- Brandenburg
- Kommunalpolitik
Ampel plus Linke in Oberhavel
Ungewöhnliches Bündnis zur Wahl von Landrat Alexander Tönnies (SPD)
Alexander Tönnies (SPD) ist neuer Landrat in Oberhavel. Das in einer Briefwahl der Kreistagsabgeordneten erzielte Ergebnis sollte am Mittwochabend erst nach Redaktionsschluss bekannt gegeben werden. Nach nd-Informationen gingen aber 53 Wahlzettel per Post ein, von denen 49 gültig waren. 37 Abgeordnete hatten für Tönnies gestimmt.
Normalerweise dürfen in Brandenburg die Einwohner ihren Landrat wählen. Aber in der Stichwahl im Dezember vergangenen Jahres hatte Tönnies mit fast 25 000 Stimmen zwar klar über seinen Konkurrenten Sebastian Busse (CDU) gesiegt, der nur knapp 13 900 erhielt. Doch bei der Landratsdirektwahl gibt es ein Quorum. Die Abstimmung gilt nur, wenn der Sieger mindestens 15 Prozent der Stimmen sämtlicher Wahlberechtigten auf sich vereint. Dazu hätte Tönnies rund 2300 Stimmen mehr gebraucht - und das hat er bei einer geringen Wahlbeteiligung von nur 21,7 Prozent nicht geschafft. Also waren - wie gesetzlich vorgeschrieben - die Kreistagsabgeordneten am Zug.
Bemerkenswert ist, wie durch Verhandlungen eine sichere Mehrheit für Tönnies gewährleistet werden konnte. Zusammengefunden haben sich dazu SPD, Grüne und FDP, was nicht der Rede wert wäre, weil es lediglich die Ampelfarben-Koalition im Bundestag nachbildet. Dazu kommt dann aber noch Die Linke - und das ist ungewöhnlich, dass sich also FDP und Linke in einem Bündnis wiederfinden. Dazu gibt es obendrein sogar eine schriftliche Zielvereinbarung, die von den Fraktionschefs unterschrieben ist und »nd« vorliegt. Punkt eins: Die Fraktionen unterstützen Landrat Alexander Tönnies. Punkt zwei enthält 23 einzeln aufgelistete Projekte, die bis zur Kommunalwahl in zwei Jahren gemeinsam umgesetzt werden sollen.
Fragt man vor Ort nach, wie das Bündnis zustande kam, fällt immer wieder der Name des Landtagsabgeordneten Clemens Rostock (Grüne). Er gilt als der Architekt dieser Zielvereinbarung. Rostock selbst spricht von vielen Hürden, die es zu nehmen galt. »Am Anfang hat überhaupt keiner dran geglaubt, dass das klappt«, sagt er. Rostock wurde als Landratskandidat im vergangenen Jahr von den Sozialisten unterstützt. Er erzielte mit 18,5 Prozent einen Achtungserfolg und ließ den AfD-Kandidaten hinter sich, schied aber in der ersten Runde aus. Sozialdemokrat Tönnies wiederum genoss die Unterstützung von SPD und FDP. So kam es darauf an, die vier Parteien trotz unterschiedlicher Vorstellungen an einen Tisch und die Verhandlungen zu einem guten Abschluss zu bringen. Das ist gelungen, auch weil Rostock zwischen den verschiedenen Vorstellungen vermitteln konnte.
Seit 1993 war die CDU der Mehrheitsbeschaffer für Landrat Karl-Heinz-Schröter und für seinen Nachfolger Ludger Weskamp (beide SPD). Jetzt gibt es einen neuen, progressiven Ansatz, und das sei »für den Kreis Oberhavel ein großer Fortschritt«, findet der Linke-Kreisvorsitzende Enrico Geißler. Er betont, dass hier keine Koalition ausgehandelt wurde, in der immer einheitlich abgestimmt werden muss. »Das wäre auch nicht in unserem Interesse.« Verständigt habe man sich aber auf die 23 Projekte.
So steht in der vierseitigen Vereinbarung unter anderem etwas von einer unabhängigen Sozialberatung, von einem Klimaschutzkonzept und auch von 50 bezahlbaren Mietwohnungen, die gebaut werden sollen. Außerdem sollen beitragsfreie Schulbusse geprüft werden, und man möchte darauf hinwirken, dass die Beschäftigten der kreiseigenen Unternehmen möglichst nach Tarif oder besser entlohnt werden, um die dringend benötigten Fachkräfte zu halten.
Zum Bündnis gehören übrigens auch die Piraten, die im Kreistag eine Fraktion mit der FDP bilden, sowie die Tierschutzpartei und die Liste Landwirtschaft, Gartenbau, Umwelt, die sich mit der SPD verbunden haben. Alle zusammen verfügen über 29 von 56 Mandaten im Kreistag. Der Vorteil der Zielvereinbarung nach Ansicht von Geißler: Bisher sei wegen unzureichender Absprachen die AfD bei Abstimmungen manchmal das Zünglein an der Waage gewesen. »Das wollen wir alle nicht.« Künftig lasse sich das vermeiden.
Die Landes-FDP merkt auf Anfrage an, die Wahl eines Landrats durch einen Kreistag mit insgesamt sieben Fraktionen »stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen«. Einen Beschluss zur Unvereinbarkeit der Zusammenarbeit der FDP mit der Linken gebe es weder auf Bundes- noch auf Landesebene, nur Beschlüsse, die eine Zusammenarbeit mit der AfD verbieten. Der FDP-Landesverband Brandenburg schließe aber Koalitionen auch mit der Linkspartei aus, bestätigt Pressesprecherin Laura Staudacher.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.