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Ein Erdbeben mit globalen Folgen
Der IWF senkt seine Prognose für die Weltwirtschaft
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft gesenkt. Als Grund nennt der IWF vor allem den Ukraine-Krieg. Der IWF rechnet in seinem am späten Dienstag in Washington veröffentlichten »Weltwirtschaftsausblick«, der 143 Länder berücksichtigt, die für 86 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung stehen, mit einem Wachstum in diesem Jahr von 3,6 Prozent. Das sind 0,8 Punkte weniger als bei der Prognose im Januar. Damit fällt der Ausblick weniger pessimistisch aus als vielfach erwartet. Der »World Economic Outlook« des IWF wurde am Rande der laufenden Frühjahrstagungen von Währungsfonds und Weltbank in Washington veröffentlicht.
»Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges breiten sich weit und breit aus - wie Erdbebenwellen, die vom Epizentrum eines Erdbebens ausgehen«, erklärte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas. »Die Krise entfaltet sich, während die Weltwirtschaft sich auf dem Weg der Erholung befand, sich aber noch nicht vollständig von der Covid-19-Pandemie erholt hatte.«Besonders verheerend seien die wirtschaftlichen Auswirkungen für die Ukraine, aber auch Russlands Wirtschaft sei massiv betroffen. Die ukrainische Wirtschaft dürfte der Prognose zufolge in diesem Jahr um 35 Prozent schrumpfen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des von harten westlichen Sanktionen getroffenen Russlands dürfte um 8,5 Prozent zurückgehen.
Verschlechtert haben sich die Aussichten auch für führende Industriestaaten. Für die USA senkte der Fonds seine Prognose um 0,3 Punkte auf 3,7 Prozent, für den gesamten Euroraum um 1,1 Punkte auf 2,8 Prozent. Der IWF erwartet für Deutschland in diesem Jahr nur noch ein Wachstum von 2,1 Prozent, das sind 1,7 Prozentpunkte weniger als bei der vorangegangenen Vorhersage.
Von einer Stagflation, also einer hohen Inflation bei erlahmender Konjunktur, wie sie einige Ökonomen nahen sehen, sind diese Zahlen jedoch weit entfernt. Allerdings weist der IWF auf die außergewöhnlichen Unsicherheiten seiner Prognose hin. Eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges und ein Totalembargo gegen Russland würde vor allem die deutsche Wirtschaft, die von russischem Gas abhängig ist, hart treffen. Heikel ist auch die extreme Exportabhängigkeit Deutschlands. So fährt der wichtige Neuwagenmarkt im Rückwärtsgang. Die Analysten von Ernst & Young erwarten für den größten deutschen Industriezweig, die Automobilindustrie, zum Ende des Jahres hin einen weiteren Rekordtiefstand.
Für den Rückgang beim Wachstum macht der IWF nicht allein den Ukraine-Konflikt oder andere Kriege wie in Äthiopien oder Jemen verantwortlich. Es sind weitere Faktoren, die vor allem eine höhere und länger andauernde Inflation erwarten lassen. Neben den Energiekosten, die schon 2021 zulegten, und steigenden Zinssätzen treiben beispielsweise der Mangel an Kraftfahrern sowie ausgelastete und daher teure Kapazitäten im Seeverkehr Preise nach oben. So meldete das Statistische Bundesamt am Mittwoch, dass die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im März um sagenhafte 30,9 Prozent höher als im März 2021 lagen.
Aus der Wirtschaft ist zu vernehmen, dass viele Unternehmen ihre Mehrkosten noch nicht in vollem Umfang an ihre Kunden weitergegeben haben. Andere Branchen, wie offenbar die Mineralölwirtschaft und Finanzspekulanten, nutzen das Spiel von Angebot und Nachfrage für Extragewinne.
Es gibt noch weitere Preistreiber. So steuerten Russland und die Ukraine bislang ein Drittel der globalen Weizenexporte bei. Auch der sich abzeichnende Mangel bei Dünger und Saatgut treibt die Preise bei Lebensmittelrohstoffen. Und Chinas Null-Covid-Strategie hat massive negative Auswirkungen auf Lieferketten und Weltwirtschaft. Aktuell liegen laut dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) 300 riesige Containerfrachter allein vor dem weltgrößten Hafen von Shanghai fest. Allerdings deutet der HWWI-Rohstoffpreisindex, der nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar in Rekordhöhen schoss, eine gewisse Beruhigung der Märkte an.
Der Vorsitzende des Finanzstabilitätsrates FSB in Basel, Klaas Knot, warnte jedoch am Mittwoch in einem Schreiben die G20-Finanzminister vor Gefahren für die Finanzmärkte. Den Anstieg der Verbraucherpreise in diesem Jahr taxiert der IWF für die Industrienationen auf 5,7 Prozent, in den Entwicklungs- und Schwellenländern sogar auf 8,7 Prozent. In Ländern wie Türkei, Brasilien oder Pakistan liegt die Geldentwertung sogar noch deutlich höher.
Kapital könnte angesichts der hohen Inflation und der insgesamt unübersichtlichen und volatilen Lage auf den Finanzmärkten aus Entwicklungs- und Schwellenländern in sichere Häfen wie die Vereinigte Staaten, die Schweiz oder Singapur abwandern. Das würde vor allem rohstoffarme Länder wie Sri Lanka zusätzlich schwächen. Währungsturbulenzen im globalen Süden drohen. Ohnehin gelten 135 Staaten als »kritisch verschuldet«, so der Schuldenreport von Erlassjahr.de und Misereor, der vor dem Ukraine-Krieg erschienen war. Dreimal so viele Länder wie noch vor der Corona-Pandemie sind demnach gefährdet, in die Zahlungsunfähigkeit zu rutschen.
Internationale Unterstützung ist also gefragt. Den 50 ärmsten Ländern hatte der IWF den Schuldendienst gestundet, aber nur bis Ende 2021. Für diese stehen von den vor einem halben Jahr erhöhten IWF-Sonderziehungsrechten lediglich 21 Milliarden Dollar zur Verfügung. Mehr als 150 Entwicklungsorganisationen forderten den IWF auf, seine Politik der Zinsaufschläge bei besonders hoch verschuldeten Ländern zu beenden. Dies sei »unfair und kontraproduktiv«, so das Bündnis Erlassjahr. Die Hilfsorganisation Oxfam wiederum verlangt, unsozial wirkende Auflagen von Kreditprogrammen zurückzunehmen. Diese enthielten »neue Sparmaßnahmen wie Steuern auf Lebensmittel und Brennstoffe oder Ausgabenkürzungen, die lebenswichtige öffentliche Dienstleistungen gefährden könnten«.
Einige Institutionen wie die Welthandelsorganisation WTO oder die Asiatische Entwicklungsbank revidierten ebenfalls kürzlich ihre Erwartungen nach unten. Doch alles das sind Momentaufnahmen, gibt Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel auf »nd«-Anfrage zu bedenken. Die vollständigen Auswirkungen von Krieg, Inflation oder neuen Lieferengpässen werden erst übers Jahr, im Herbst zu spüren sein. »Das war nicht die letzte Revision nach unten«, ist Hickel schon heute überzeugt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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