Für ein soziales Berlin auf die Straße

Am 1. Mai wird nach zwei Jahren ohne Infektionsschutz demonstriert - Polizei präpariert sich gewohnheitsgemäß

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Es dürfte sich einiges angestaut haben. Am 1. Mai wird anlässlich des Tages der Arbeit wieder ohne Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektionen demonstriert. An Themen mangelt es nach zwei Jahren Pandemie inklusive Wahlkampf und Beginn einer neuen Regierungslegislatur in Berlin definitiv nicht.

»Der rot-grün-rote Senat spart bei den Schulen, und er lässt linke Projekte und Obdachlosencamps räumen. Die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne, welche beim Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen eine Mehrheit bekommen hat, wird absichtlich verschleppt«, erklärt Martin Suchanek vom Revolutionären 1.-Mai-Bündnis zu den diesjährigen Schwerpunkten im Vorfeld.

Ebenso kritisiere man, wie polizeiliche Repression und Überwachung unter der nicht mehr ganz neuen Innensenatorin Iris Spranger (SPD) weiter verstärkt werden - vor allem gegen diejenigen, die sich für ein sozialeres Berlin einsetzen. Ausdruck dafür sei auch die geplante Polizeiwache am Kottbusser Tor, die »zu noch mehr rassistischen Polizeikontrollen« führen werde.

Suchanek, der im vergangenen Jahr die Demonstration angemeldet hatte, thematisiert die Berliner Polizei auch aus einem weiteren Grund. Am 1. Mai 2021 war es bereits kurz nach Beginn der Demonstration zu einem Eingreifen der Polizei gekommen, das nicht nur von den Teilnehmer*innen als höchst fragwürdig wahrgenommen wurde. An einer durch eine Baustelle verengten Stelle in der Karl-Marx-Straße in Neukölln waren die Demonstrierenden von zahlreichen Beamt*innen von hinten zusammengedrängt worden. Die Polizei trennte im Folgenden die Demonstration, es kam zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit Polizist*innen sowie Fluchtversuchen von Teilnehmer*innen.

Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte am selben Abend unter anderem, dass der Versammlungsleiter Martin Suchanek die Demonstration aufgelöst habe, weil er selbst von Teilnehmer*innen angegriffen worden sei. Als »glatte Lüge« und »Unverschämtheit« bezeichnet Suchanek die offizielle Version zu den Vorgängen im vergangenen Jahr.

Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, hatte ebenfalls im Nachgang der Polizei »eskalatives Vorgehen« vorgeworfen. Auch dass zum damaligen Zeitpunkt der Pandemie mangelnder Abstand unter den Teilnehmer*innen das Polizeihandeln nötig gemacht habe, hatte Schrader nicht als Argument gelten lassen. »Die Menschen wurden näher zusammengedrückt. Dem Infektionsschutz war das nicht dienlich«, so Schrader. Die Situation habe sich dadurch überhaupt erst hochgeschaukelt.

Aicha Jamal, Sprecherin des Bündnisses fordert für die Demonstration in diesem Jahr vor diesem Hintergrund, dass die Berliner Polizei »sich von unserer Demonstration fernhalten« solle. Auch an diesem 1. Mai werde man im Übrigen aus dem Grund, die von einer Coronainfektion besonders Gefährdeten schützen zu wollen, selbstverständlich einen Mund-Nasen-Schutz tragen - so wie es auch entgegen der Schilderungen der Polizei im vergangenen Jahr der Fall gewesen sei.

Natürlich ist auch der Ukraine-Krieg für das Bündnis relevant, um auf sozialpolitische Missstände hinzuweisen: »Während die Kriegskasse mit Milliardensummen aufgestockt wird«, würden Bildung und Gesundheitsversorgung »kaputtgespart«, heißt es im Aufruf.

»Dieser Krieg ist nicht unser Krieg«, sagt Aicha Jamal dazu, »es ist ein Krieg, der im Interesse der herrschenden Klassen geführt wird und bei dem wir nicht gewinnen können.« Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hätte als einzigen Grund die Aufrechterhaltung von Russlands Stellung als imperialistische Großmacht. Ebenfalls getrieben von imperialistischen Interessen gilt dem Bündnis auch das Militärbündnis Nato, das durch »Osterweiterung und jahrelange Eskalation die Grundlagen für diesen Krieg erst geschaffen« habe.

Die Berliner Polizei weist auf Nachfrage darauf hin, dass die polizeilichen Einsatzplanungen zum 1. Mai derzeit noch nicht abgeschlossen seien. »Entgegen 2021 hat die Überwachung der Einhaltung des Abstandsgebotes und das Nichttragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bei Versammlungen unter freiem Himmel aufgrund der aktuell geltenden Basisschutzmaßnahmenverordnung keine Priorität mehr und führt damit nicht zum polizeilichen Einschreiten«, erklärt eine Sprecherin gegenüber »nd«. Jedoch bleibe abzuwarten, wie sich die pandemischen Schutzmaßnahmen nach Außerkrafttreten der Basisschutzmaßnahmenverordnung nach dem 28. April 2022 darstellten.

Ansonsten würden sich die zu erwartenden polizeilichen Maßnahmen an den bis zum Einsatztag gesammelten Erkenntnissen und Erfahrungswerten der vergangenen Jahre und den aktuellen Entwicklungen orientieren, so die Sprecherin.

Das sehen die zahlreichen Anmelder*innen von Kundgebungen am und um den 1. Mai herum sicher ähnlich - aus ihrer Perspektive. Neben der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration, die um 16.30 Uhr vom Neuköllner Hertzbergplatz Richtung Oranienplatz ziehen will, sind derzeit etwa 15 Versammlungen geplant, darunter Motorrad- und Skating-Demonstrationen, aber auch die sich immer größerer Beliebtheit erfreuende Fahrradtour im Villenviertel des Grunewalds mit einer Sternfahrt aus zahlreichen Stadtteilen.

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