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Feldforschung im rechtsextremen »Hotspot«

Das Else-Frenkel-Brunswick-Institut, das in Sachsen die Zivilgesellschaft stärken will, stellt sein erstes Jahrbuch vor

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wurzen ist kein »zivilgesellschaftliches Niemandsland«. Über 100 Vereine gibt es in der Kleinstadt, die nicht weit von Leipzig an der Mulde liegt. Doch vielfältiges gesellschaftliches Engagement bietet keine Gewähr dafür, dass demokratiefeindliche Bestrebungen erfolgreich zurückgedrängt werden können. In Wurzen sitzen zwei rechte Parteien im Stadtrat; die militante Szene ist in Kampfsportstudios und mit Versandläden gut verankert. Die Zivilgesellschaft ist indes gespalten; offenes Engagement gegen rechts ist alles andere als die Regel. Ein paar Initiativen halten dagegen, »aber die Hegemonie zu erlangen, ist ein schwieriges Geschäft«, sagt Oliver Decker, »und in Wurzen gelingt es bisher nicht«.

Decker leitet ein Institut, das Engagierten wie in Wurzen den Rücken stärken soll. Der Sozialforscher ist Direktor des Else-Frenkel-Brunswick-Instituts (EFBI) an der Uni Leipzig, das im Herbst 2020 gegründet wurde. Es ist nach einer renommierten Sozialpsychologin benannt, die in den 1940er Jahren in den USA maßgeblich an Studien zur »autoritären Persönlichkeit« beteiligt war. In der Selbstbeschreibung des Instituts heißt es, man wolle »die Demokratie in Sachsen erforschen«. Zu den konkreten Aufgaben gehört es, rechtsextreme Bestrebungen in dem Bundesland in den Blick zu nehmen. Im Koalitionsvertrag, den CDU, Grüne und SPD im Freistaat im Herbst 2019 schlossen, ist von einer »Dokumentations- und Forschungsstelle zur Analyse und Bewertung demokratiefeindlicher Bestrebungen« die Rede. Als die grüne Justizministerin Katja Meier den Förderbescheid für das Institut übergab, wünschte sie sich, dass die Forschungseinrichtung das gewonnene Wissen »bewertet und sehr verständlich (...) zur Verfügung stellt«. Münden soll das in Beratung und Unterstützung für zivilgesellschaftliche Initiativen in Wurzen und anderswo. Welche Aktivitäten dazu unternommen wurden und wie das bisher gelingt, wird in einem jetzt vorgelegten ersten Jahrbuch bilanziert.

Forschung zum Thema Demokratie und Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus wird auch in anderen Bundesländern betrieben, etwa in Thüringen und Brandenburg; in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gibt es entsprechende Pläne, sagt Decker, der auch auf ein derzeit entstehendes Netzwerk verweist. Allerdings sei der Handlungsdruck in Sachsen höher als anderswo. Sowohl antidemokratische Bestrebungen als auch die mit ihnen verbundene Gewalt seien in den zurückliegenden Jahrzehnten »im Freistaat Sachsen immer stärker als in anderen Bundesländern« gewesen, heißt es im Vorwort des inhaltlich substanziellen und optisch ansprechend gestalteten, 272 Seiten umfassenden Bandes, der im Buchhandel zu beziehen sowie auf der Homepage des Instituts herunterzuladen ist. Decker spricht unter Verwendung eines in der Pandemie oft genutzten Begriffs von Sachsen als »einer anderen Art Hotspot« – einem der extremen Rechten.

Der Frage nach den Gründen sind Wissenschaftler und Journalisten immer wieder nachgegangen: nach dem Einzug der NPD in den Landtag 2004, mit dem Aufstieg der AfD, die in Sachsen erste Erfolge feierte und heute bundesweite Rekordergebnisse erzielt; nach dem Auffliegen der rechten Terrorzelle NSU, die lange unentdeckt von Westsachsen aus agieren konnte, oder dem Aufkommen der islamfeindlichen Bewegung Pegida, die 2015 teils Zehntausende Menschen in Dresden mobilisierte. Decker nennt einige Gründe. Es habe in der lange CDU-dominierten Landespolitik eine »ungute Tradition des Wegschauens und Bagatellisierens« gegeben – aus einer »falsch verstandenen strategischen Überlegung« heraus, potenzielle Wähler nicht zu verprellen. Eine wichtige Rolle hätten auch Kränkungen und Verluste nach Ende der DDR gespielt. Das sei eine »Leerstelle«, die bereits von der NPD angesprochen wurde und nun von der AfD geschickt instrumentalisiert werde, sagt Decker mit Hinweis auf jüngere Wahlkampfslogans der Rechtspopulisten wie »Vollende die Wende«.

Allerdings gibt es auch länger wirkende, erst bei genauerem Hinsehen auffällige Befunde. Eines der ersten Projekte des EFBI, zu den »sozialraumnahe Forschung« betrieben und Interviews sowie Gruppendiskussionen durchgeführt wurden, befasste sich mit »Geschlechterdemokratie und Antifeminismus« im Erzgebirge. In der Region, sagt EFBI-Vizedirektorin Fiona Kalkstein, gebe es eine starke »Lebensschutzbewegung«, die gegen Abtreibungen, gegen Frauenschutzhäuser und Bemühungen zur Bekämpfung sexueller Gewalt mobilisiert. Getrieben werde das von evangelikalen Kreisen. Deren radikale Positionen stellten eine »Brückenideologie« dar, die sowohl bürgerliche wie rechtsextreme Kreise anspreche, verbinde und ein Klima entstehen lasse, in dem Engagement für Demokratie und Vielfalt sehr erschwert wird.

Das Leipziger Institut will dieses dennoch unterstützen und befördern. Man wolle, sagt Decker, Initiativen vernetzen, ihnen helfen zu erkennen, welche ihrer bisher verfolgten Strategien aus welchen Gründen nicht erfolgreich waren und warum in Städten wie Wurzen Allianzen nicht zustande kommen, obwohl es sich nicht um »zivilgesellschaftliches Niemandsland« handelt. Es gehe um die Frage, wie »die Isolierung demokratischen Engagements zu überwinden ist«. Strategien dazu sollen im nächsten Schritt entwickelt werden. Wie sie aussehen, ist hoffentlich im nächsten Jahrbuch des Instituts zu lesen.

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