• Politik
  • Polizeigewalt in Österreich

Anselm Schindler ist kein Einzelfall

Österreichischer Klimaaktivist wird Opfer von Polizeigewalt - Beamter kommt mit Geldstrafe davon

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 3 Min.

Was ist der Preis für die Gefährdung eines Menschenlebens? In Wien liegt er bei 2250 Euro. Zu einer Geldstrafe in dieser Höhe wurde am 20. April vor einem Berufungssenat des Wiener Straflandesgerichts ein Polizist verurteilt. Er hatte am 31. Mai 2019 im Rahmen der gewaltsamen Auflösung einer friedlichen Sitzblockade der Klimabewegung in der Wiener Innenstadt mit seinem Polizeibus fast einen Aktivisten überfahren. Der Mann befand sich zum damaligen Zeitpunkt in Bauchlage direkt neben dem Hinterreifen des Polizeibusses, wo er von zwei weiteren Polizisten fixiert wurde. Als der Bus plötzlich losfuhr, wurde der Kopf des Aktivisten erst in letzter Sekunde zur Seite gerissen. Die Sache hätte tödlich enden können.

Im Internet verfügbare und vor Gericht präsentierte Videos zeigen, wie der Fahrer vor dem Losfahren zweimal nach hinten blickt, die Situation also gesehen haben muss. Genau dies hat der betreffende Polizist jedoch seit 2019 konsequent bestritten. Als die Staatsanwaltschaft versuchte, über eine in Österreich als Diversion bekannte außergerichtliche Einigung eine Anklageerhebung gegen den Polizisten abzuwenden, lehnte dieser ab. Rückendeckung kam er damals von Wiens Vizepolizeidirektor Michael Lepuschitz, der im ORF-Fernsehen behauptete, der Kopf des Aktivisten habe sich nicht unter dem Auto befunden. Eine glatte Falschaussage, wie durch die zahlreichen, auch vor Gericht gezeigten Videos belegt ist. Hauptsächlich aufgrund dieser Videos kam es im Jahr 2021 auch zur erstinstanzlichen Verurteilung des Polizisten, gegen die dieser Einspruch erhob. Am 20. April entschied nun auch ein Berufungsgericht gegen den Polizisten - drei Jahre nach dem Vorfall.

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Der Fall von Anselm Schindler, so der Name des betroffenen Aktivisten, ist besonders drastisch. Es ist aber längst kein Einzelfall. Darauf wiesen Aktivist*innen der Wiener Klimabewegung im Rahmen einer Solidaritätskundgebung außerhalb des Wiener Straflandesgerichts am Mittwoch hin. Unter anderem erzählte ein anderer Teilnehmer an der Sitzblockade vom 31. Mai 2019, wie ihm ein Polizist mit der Faust den Kehlkopf eingedrückt habe. »Der hätte brechen können«, habe ihm eine Ärztin bei einer anschließenden Untersuchung erzählt. Auch dies ein Übergriff mit beinahe tödlichen Folgen.

In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Repressalien gegen die Klimabewegung in Wien. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Bewegung mittels eines dauerhaft angemeldeten Protestcamps sowie Blockade- und Besetzungsaktionen gegen ein Autobahnprojekt zur Wehr setzt, das von der Stadtregierung im Nordosten der österreichischen Bundeshauptstadt vorangetrieben wird. Seit September vergangenen Jahres waren zwei Autobahnbaustellen durch Aktivist*innen besetzt. Anfang Februar wurde zunächst die eine, am 5. April dann die zweite Baustelle durch ein Großaufgebot der Polizei geräumt.

Auch diese Räumungen waren von überharter Polizeigewalt geprägt, wie 34 am 5. April inhaftierte Aktivist*innen nun in einer öffentlichen Stellungnahme beklagen. Zum einen wird kritisiert, dass die Polizei das Baustellengelände weiträumig abgesperrt hatte und Medienvertreter*innen den Zutritt zum Schauplatz der Räumung verweigerte, wohl um missliebige Bilder, wie sie am 31. Mai 2019 entstanden waren, zu verhindern.

Die Haftbedingungen werden in der Stellungnahme scharf kritisiert. Für einen Teil der für 24 Stunden im Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände festgehaltenen Personen habe es kaum Essen gegeben. Berichtet wird über Würge- und Fixierungsgriffe, um erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzusetzen. Polizist*innen sollen Trans-Personen dabei in ihre Unterhosen geschaut haben, um diese »einordnen« zu können. Außerdem werden verbale Gewaltandrohungen durch Polizist*innen zitiert, so zum Beispiel: »Kann ja sein, dass du hingefallen bist.«

Die Wiener Polizei bat auf Nachfrage des »nd« um »Verständnis, nicht zu jedem Vorwurf Stellung nehmen zu können.« Die Polizei handele nach Gesetzen. Wer sich in seinen Rechten eingeschränkt fühle, könne Beschwerde einlegen oder klagen. Letzteres ist aber enorm zeitraubend, wie nicht zuletzt der Fall Anselm Schindler zeigt.

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