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- Alexander Wladimirowitsch Dwornikow
Kräftesammeln für neues Gemetzel
Russland ernannte erstmals Oberbefehlshaber für die »spezielle militärische Operation« in der Ukraine
Als das russische Militär am 24. Februar ins Nachbarland einfiel, hatten westliche Militärexperten den ukrainischen Streitkräften bestenfalls eine zweiwöchige Widerstandskraft zugebilligt. Dass die Angreifer trotz ungeheurer Verluste noch immer keines ihrer Kriegsziele erreicht haben, den Vorstoß auf Kiew abbrechen mussten und gezwungen sind, Truppen umzugruppieren und Reserven aus der Tiefe des Hinterlandes nachzuführen, hängt auch mit der bislang fehlenden einheitlichen Führung der »speziellen militärischen Operation« zusammen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Nun hat Oberbefehlshaber Wladimir Putin offenbar einen fähigen Oberbefehlshaber ernannt. Er heißt Alexander Wladimirowitsch Dwornikow. Der 61-Jährige ist seit 1979 Soldat. Er diente von der Pieke auf, war Zugführer, dann Kompanie- und Bataillonschef. Eine kurze Zeit diente er bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, studierte an einer Militärakademie, kommandierte 2015 und 2016 die russischen Truppen in Syrien und holte sich dafür bei Putin den Titel »Held der russischen Föderation« ab. Seit August ist der Chef des südlichen Militärbezirkes einer von sechs russischen Armeegeneralen.
Ob er seinen Stab, mit dem er demnächst den Angriffen in der östlichen und südlichen Ukraine neuen Schwung verleihen soll, bereits beisammen hat, ist nicht bekannt. Auch lässt sich derzeit die Frage, ob genügend Truppen, Material und Nachschub vorhanden sind, um mit überlegenden Kräften im notwendigen Verhältnis von mindestens 1:3 zu operieren, nicht beantworten. Fachleute erwarten nun aus russischer Sicht ebenso klassische wie umfangreiche Angriffsoperationen. Sie würden von der aktuellen Wetterlage und dem Gelände begünstigt.
Klar ist, dass auch die ukrainischen Verteidiger sich dafür neu aufstellen müssen. Ihre bisherige hartnäckige Verteidigung strategisch wichtiger Knotenpunkte sowie die Nadelstichtaktik, mit der sie in den Reihen der Angreifer verheerende Wirkung erzielten, sind weitgehend obsolet. Wegen der zu erwartenden großräumigen Gefechte der – wie es militärisch heißt – verbundenen Waffen hat die Regierung in Kiew die Zivilbevölkerung im Osten zur Flucht aufgefordert.
Hunderte wurden dabei am Freitag am Bahnhof von Kramatorsk durch einen Raketenangriff überrascht. Von mindestens dreißig Toten und einhundert Verletzten, darunter viele Kinder, ist die Rede. Moskau und Kiew geben sich dafür gegenseitig die Schuld. Der Splittersprengkopf der Rakete hat eine Zielgenauigkeit zwischen fünf und einhundert Meter. Welche Seite die »Totschka«-Rakete auch abfeuerte – es war ein weiterer Akt von Terrorismus übelster Sorte.
Um die erwarteten Attacken des russischen Heeres und seiner Luftwaffe abwehren und selbst Entlastungsangriffe führen zu können, braucht die Ukraine schwere Waffen. Westliche Systeme – beispielsweise der von Kiew immer wieder geforderte deutsche Schützenpanzer »Marder« – sind für den Ad-hoc-Bedarf nicht geeignet. Die Ausbildung daran ist zu umfangreich, es gibt keine logistische Lösung für Ersatzteile und Munition. Daher schicken vor allem östliche Nato-Mitglieder einsatzbereite Waffensysteme, die noch aus den Zeiten des Warschauer Paktes stammen. Tschechien beispielsweise hat Züge mit T-72-Kampf- und BMP-Schützenpanzern beladen, S-300-Flugabwehrsysteme werden gerade von der Slowakei geliefert.
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Darüber hinaus hat die Ukraine eine weitere Bezugsquelle: Russland. Panzer, Fahrzeuge, modernes Gerät aller Art wurden von den Besatzungen oft im einwandfreien Zustand zurückgelassen. Russische Soldaten sollen angeblich bei Charkiw bereits böse Erfahrungen mit bislang nur von ihnen eingesetzten »Buratino«-Mehrfachraketenwerfern gemacht haben. Das Morden geht weiter.
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