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Flaggschiff gegen Antisemitismus

Landesbeauftragter sieht in Berlin große Schritte beim Kampf gegen Diskriminierung von jüdischen Menschen

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

»Verschwörungstheoretiker gab es auch schon vor 25 Jahren, aber sie waren nicht so gut vernetzt«, erklärt Samuel Salzborn. Am Dienstag stellt der Berliner Ansprechpartner für Antisemitismus den im Turnus von drei Jahren erscheinenden Bericht zur Intervention gegen und zur Prävention von Antisemitismus im Land Berlin vor. Und stellt fest: Diskriminierung von und Feindschaft gegenüber jüdischen Menschen und jüdischem Leben nehmen zu. Dies sei jedoch, betont Salzborn, auch ein Ergebnis der vielfältigen Aktivitäten des Landes, um antijüdische Einstellungen, Vorfälle und Gewalt sichtbarer zu machen und zu verhindern.

»Das Phänomen wird nicht kleiner, aber das Dunkelfeld wird heller«, so der Experte, der seit anderthalb Jahren im Amt ist. »75 bis 80 Prozent der Taten kennen wir nicht. Wir wissen aber, dass die größere Vernetzung das Weltbild verstärkt.« Und dass es eine soziale Funktion hat: Wer sich im Internet vernetzt, tue das auch real auf der Straße - eine Entwicklung, die besonders in den vergangenen zwei Jahren mit den Demonstrationen von Corona-Leugnern sichtbar wurde.

Ansprechpartner für Antisemitismus

Der Ansprechpartner für Antisemitismus des Landes Berlin vermittelt zwischen Zivilgesellschaft, jüdischen Einrichtungen und Organisationen, Verwaltung und Behörden im Hinblick auf Antisemitismus-Prävention.

Er soll Daten und Ergebnisse der verschiedenen Erfassungsquellen zu Antisemitismus in Berlin zusammenführen sowie regelmäßig einen Umsetzungsbericht zu Fragen der Intervention und Prävention von Antisemitismus im Land Berlin vorlegen.

Zuletzt wurde vorgeschlagen, eine Umbenennung von Straßen und Plätzen in Berlin, die nach Antisemit*innen benannt sind oder antisemitische Bezüge aufweisen, leichter zu ermöglichen.

Es gibt Sensibilisierungs- und Weiterbildungsangebote bei der Berliner Polizei. Der Verein Ofek berät bei antisemitischer Diskriminierung und Gewalt Betroffene sowie Angehörige und Rat suchende Institutionen.

Es gibt einen »Runden Tisch gegen antisemitische Gewalt« und die zivilgesellschaftliche Initiative »Solidarisch gegen Hass«, die sich nach Übergriffen gegen einen Berliner Rabbiner gegründet hat. Monatlich erscheint der Newsletter »Prävention von Antisemitismus in der Schule« der Bildungsverwaltung.

Wer Antisemitismus als nur eine Form von Diskriminierung betrachtet, übersieht, so der Bericht, einen grundlegenden Unterschied: Antisemitismus sei eine »Verbindung aus Weltanschauung und Leidenschaft«, eine »grundlegende Haltung zur Welt, mit der sich diejenigen, die ihn als Weltbild teilen, alles in der Politik und Gesellschaft, das sie nicht erklären und verstehen können oder wollen, zu begreifen versuchen«. clk

Eine bedrohliche Entwicklung und eine »problematische Herausforderung« nennt Salzborn den Umstand, dass reales Verhalten sowohl die wachsende Zahl als auch die Aggressivität von Antisemiten beförderten.

Dennoch ist das Land Berlin mit einem vielfältigen und breit gefächerten Angebot für den Kampf gegen die Judenfeindschaft ausgestattet. Es hatte 2019 als erstes Bundesland mit seinem Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention ein ressortübergreifendes Konzept zur Antisemitismusbekämpfung vorgelegt. Es gilt auch der Europäischen Kommission in dieser Hinsicht ausdrücklich als »best practice«-Beispiel. Die Ernennung einer Antisemitismusbeauftragten bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft und die Arbeit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), die seit 2015 aktiv ist und seitdem Nachahmer in anderen Bundesländern gefunden hat, wird in diesem Zusammenhang explizit genannt.

Berlin sei, so heißt es auch im Bericht, »das erste deutsche Bundesland, das auf einfachgesetzlicher Ebene an mehreren Stellen Antisemitismus beziehungsweise die Verhinderung von antisemitischer Diskriminierung ausdrücklich zur rechtlichen und damit staatlichen Aufgabe erklärt hat«. Dies spiegelt sich in mittlerweile vier Landesgesetzen wider, unter anderem im Landesantidiskriminierungsgesetz und im Landeshochschulgesetz, in denen dies ausdrücklich verankert ist.

Dazu komme - als »Schlüsselprinzip« - die übergreifende Zusammenarbeit der zuständigen Justizverwaltung, der Zivilgesellschaft und der zwölf Berliner Bezirke, so Salzborn.

In fünf Handlungsfeldern wende man als zentrales Element der Antisemitismusbekämpfung den Dreiklang Prävention, Intervention und Repression an, dieser sei das »Herzstück« des Landeskonzepts, so Salzborn. Kurzzeitige Interventionen und klare repressive Maßnahmen gegen notorische Antisemiten seien ebenso wichtig wie umfassende Präventionsmaßnahmen. In diesem Bereich fördert das Land jährlich im Schnitt etwa 15 bis 20 Projekte (siehe Kasten).

Als Grundlage dient die Erfassung und Dokumentation antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung und antisemitischer Taten sowie Straftaten, wie sie zum Beispiel der Berlin-Monitor wiedergibt.

Samuel Salzborn hebt hervor, dass in Lichtenberg, Steglitz-Zehlendorf und Pankow bezirkliche Antisemitismusbeauftragte die Arbeit aufgenommen haben. In Tempelhof-Schöneberg gibt es ein Bündnis gegen Antisemitismus. Drei Viertel der Bezirke haben Partnerschaften mit israelischen Städten und Kommunen. Projekte in der Jugend- und Erwachsenenbildung werden ebenso gefördert wie zahlreiche Angebote in Stadtteilbibliotheken und Volkshochschulen. Polizei und Generalstaatsanwaltschaft des Landes haben einen Leitfaden entwickelt, der als praxisorientierte Handlungsempfehlung für die Verfolgung antisemitischer Straftaten dienen soll. Fachtage zur Weiterbildung der Berliner Verwaltung sind bereits in der Umsetzung.

Weiterführende Studien zeigen, dass Antisemitismus in der Metropole zwar deutlich geringer ausgeprägt ist als im Bundesdurchschnitt, Jüd*innen in Berlin diesen aber dennoch in allen Lebensbereichen erfahren, er sie »belastend prägt«, wie Salzborn sagt. Ebenso nähmen sie einen Mangel an Solidarität von nichtjüdischer Seite wahr, wenn es darum geht, sich gegen antisemitische Attacken zu positionieren. Angriffe reichen dabei von Aggressionen über nonverbale Gesten, Kommentare und Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen.

»Das A und O ist, dass sich Menschen austauschen«, sagt Lala Süsskind, ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde anlässlich der Vorstellung des Umsetzungsberichts. Dafür müssten sich Menschen mehr begegnen, so wie im interreligiösen Zentrum »Haus of One«.

»Wir brauchen mehr Projekte im Bereich der schulischen Prävention«, weist Samuel Salzborn auf die Schwachstellen hin. Noch immer würde jüdisches Leben in Schulbüchern nur in Bezug auf den Nahost-Konflikt oder den Nationalsozialismus dargestellt.

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