- Berlin
- Die Linke in der Krise
Letzte Chance für die Linke
Landesverband Brandenburg wählt einen neuen Vorstand, und auch die Berliner Genossen halten einen Parteitag ab
Justin König redet nicht künstlich erregt wie viele Berufspolitiker. Er spricht auf einer Streikkundgebung ganz ruhig zu den Beschäftigten der Ruppiner Kliniken. Die tiefe Stimme des Linksfraktionschefs im Kreistag Ostprigniz-Ruppin klingt angenehm warm. Er erhält Applaus. Dabei gibt er ehrlich zu, dass seine Partei zu schwach ist, die Forderung der Krankenschwestern nach mehr Lohn durchzusetzen. Eine Genossin wundert sich bei König nicht über den Beifall. »Er spricht so, dass man ihm gern zuhört«, bemerkt sie anerkennend.
König studiert noch. Er ist 24 Jahre alt und bewirbt sich am Sonntag als stellvertretender Landesvorsitzender. Ihm ist klar, dass Linke in der Bevölkerung kaum noch Gehör finden. Ihm ist klar, dass es nicht die Zeit ist für ein Gerangel um Posten. Denn wenn sich der Abwärtstrend der Partei fortsetzt, dann scheitert sie bei der Landtagswahl in zweieinhalb Jahren an der Fünf-Prozent-Hürde - und hat gar keine Posten mehr zu vergeben.
Bei einem Parteitag am 2. und 3. April im Schönefelder Hotel »Holiday Inn« wählt Brandenburgs Linke einen neuen Landesvorstand. Vielen ist bewusst, dass die Partei höchstens noch eine Chance bekommt, das Ruder herumzureißen - und diese Chance bei Strafe ihres Untergangs nutzen muss. Das vermutet auch Julia Wiedemann. Sie glaubt, dass nur geeintes Auftreten Die Linke noch retten könne. Wiedemann ist Kreisvorsitzende in Oder-Spree. Sie bewirbt sich wie auch die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré als stellvertretende Landesvorsitzende.
Geeintes Auftreten war zuletzt bekanntlich nicht die Stärke der Sozialisten. Nicht von ungefähr versichert die Landesvorsitzende Katharina Slanina nun: »Ich stehe für eine politische Kultur in unserer Partei, in der nicht länger einzelne Lager versuchen, Punktsiege über andere zu erringen.« Sie hat sich redlich bemüht, den Laden irgendwie zusammenzuhalten - zwei Jahre lang in einer Doppelspitze mit Anja Mayer. Doch Mayer zieht sich zurück. Slanina suchte nach Ersatz, führte Gespräche und entschloss sich am Ende, es allein zu versuchen. Das hat auch einen finanziellen Vorteil. Slanina macht den Job ehrenamtlich. Die hauptamtliche Funktion von Mayer könnte eingespart werden. Geld wird gebraucht für den Landtagswahlkampf 2024. Das wird aber knapp, weil mit dem Mitgliederschwund die Beiträge sinken und mit den Wahlniederlagen die Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Nur 11,7 Prozent erhielt Brandenburgs Linke bei der Landtagswahl 2019 und bloß 8,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021. Bei der Landtags- und Bundestagswahl 2009 waren es noch 27,2 beziehungsweise 28,5 Prozent.
Aber Anja Kreisel sagt: »Unser Landesverband kann nicht mit nur einem Vorsitz zusammengehalten werden. Es braucht auch an der Spitze mehr Schultern.« Die Medienpädagogin aus Frankfurt (Oder) arbeitete früher in der Landesgeschäftsstelle. Sie kandidiert für eine Doppelspitze, so wie auch der Ex-Bundestagsabgeordnete Norbert Müller. »Noch ist längst nicht alles verloren«, sagt er. Aber nur gemeinsam könne man die Partei wieder flottmachen.
