Wessen Stadt?

Antigone Akgün nutzt am Theater Bremen Brechts »Brotladen« als Material für ein Stück über Leerstand

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 4 Min.
»Hatte das viel besungene Byzanz / Nur Paläste für seine Bewohner?«: Schauspieler Christian Freund, mit Brecht im Gepäck, im Bremer Stadtraum
»Hatte das viel besungene Byzanz / Nur Paläste für seine Bewohner?«: Schauspieler Christian Freund, mit Brecht im Gepäck, im Bremer Stadtraum

Als Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann den »Brotladen« schrieben, hatte die Welt gerade den größten Börsencrash der Geschichte erlebt. Die Schockwellen der Ereignisse an der New Yorker Aktienbörse stürzten nicht nur die USA in eine tiefe Wirtschaftskrise. Auch in Europa und vor allem in Deutschland brachen die Aktienmärkte zusammen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Der Brotladen« setzt sich in diesem Kontext vor allem mit der Arbeit der Heilsarmee auseinander. Die christliche Wohlfahrtsorganisation steht für Brecht und Hauptmann paradigmatisch für das Geschäft mit der Armut, die eben keineswegs abgeschafft werden soll, sondern - ganz im Gegenteil - wieder Mittel für eine besondere Bereicherung wird.

Dass das Stück Fragment blieb, Steinbruch wurde für »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«, ist bekannt. In der Theatergeschichte ist der »Brotladen«, anders als die »Johanna«, denn auch eher eine Fußnote geblieben. Vielleicht zu Recht. Er erzählt die Geschichte vor allem der armen Witwe Niobe Queck, die im Zuge der Wirtschaftskrise mit ihren Kindern mittellos auf der Straße landet. Da hilft auch die Unterstützung des Zeitungsverkäufers Washington Meyer nicht, der die Familie verbotenerweise in seinem kleinen Laden unterbringt. Die Polizei macht dem Asyl ein Ende. Die Kinder nimmt die Heilsarmee mit, die Mutter stirbt, die Arbeitslosen stürmen den Brotladen.

Gewissermaßen als Auftakt zum Tag der Arbeit brachte am vergangenen Wochenende das Theater Bremen eine Adaption des Fragments auf die Bühne. Wobei: Die Bühne erweist sich in diesem Fall als Geschäftsraum eines ehemaligen Berufsbekleidungsgeschäfts in der Nähe des Theaters, inmitten des Szeneviertels Ostertor. Der Titel des Abends von Autorin und Regisseurin Antigone Akgün, »Leer/Stand - Der Brotladen oder: Wem gehört der Stadtraum?«, nimmt dann auch schon ein gutes Stück Abstand von Brecht und zeigt an: Hier geht es um Gentrifizierung, um den Leerstand, der mit dem Wandel der Innenstädte einhergeht - und da gibt es in Bremen wie anderswo einiges zu sehen. Und klar: Diese Entwicklung hat ja auch was mit Kapitalismus zu tun, nämlich mit der Verdrängung des Prekariats, wenn wir schon nicht Arbeiterklasse sagen, an die Peripherie. Mit Reichtum und Armut.

Ein Glück vielleicht, dass der »Brotladen« als Fragment da offen genug für Anschlüsse ist. Allzu spezifisch wird das Stück in seiner Analyse der Krise schließlich nicht.

Die Schau beginnt auf dem Theatervorplatz, wo der Schauspieler Christian Freund vom Theater erzählt, das nun zum Destillat alltäglicher Ereignisse werden soll, auf den Leerstand allerorten verweist, die Frage aufwirft, wie Verdrängung und Leerstand zusammenhängen - mit Brecht auf die Veränderbarkeit der Verhältnisse verweist. »Hier soll Bremen Aufklärung erfahren«, verspricht er und fordert solidarische Verteilung des Leerstands. Dann geht es hinein die verlassenen Geschäftsräume des Kleidungshändlers von der Aa, wo nun im Erdgeschoss ein Pop-up-Café residiert. Hier räsoniert Freund weiter, zitiert aus den »Fragen eines lesenden Arbeiters«, bevor er dann den »Versuch über Brecht« ankündigt.

Was dann kommt, ist in weiten Zügen die Story des »Brotladens«, meist vehement, bisweilen sehr laut vorgetragen, Schauspieler Patrick Balaraj Yogarajan übernimmt Teile des Textes, Freund rappt zum Nachweis, dass die Sprache der Subalternen mit der Brechts und Hauptmanns nicht gut zusammengeht (man hätte es ahnen können), präsentiert Wikipedia-Wissen zur Heilsarmee, reflektiert über das Theater als moralische Anstalt und die Idee, Betroffene »authentisch« auf die Bühne zu bringen.

Nach dem mit krachenden Drones unterlegten Kampf ums Brot scheinen wieder mal alle Fragen offen. Aber hier soll es dann damit doch nicht getan sein: Installationen und Performances in den übrigen Etagen des Hauses, vom Keller fast bis zum Dachboden, leuchten die Hintergründe von Werk und Stoff aus, lassen Aktivisten der Zwischennutzung, Kaffeehändler und Betroffene des Wohnungsmangels zu Wort kommen, zeigen die zeitgenössischen Entsprechungen der Figuren, erhellen die Geschichte des Unternehmens Heinrich von der Aa. Und hinterlassen dabei nicht wenig Ratlosigkeit.

Gewiss: Es geht um Spekulation - steigende Mieten treffen nun mal die Mieter, nicht die Vermieter. Aber die Wohnraumfrage ist dann doch nicht das Gleiche wie die Sorge um den Mangel an Geschäft in den Kommunen. Weshalb eine »solidarische Verteilung« von Leerstand wenn schon keine Worthülse ist, dann aber de facto wohl doch eher jungen Kreativen zugutekäme, die sich mit frischen Geschäftsideen zeitweise dort einnisten können, wo das alte Geschäft nicht mehr funktioniert. Wohnen wird in den ehemaligen Kassenhallen von Banken oder verlassenen Fabrikhallen bis auf Weiteres niemand.

Insofern mag dieser »Versuch über Brecht« vielleicht von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sein, auch wenn vor allem Christian Freund als sympathisch gebrochene »Regiefigur Brecht« und das provisorische Setting durchaus theatrale Reize versprühen.

Nächste Vorstellungen: 4., 5., 7., 10. und 11. Mai.

www.theaterbremen.de

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.