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»Amazon will die Weltherrschaft«
Der Gewerkschafter Andreas Gangl berichtet, wie man gegen den großen Online-Versandhändler gewinnen kann
Sie arbeiten seit 2008 bei Amazon. Was muss man als Amazon-Arbeiter können?
Jeden Tag 150 Prozent Leistung zeigen. Gas geben und die Schnauze halten - solange du noch keinen Festvertrag hast.
Wie setzt sich die Belegschaft zusammen?
Das geht vom Arbeiter, der keine Ausbildung hat, bis hin zum Professor, der ganz normal in der Produktion arbeitet. Seit 2015 hat sich die Zusammensetzung der Belegschaft noch mal deutlich verändert: Seitdem sind 90 Prozent der Einstellungen Flüchtlinge. Wir hatten bei Amazon schon immer eine Multikulti-Belegschaft mit vielen Nationalitäten, aber seit 2015 kamen vor allem Kollegen aus Syrien, Irak, Afghanistan. Die kommen aus den Krisengebieten dieser Welt zu uns nach Deutschland und landen irgendwann beim größten Ausbeuter dieser Welt.
Gelingt es, die Kolleginnen und Kollegen, die als Flüchtlinge zu Amazon gekommen sind, in die gewerkschaftlichen Kämpfe einzubeziehen?
Es gibt sprachliche Probleme, alle sind befristet, und was natürlich nicht öffentlich zugegeben wird: Die haben zum Teil keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Das heißt, wenn die Arbeitserlaubnis entzogen wird, kommt die Kündigung und sie sind raus. Dadurch entsteht natürlich Angst, am Streik teilzunehmen und negativ aufzufallen. Aber ich muss sagen, es treten in den letzten Monaten immer mehr in die Gewerkschaft ein. Es gab ein sehr hohes Eigenengagement, und es ist elementar wichtig, dass diese Kollegen im Arbeitskampf mit dabei sind.
Wann haben Sie denn begonnen, sich gewerkschaftlich zu engagieren?
Als ich 2010 endlich meinen Festvertrag in der Hand hatte, bin ich Mitglied geworden und habe mich getraut, im Unternehmen auf Probleme hinzuweisen. Ich bin ja überhaupt nicht gewerkschaftlich erzogen. Katholischer Haushalt, strenggläubige Familie, Vater CDU-Mitglied.
Jetzt sind Sie einer der Vorkämpfer der Bewegung für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon.
Da bin ich so reingerutscht, als 2011 das Organizing-Projekt von Verdi losging. Mit Christian Krähling habe ich damals eine Fahrgemeinschaft gebildet. Christian war bis zu seinem Tod im Dezember 2020 die zentrale Figur in unserem Arbeitskampf. Er war unser Wortführer, allein durch sein Können und seine Persönlichkeit, ohne dass er je darauf bestanden hätte. Er hat mich damals gefragt, ob ich mich nicht als Vertrauensmann zur Wahl aufstelle, und 2014 wurde ich gewählt. Im Jahr darauf ging auch schon die internationale Vernetzung los. Christian und noch zwei andere Kollegen sind einfach nach Polen gefahren. Beim internationalen Amazon-Treffen 2017 in Berlin bin ich dann selbst mitgekommen. Jetzt sehe ich es als meine Aufgabe, voranzugehen, dass wir beim Werk in Bad Hersfeld aktiv bleiben, aber uns auch deutschlandweit und international vernetzen und Strategien entwickeln, wie wir Amazon in die Knie zwingen können.
Was sind Ihre Ziele?
Erst mal höhere Löhne. Wir haben das auch schon auf internationaler Ebene diskutiert. Wir machen überall in Europa die gleiche schwere Arbeit - und deshalb sollen sie uns auch überall gleich bezahlen! Wenigstens im Verhältnis zum Lohnniveau des jeweiligen Landes, wie es angemessen wäre bei dem reichsten Unternehmen der Welt. Das andere sind die Arbeitsbedingungen, wie sie mit uns umspringen. Wertschätzung, Respekt - davon redet Amazon, aber sie haben keine Ahnung, was das bedeutet.
