Werbung
  • Berlin
  • Ukraine-Flüchtlinge in Berlin

Die Menschen werden bleiben

Abgeordnete und Ehrenamtliche diskutieren Möglichkeiten der Unterstützung für Ukraine-Flüchtlinge

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Oleksandra Bienert hat eine Bitte: »Sprechen Sie mit uns, nicht über uns«, sagt die Ukrainerin, die seit vielen Jahren in Berlin lebt, am Mittwoch im Abgeordnetenhaus.

Im Engagement-Ausschuss des Parlaments ist Bienert für die Allianz Ukrainischer Organisationen eingeladen, um über die Situation der vor dem Ukraine-Krieg nach Berlin geflohenen Menschen aus der Perspektive ehrenamtlicher Helfer*innen darüber zu sprechen, was es aus ihrer Sicht derzeit am meisten braucht: »Wir benötigen dringend einen Ort, an dem wir uns über Hilfsangebote und Möglichkeiten und Aktivitäten der Teilhabe austauschen können.« Ein Community-Zentrum, wie Bienert sagt.

Die Menschenrechtsaktivistin und Forscherin ist sich sicher: »Zwei Drittel derjenigen, die in den vergangenen Wochen nach Berlin gekommen sind, werden bleiben - auch wenn sie eigentlich zurück wollen.« Vor dem Hintergrund, dass ukrainische Städte bereits zu 80, 90 Prozent zerstört seien, könne man jedoch davon ausgehen, dass zahlreiche Flüchtlinge, die zunächst in der Hauptstadt untergekommen sind, auch hier nach einer Perspektive suchen, obwohl die Möglichkeit besteht, in anderen Bundesländern Aufnahme zu erhalten. Der Großteil der Erwachsenen, die vor allem Frauen sind, verfüge über einen akademischen Abschluss und wolle in der Stadt beruflich Fuß fassen.

»Unsere Stadt ist ein warmes, großes Herz«, sagt die Wissenschaftlerin, die derzeit über Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und weibliche Intellektuelle in der Ukraine vor 100 Jahren promoviert.

Sie kritisiert zugleich die staatlichen Strukturen wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, das sich aus Sicht ihrer Organisation »seit einigen Tagen zurückzieht«, wenn es um Fragen der Registrierung im Hinblick auf eine Bleibeperspektive geht. Auch die bezirklichen Sozialämter erschwerten es den Menschen durch das Verfahren, dort persönlich vorstellig werden zu müssen, um Sozialleistungen beantragen zu können. Um überhaupt an die Reihe zu kommen, müssten diese sich dafür »nachts um drei Uhr« in die Schlange stellen. »Das können nur sehr wenige.« Warum es keine digitalen Angebote gebe, fragt Bienert.

»Alle, die kommen, sind vulnerabel«, reagiert Staatssekretärin Ana-Maria Trăsnea (SPD) etwas angefasst auf die Ausführungen Oleksandra Bienerts. In der Anhörung sorgen diese erwartungsgemäß sowohl für Verständnis als auch für Einspruch.

»Die Registrierungen sollen den Menschen helfen, zu ihrem Recht zu kommen«, verteidigt Trăsnea das Verfahren. Das Problem sei anders gelagert: »Wenn die Menschen bleiben wollen, müssen wir über schätzungsweise 50 000 neue Wohnungen sprechen - die Dimension einer Großstadt.« Die Bedingungen seien in anderen Kommunen mitunter deutlich besser. Andere Abgeordnete verweisen auf fehlende Beschulungs- und Betreuungsmöglichkeiten für ukrainische Kinder und Jugendliche.

Elke Breitenbach (Linke) erklärt zur Frage nach räumlichen Optionen wie dem Campus der Demokratie in Lichtenberg, der für ein Community-Zentrum, wie es Oleksandra Bienert vorschwebt, infrage käme: »Darauf haben viele ein Auge, aber der Bund hat die Hand drauf und kommt nicht aus dem Knick.« Das zum Komplex gehörige Hochhaus an der Frankfurter Allee gehöre einem Investor, der Unsummen dafür fordere. Ein anderes Beispiel für den Platz- und Wohnraummangel könne man am Ankunftszentrum in Reinickendorf finden: »Hier sitzen seit Monaten Menschen aus Afghanistan und sind frustriert, weil sie keine Wohnung finden.« Niemand könne die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften einer eigenen Wohnung bevorzugen - »auch wenn man von Nürnberg oder Kassel noch nie etwas gehört hat«. Zugleich weiß die ehemalige Sozialsenatorin: »Wer bleiben will, bleibt, das ist auch sein gutes Recht.«

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte das Ankunftszentrum in Tegel als »einzigartig« bezeichnet, um Flüchtlinge schnell weiterverweisen zu können. Keine langen Wartezeiten, schnelle Umverteilung in das Bundesgebiet lautet die Prämisse. »Keiner will nach Tegel und an die Messe, dort ist es kalt, es findet keine Identifikation von Menschen mit besonderen Bedarfen statt. Menschen fahren dorthin, weil sie keine Wahl haben«, berichtet Bienert von anderen Eindrücken. Die Zivilgesellschaft nähme das Ankunftszentrum als »Blackbox« wahr. Der Zugang zu den Menschen, den man über die ehrenamtliche Koordination unter dem Namen Arrival Support gehabt habe, bleibe verwehrt.

Viele Probleme, erklärt die Aktivistin, begründeten sich in verbesserungswürdiger Kommunikation. In den Behörden gäbe es offensichtlich Schulungsbedarf, was Aufenthaltsfragen betrifft. »Wir schöpfen unsere Informationen von der Internetseite des Vereins Berlin hilft.« Die eigens aufgesetzte Webseite des Senats berlin.de/ukraine sei zwar »großartig«, aber nicht aktuell.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.