Hoffnung auf Aufklärung

Zehn Jahre nach dem Mord an Burak Bektaş liegt der Antrag auf einen unabhängigen Untersuchungsausschuss zu rechter Gewalt in Neukölln vor

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Findet seinen Mörder!« - die Forderung ist unmissverständlich. Es sind Freunde und Angehörige des am 5. April 2012 auf offener Straße in Neukölln von einem Unbekannten erschossenen, damals 22-jährigen Burak Bektaş, die seit zehn Jahren darauf warten, dass es endlich einen Ermittlungserfolg gibt. Sie wollen wissen: Wer hat auf ihn geschossen und warum? Zwei der Freunde des Jugendlichen wurden lebensgefährlich verletzt, überlebten den Anschlag knapp.

»Der Tathergang erinnert an die Morde des NSU. Solange das Gegenteil nicht bewiesen wird, gehen wir von Rassismus als Tatmotiv aus«, erklärt die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş anlässlich des zehnjährigen Todestages des jungen Neuköllners an diesem Dienstag. Sie klagt an, dass es seit 2012 nicht ausreichend Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden gegeben habe, das mutmaßlich rechte Verbrechen zu untersuchen.

Den Eindruck teilen in Berlin viele, vor allem aber diejenigen, die zuweilen über Jahre Opfer und Betroffene von rechten Attacken sind. Im Bezirk Neukölln erleben antifaschistisch Engagierte zuweilen nahezu alltäglich so etwas - rechnet man zahllose Schmierereien und Beleidigungen dazu. Entscheidender für eine Strafverfolgung dürften Drohungen mit eindeutig rechtsextremen Inhalten und Motiven an Privatadressen sein, Morddrohungen, Steinwürfe, Farb- und mindestens 16 Brandanschläge auf Autos, Wohnhäuser, einen Wagenplatz, Ladengeschäfte wie den Buchladen »Leporello« oder das Neuköllner Café »k-fetisch« - die Liste sei lang, erklärt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Die MBR zählt zur »rechtsextremen Straftaten- und Angriffsserie im Zeitraum zwischen 2016 und 2019 mindestens 55 Attacken auf Engagierte«, erklärt Klose bei einer Veranstaltung des Vereins Helle Panke in der vergangenen Woche. Ginge man im Hinblick auf ähnliche Angriffsserien mit zum Teil den gleichen mutmaßlichen Tätern zurück bis in das Jahr 2009, würde die Zählung mindestens 157 Anschläge umfassen, so die Leiterin der MBR. »Bis heute stand für diese Taten niemand vor Gericht.«

Zwischen Mai 2015 und Ende 2016 habe es keine Anschläge gegeben - die Expertin geht davon aus, dass dies im Zusammenhang mit einer damals in einer anderen Strafsache zu verbüßenden Haftstrafe eines der Hauptverdächtigen steht.

Warum die genannten Gewalttaten gegen antifaschistisch Engagierte nicht zu ausreichender Aufklärung und vor allem zu Anklagen führen, ist kein unerklärliches Phänomen. Die Beratungsstelle rechnet die jüngste Serie in diesem Zusammenhang zum sogenannten Neukölln-Komplex. Darin verstrickt sind mutmaßlich Berliner Polizisten sowie Beamten bei Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft, die der rechten AfD nahestehen, wie im Fall des Neuköllner Polizisten Stefan K., eines mutmaßlichen Täters eines gemeinschaftlich auf einen jungen Afghanen verübten rassistischen Angriffs.

Auch der Brandanschlag auf den Linke-Abgeordneten Ferat Koçak, der diesen überlebt hatte, gehört dazu: trotz weitreichender Erkenntnisse, dass der Politiker als Opfer von zwei polizeilich überwachten Verdächtigen galt, hatte man Koçak vor einer möglichen Gefahr nicht gewarnt.

Dieses Vorgehen sorgt bei Betroffenen für Wut und große Verunsicherung. Seit Jahren fordern sie: Wie tief die Verbindungen in den Staatsapparat reichen, die mutmaßliche Täter aus dem rechtsextremen Milieu seit Jahren schützen und ihnen erlauben, ungestraft zu operieren, müsse endlich mit einem unabhängigen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden. Denn selbst eine extra berufene Expertenkommission unter dem Vorsitz der ehemaligen Polizeipräsidentin von Eberwalde, Uta Leichsenring, und des langjährigen Bundesanwalts Herbert Diemer bescheinigte Polizei und Justiz im vergangenen Jahr zwar kritisch Ermittlungspannen, aber keine grundlegenden Fehler bei der Arbeit.

Die Betroffenen und ihre Unterstützer*innen wurden nun erhört: Seit wenigen Tagen liegt der Antrag für einen unabhängigen Untersuchungsausschuss durch die Fraktionen von SPD, Grüne und Linke nun tatsächlich vor. Er kann im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen werden.

Der Auftrag für den Ausschuss ist klar formuliert: Das elfköpfige Gremium soll das bisherige Behördenhandeln im Zusammenhang mit den Straftaten prüfen, wie sie Bianca Klose beschrieben hatte. Wie umfassend der Neukölln-Komplex damit noch einmal unter die Lupe genommen werden soll, wird anhand der 60 Fragen deutlich, die die Aufgabe des Ausschusses umreißen. Ob es um Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten unter Polizist*innen, um auffällige Abfragen von Meldedaten im Zusammenhang mit rechtsextremen Feindeslisten, Aktenführung oder um die Überwachung mutmaßlicher Täter*innen im Zusammenhang mit der Anwesenheit von Beamten aus bestimmten Polizeiabschnitten in rechtsextremen Szenekneipen geht: Dieser Ausschuss soll Betroffenen endlich vermitteln, dass ihnen zugehört wird.

Nicht nur die Antwort auf die letzte Frage dürfte für die Aktivist*innen der Burak-Bektaş-Initiative wichtig sein: »Hatten die Berliner Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden Erkenntnisse zu Verbindungen zwischen den Tatverdächtigen und ihrem Umfeld und dem NSU-Helfer*innen-Netzwerk?«

Unter dem Motto »Burak unvergessen - Aufklären und Gedenken« rufen Initiativen für den 10. April, um 14 Uhr zur Kundgebung am Gedenkort an der Rudower Straße/Ecke Möwenweg auf.

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