Ziel bleibt der Tarifvertrag?
Wenn du in Deutschland streiken willst, müssen die Forderungen ja immer tarifierbar sein. Tarifvertrag würde bedeuten, dass wir einen Euro mehr pro Stunde bekämen. Das wäre schon eine tolle Sache, denn aktuell liegt der Einstiegslohn bei 12 Euro. Aber wenn ich Unternehmen wie Volkswagen sehe, die haben auch eine Logistiksparte und zahlen 18 Euro Startlohn. Ja, das ist die Metallindustrie, aber Amazon ist der weltgrößte Online-Händler und verdient sich dumm und dämlich! Was man auch sehen muss: Sobald der Tarifvertrag Anwendung findet, sind wir in unserem Recht zu streiken eingeschränkt. Letztlich sehe ich es als wichtiger, eine Demokratisierung bei Amazon voranzutreiben, als einen Tarifvertrag durchzusetzen. Wir fordern ein stärkeres Mitbestimmungsrecht.
Was wurde durch die Streiks erreicht?
Wir hatten hier in sechs Jahren keine Lohnerhöhungen. Seit wir uns organisieren, gibt es jedes Jahr eine Lohnerhöhung. Als wir das erste Mal Weihnachtsgeld gefordert haben, hat der Arbeitgeber gesagt: Das wird es nie geben, wir sind ein amerikanisches Unternehmen! Das ist nicht vorstellbar, da steht ja keine Leistung hinter. Als aber die Mitgliederzahlen bei der Gewerkschaft nach oben gingen - wumms! -, gab es plötzlich Weihnachtsgeld. Und was man nicht messen kann, ist das neue Selbstbewusstsein in der Belegschaft. Ich kann von mir sagen: Mich hat dieser Arbeitskampf persönlich total verändert. Ich bin viel selbstbewusster geworden. Wenn ich mich vergleiche mit der Person, die ich vor 2008 war - da liegen Welten dazwischen. Sich nicht alles bieten zu lassen. So haben wir es auch geschafft, dass in Bad Hersfeld kein Feedback mehr gegeben wird.
Was ist das Problem mit den Feedback-Gesprächen?
Früher gab es tagtäglich Feedback-Gespräche. Da hat dir der Vorgesetzte gesagt, was du am Vortag geleistet hast. Am Anfang gab es noch absolute Zahlen, zum Beispiel musste ich beim Picken 1680 Units in einer Schicht schaffen. Das haben sie irgendwann umgestellt und einen Abteilungsdurchschnitt gebildet, von dem man soundso viel Prozent schaffen sollte. Aber das ist totaler Bullshit. Wenn ich einen Durchschnitt bilde, habe ich automatisch immer welche, die darunter sind, egal wie gut die Leistung war! Das führt ja nur dazu, dass du ausgepresst wirst wie eine Zitrone. Dagegen haben wir uns erfolgreich gewehrt. In Polen bekommen sie nach wie vor Feedback, und wenn deine Leistung soundso viele Male unter 90 Prozent war, kriegst du deine Kündigung. Das ist bei uns so nicht möglich. Da Amazon die Zahlen per elektronischem System erhebt, dürfen die rein rechtlich nicht zur Leistungsbewertung herangezogen werden.
Wie sehr prägt Digitalisierung Ihre Arbeit?
