- Wirtschaft und Umwelt
- Einkommensungleichheit
Reiches Heilbronn, armes Gelsenkirchen
Eine neue Studie zeigt bei den Einkommen große Unterschiede zwischen den Kommunen auf
Wenig ist bekannt über Dieter Schwarz. Der 82-jährige Lidl-Gründer gilt als öffentlichkeitsscheu und gibt auch keine Interviews. Dabei ist er der reichste Mann Deutschlands. Das US-Magazin »Forbes« schätzt sein Vermögen auf 47,1 Milliarden US-Dollar. Allein im vergangenen Jahr sollen 10,2 Milliarden US-Dollar (9,4 Milliarden Euro) dazugekommen sein.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Mit solch einem Einkommen dürfte Schwarz dazu beigetragen haben, dass Heilbronn die reichste Stadt Deutschlands ist. Denn nirgendwo sonst verfügen die Menschen im Schnitt über mehr Einkommen als in der rund 126 000 Einwohner*innen zählenden Großstadt im Norden Baden-Württembergs. 42 275 Euro haben die Menschen in Heilbronn durchschnittlich pro Kopf im Jahr zur Verfügung. Zum Vergleich: Im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen - der ärmsten Kommune Deutschlands - sind es lediglich 17 015 Euro. Dies geht aus einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hervor, die »nd.DerTag« vorliegt.
Es seien »durchaus beachtliche regionale Einkommensunterschiede zu verzeichnen«, heißt es in der Studie, für die die beiden WSI-Experten Eric Seils und Toralf Pusch auf die aktuellsten verfügbaren Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder für 2019 und auf verfügbare Daten zu regionalen Preisniveaus zurückgriffen. So verglichen sie die 401 deutschen Landkreise und kreisfreien Städten nicht nur hinsichtlich der Pro-Kopf-Einkommen, sondern auch der damit verbundenen Kaufkraft.
So tragen unterschiedliche Preisniveaus laut der Studie zu einer gewissen Angleichung der Einkommen bei. Denn Mieten und andere Lebenshaltungskosten sind vor allem in Gemeinden hoch, wo auch die Einkommen besonders hoch sind. »Die Leute haben dann zwar mehr Geld im Portemonnaie, können sich aber nicht in gleichem Maße mehr leisten«, erklärt WSI-Wissenschaftler Pusch. Doch auch unter Berücksichtigung des Preisniveaus bleibt Heilbronn die reichste und Gelsenkirchen die ärmste Gemeinde Deutschlands.
Laut der Studie gibt es bei den Einkommen auch drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung ein ausgeprägtes West-Ost-Gefälle. So beträgt das durchschnittlich verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in den alten Bundesländern 24 350 Euro, während es in Berlin und den neuen Bundesländern lediglich 21 046 Euro sind. »In der Tat gibt es im Osten mit dem Landkreis Potsdam-Mittelmark mit 24 127 Euro überhaupt nur einen Kreis, der den Wert für Deutschland insgesamt (23 706 Euro) erreicht«, heißt es weiter in der WSI-Studie.
Neben dem West-Ost-Gefälle stellten die Ökonomen auch ein Süd-Nord-Gefälle fest. So ist Starnberg nahe München nach Heilbronn die zweitreichste Gemeinde Deutschlands. Dort beträgt das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen 38 509 Euro. Auch ist das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen in Bayern und Baden-Württemberg mit 26 015 Euro im Schnitt um 2600 Euro höher als in den übrigen alten Bundesländern. Gleichzeitig befinden sich die fünf reichsten Gemeinden mit Ausnahme des hessischen Hochtaunuskreises in Bayern oder Baden-Württemberg. »Alle Kreise mit einem durchschnittlichen verfügbaren Einkommen unter 20 000 Euro liegen hingegen weiter nördlich«, schreiben Seils und Pusch weiter in ihrem Bericht.
Betrachtet man nicht die verfügbaren Einkommen, also was die Menschen nach Steuern und Transferleistungen zum Ausgeben haben, sondern das, was sie als Markteinkommen, also brutto, verdienen, dann sind die Unterschiede noch größer. »Geht man von den Markteinkommen aus, dann sind diese im obersten Zehntel der Kreise und Städte mit dem höchsten Durchschnitt 1,6-mal so hoch wie im Zehntel mit dem niedrigsten Durchschnitt. Bei den verfügbaren Einkommen ist es das 1,3-Fache«, schätzt Studienautor Seils. So trägt die staatliche Umverteilung via Steuern und Sozialleistungen wie etwa Rentenzahlungen, das Arbeitslosengeld und sonstige Transfers laut der Studie zur Angleichung der Einkommen zwischen den Regionen bei.
Dadurch verringert sich auch der Abstand zwischen Ost und West. »Liegt das durchschnittliche Primäreinkommen im Westen 33 Prozent über dem des Ostens, so verringert sich der Unterschied nach Umverteilung auf 16 Prozent«, heißt es dazu in der Studie des WSI. Analog gelte dies für die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg auf der einen Seite und die übrigen westlichen Bundesländer auf der anderen.
Um wie viel die Ungleichheit bei den Markteinkommen größer ist als bei den verfügbaren Einkommen, kann man auch am sogenannten Hoover-Index ablesen. Dieser vergleicht das Einkommen, welches mindestens umverteilt werden müsste, damit alle dasselbe zur Verfügung haben, mit dem Gesamteinkommen. Demnach müssten 4,5 Prozent des gesamten verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte mindestens umverteilt werden, um eine Gleichverteilung zwischen den Kreisen zu erreichen. Bei den Markteinkommen - also vor Steuern und Transferleistungen - wären es 7,3 Prozent.
Unterdessen bedeutet ein hohes Durchschnittseinkommen in einer Gemeinde nicht unbedingt, dass alle ihre Einwohner*innen reich sind. Laut der Studie liegt eine wichtige Ursache für extreme Werte - etwa in Heilbronn und im Landkreis Starnberg - in sehr hohen Einkommen weniger Haushalte. »Was hier als regionale Ungleichheit erscheint, hat also in Wirklichkeit auch mit sehr hohen Einkommen einzelner Personen zu tun«, analysiert WSI-Experte Seils.
Der reichste Mann Deutschlands, Lidl-Gründer Dieter Schwarz lässt grüßen.
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