in der vor 125 Jahren üblichen Pavillonbauweise errichtet sind - also aus vielen einzelnen Gebäude bestehen, wofür es bei der Krankenhausfinanzierung keinen Aufschlag gebe. Damals sollte die separierte Bauweise der Ausbreitung von Infektionskrankheiten zwischen den einzelnen Abteilungen entgegenwirken. Die moderne Desinfektion erfordert das heute nicht mehr, und nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich die kompakte Bauweise von Krankenhäusern in Deutschland durch. Viele alte Gebäude verursachen aber höhere Betriebskosten.
Trotz alledem hält König die Lohnangleichung für gerecht und geboten. Denn Potsdam und Berlin, wo Krankenschwestern der Tarif winkt, sind für Pendler aus Neuruppin erreichbar. Was nütze modernste Technik, die alle Operationen außer solche am offenen Herzen erlaube, wenn das Personal fehle. Schon jetzt seien im Pflegedienst 65 Stellen unbesetzt. Ohne bessere Bezahlung werde es in Zukunft schwierig, die erforderlichen Fachkräfte zu finden.
Bereits bei einem Warnstreik am 28. Februar äußerte sich Landrat Ralf Reinhardt (SPD) zu der Idee, der Landkreis solle jährlich sieben Millionen Euro zusätzlich an die Ruppiner Kliniken überweisen, damit diese den Tariflohn zahlen können. Dieses Geld müssten Städte und Gemeinden abgeben, sagte er. Zehn Bürgermeister und Amtsdirektoren lehnten es aber ab, dass ihre Umlage an den Landkreis um 5,5 Prozent erhöht wird. Mit der aktuellen Kreisumlage von 40 Prozent sei die Grenze des Machbaren erreicht, heißt es in einer Stellungnahme, gezeichnet auch von Heiligengrabes Bürgermeister Holger Kippenhahn (Linke).
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