Ich habe als Picker in der Retourenabteilung gearbeitet, und da läuft alles digital. Jeder Wimpernschlag wird vom Computer erfasst. Wir haben mal die Pickbox untersucht. Die hat zum Beispiel eine Countdown-Funktion: Der Countdown zeigt dir an, wie viel Zeit dir bis zum nächsten Pickvorgang bleibt. Das hatten sie bei uns zwei Tage laufen, dann hat der Betriebsrat sein Veto eingelegt, und es wurde wieder abgeschaltet. Die Software hat auch die Möglichkeit, voll automatisiert anhand der erhobenen Zahlen Kommandos zu geben: »Jetzt schneller werden!«
Man könnte doch auch sagen: Vor dem Algorithmus sind alle gleich, das ist der gerechtere Chef, der niemanden bevorzugt.
Ich arbeite an einem Band mit 15 Arbeitsplätzen hintereinander, und die Ersten nehmen sich natürlich das Beste. Warum soll ich die riesengroße Jacke nehmen, wenn ich das kleine T-Shirt bearbeiten kann? Wenn ich am letzten Platz sitze, kriege ich also nur das, was keiner machen will. Das System erkennt diesen Unterschied aber nicht, egal ob ich ein Hemd bearbeite, wo ich alle kleinen Knöpfe zuknöpfen und es ordentlich zusammenlegen muss, oder eine Jeanshose, die ich zweimal zusammenfalte und fertig. Wer vorn sitzt, arbeitet überm Schnitt und der hinten unterm Schnitt. Jetzt kannst du dir überlegen, wer die Vertragsverlängerung bekommt.
Erste Gewerkschaft bei Amazon in den USA - Amazon Labor Union gewann Abstimmung über Neugründung in Warenlager in New York.
Amazon ist nicht nur Versandhandel, sondern streckt seine Arme Richtung Lieferdienste aus. Haben Sie mit diesen Leuten Kontakt?
Amazon wird auf lange Sicht nicht mehr Hermes oder DHL nutzen, sondern alles in Eigenregie durchführen. Amazon will die Weltherrschaft. Ich hatte jetzt in Kassel ein Treffen mit Studierenden, die über Weihnachten bei Amazon in den verschiedenen Delivery-Stations gearbeitet haben. Das ist ja ganz anders als in den Versandzentren, da werden hauptsächlich Leiharbeiter eingesetzt, und die Organisierung ist schwer. Ärgerlich, dass die Bundesebene von Verdi entschieden hat, diese Organisierung dem Fachbereich 10 für den Logistiksektor zu übertragen und nicht dem Fachbereich 12 für Handel. Im Rahmen des Netzwerks »Organisieren Kämpfen Gewinnen« (OKG) versuchen wir, uns mit Fahrern von Post und anderen Versanddiensten zu vernetzen. Was auf Funktionärsebene nicht geschieht, müssen wir als Arbeiter vorantreiben. Ich habe schon immer gesagt: Wenn wir streiken, müsste die Post doch auch streiken, damit die ganze Kette blockiert wird und die Pakete beim Kunden nicht ankommen.
Würden Sie sagen, Sie haben die Gewerkschaftskultur in Deutschland beeinflusst?
Ja, ich glaube schon. Als wir angefangen haben, musste der Streiktag beantragt werden, das hat ein paar Wochen gedauert, und wir haben gesagt: Das ist total unflexibel, wir müssen selber entscheiden, wann wir streiken! Dann ist uns von Frank Bsirske persönlich ein eigenes Streikbudget übertragen worden, da war Christian Krähling auch nicht ganz unbeteiligt. Seitdem haben wir ein Budget und können selbst entscheiden. Wir stimmen uns aber natürlich mit den anderen Standorten ab. Es ist so wichtig, diesen Arbeitskampf gemeinsam zu führen. Das Prinzip Amazon ist an jedem Standort das gleiche, und wir müssen das Konkurrenzdenken überwinden, uns auch international vernetzen und überall Amazon bekämpfen. Was ist, wenn Amazon sagt: In Bad Hersfeld machen wir jetzt einen Tarifvertrag? Dann haben wir vielleicht einen Tarifvertrag, sind raus - und es wird nicht besser.
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