Der Parteitag soll am Samstagabend beschließen, ob es die nächsten zwei Jahre eine Doppelspitze geben wird oder nicht. Auch die Zahl der Stellvertreter ist zu bestimmen. In der Vergangenheit gab es mal zwei und mal vier. Die Gesamtzahl der Vorstandsposten ist indes in der Satzung schon festgelegt: Es sind 18. Von den bisherigen Vorstandsmitgliedern wollen sieben weitermachen, darunter Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg und Schatzmeister Mario Dannenberg. Wollenberg ist nach jetzigem Stand der einzige Kandidat für eine Funktion ohne Mitbewerber. Kandidaten können sich aber auch auf dem Parteitag noch melden. Der 24-jährige Justin König ist übrigens nicht der jüngste unter den 26 Kandidaten für den Vorstand. Jerôme Jan Zander aus Gransee und Yasmin Kirsten aus Cottbus sind erst 22 Jahre alt.
»Die Linke handelt«, das ist laut der Berliner Landesvorsitzenden Katina Schubert die Überschrift des ebenfalls am Samstag stattfindenden Parteitags der Hauptstadt-Sozialisten. Die Ausgangslage ist besser als in Brandenburg, doch auch hier sinkt die Zustimmung bei den Wählenden. Laut aktuellem Berlin-Trend von RBB und »Berliner Morgenpost« würden aktuell noch zwölf Prozent ihr Kreuzchen bei der Linken machen. Bei der Abgeordnetenhauswahl vor einem halben Jahr kam die Partei auf 14,1 Prozent, 1,5 Prozent weniger als bei der Wahl 2016.
»Wir schaffen noch sehr gute Ergebnisse innerhalb des S-Bahn-Rings«, so Schubert. Außerhalb der Innenstadt sei eine »abnehmende Bindungskraft« zu beobachten. Neben einer »relativ ausführlichen Generaldebatte« werde es um die Wahlauswertung, das »Mammutthema Energiearmut« sowie um den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen gehen. Unter anderem der Umgang des Senats damit sorgt für Zerwürfnisse nicht nur mit der Initiative, sondern auch innerhalb der Partei. »Ich weiß, dass es Mitglieder in unserer Partei gibt, die ständig darauf warten, dass man diese Koalition schnellstens beendet. Die gehören aber zu den 25 Prozent, die diese Auseinandersetzung nicht gewonnen haben«, sagt Schubert dazu.
»Alles steht natürlich unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges«, sagt Katina Schubert beim Pressegespräch am Mittwoch. Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Partei in eine noch schwierigere Lage gebracht. Zuletzt sorgten auch die Einlassungen der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht unter anderem zu Corona für Ärger. Am Mittwoch sind drei Viertel des Berliner Linke-Landesvorstands in Quarantäne, auch Schubert ist infiziert und wird am Samstag der Präsenzveranstaltung im Neuköllner Estrel-Hotel zugeschaltet.
»Mein vorderstes Ziel ist, dass die Bundespartei wieder auf die Beine kommt«, sagt Schubert, auch wenn Berlin sich vom Trend etwas abkoppeln könne. Die Linke sei momentan in einer »sehr, sehr komplizierten Lage, nicht erst seit der Saarland-Wahl«. »Welchen Gebrauchswert hat Die Linke?«, vor dieser Frage stehe man. Dazu komme die »völlige Zerstrittenheit« der Partei und »absolute Implosionsprozesse« in manchen Landesverbänden, was die Mitgliederzahlen angeht.
»Wenn die Bundespartei untergeht, geht auch der Landesverband unter«, sagt Katina Schubert. So weit wolle man es gar nicht kommen lassen. Die vergleichsweise mitgliederstarke Berliner Linke könne Vorbild sein - mit Gestaltungsanspruch und einem deutlich stärkeren Miteinander als in anderen Ländern oder im Bund, unterstreicht Landesgeschäftsführer Sebastian Koch.
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