Gedenken ohne Vereinnahmung

Der Krieg in der Ukraine wirft seinen Schatten auf antifaschistische Erinnerung

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Vorfeld des 8. Mai wird sich die Stimmung noch einmal deutlich aufladen. Zum Jahrestag der Befreiung vom Faschismus sind vor allem die Berliner Ehrenmäler zur Erinnerung an die sowjetischen Soldat*innen, die im Kampf um die deutsche Hauptstadt fielen, traditionsgemäß starker Anziehungspunkt für Zehntausende russische Menschen. Darunter sind auch eindeutig nationalistische Gruppierungen, wie Anhänger des nationalistischen russischen Biker-Clubs »Nachtwölfe«, die aus ihrer Anhängerschaft für Wladimir Putin und seine Politik in der Ostukraine noch nie einen Hehl gemacht hatten. Auch am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park erscheint eine größere Anzahl seit Jahren zu den Veranstaltungen rund um den Jahrestag.

Das Ehrenmal war in der vergangenen Woche Ziel zahlreicher Graffiti und Sprüche geworden, in denen die unbekannten Täter*innen einen Bezug zum Ukraine-Krieg herstellten und unter anderem »Death to all Russians« (Tod allen Russen) gefordert hatten. Am Ernst-Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße hatte gestanden: »Der Kreml soll brennen«. Die Berliner Polizei hatte in beiden Fällen zeitnah für die Entfernung der Sprüche gesorgt. Zuvor waren im Tiergarten sowjetische Panzer mit Fahnen der Ukraine verhüllt worden.

»Es ist Aufgabe der gesellschaftlichen Linken, es sich nicht nehmen zu lassen, der Befreiung vom Faschismus zu gedenken und sich zugleich gegen eine mögliche Vereinnahmung von einer Seite zu positionieren, die den Krieg gegen die Ukraine befürwortet«, sagt der Linke-Abgeordnete Niklas Schrader zu »nd«. Schrader, der selbst an Demonstrationen gegen den Krieg teilnimmt, erklärt, er halte es aus bürgerrechtlicher Sicht für sehr bedenklich, »leichtfertig« ein Verbot von Versammlungen zu fordern, bei denen man davon ausgeht, dass es sich um prorussische Kundgebungen handelt. Auch wenn dies moralisch derzeit nicht leicht sei, decke diese die Versammlungsfreiheit solange nicht gegen gesetzliche Auflagen verstoßen wird. »Die Polizei muss sich vorbereiten, genau hinschauen und mit Auflagen, aber auch mit Sprachmittlern arbeiten«, so Schrader weiter.

»Wir haben insbesondere in Berlin eine Demonstrationsfreiheit, die für alle gilt, ausnahmslos für alle gilt«, hatte auch Innensenatorin Iris Spranger (SPD) in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses betont. Sie hatte versucht, die Frage des CDU-Abgeordneten Stephan Standfuß zu beantworten, warum wenige Tage zuvor ein Autokorso hatte stattfinden können, deren Verbot der verfassungsschutzpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion bereits damals gefordert hatte. Spranger wies darauf hin, dass Berlin mit seiner Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge zeige, wie sehr man hier den Krieg in der Ukraine verurteile. Russischsprachige Menschen hätten einen großen Anteil an der Solidarität, die den Ukrainer*innen entgegengebracht werde.

Sie selbst habe »sehr schnell« gemeinsam mit Justizsenatorin und Staatsanwaltschaft das Verbot des Zeigens des weißen Z verfügt, welches für eine Verherrlichung des Angriffskrieges stehe. Die Polizei habe dieses Verbot mehrfach durchgesetzt, so Spranger. Die russische Fahne werde man nicht verbieten, »das geht nicht«. Damit würde man alle der über 300 000 russischsprachigen Berliner*innen verurteilen.

»Unter demokratischen, rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gab es keine Möglichkeit, die Versammlung zu verbieten«, hatte auch die Berliner Polizei im Nachgang des Autokorsos erklärt. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte sie scharf dafür kritisiert.

Der Korso hatte als angemeldete Demonstration offiziell den Titel »Keine Propaganda in der Schule - Schutz für russisch sprechende Leute, keine Diskriminierung« getragen. Anmelder war nach Angaben der Polizei eine Einzelperson gewesen. Zahlreiche Autos hatten russische Fahnen gezeigt, und auch ein sogenanntes Z-Symbol, das eine Unterstützung des Angriffskrieges in der Ukraine signalisiert, sei gezeigt worden, hatte Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) erklärt.

Im Hinblick auf zukünftige Anmeldungen von ähnlich ausgerichteten Versammlungen will Innensenatorin Spranger dafür sorgen, dass keine Demonstrationen an Orten vorbeiführen, wo sich zur Zeit viele Ukrainer*innen aufhalten. Ob das Versammlungsfreiheitsgesetz das hergibt, muss sich noch zeigen.

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