Boris Johnson vor dem Aus?

Für das weitere politische Schicksal des skandalgeschüttelten britischen Premierministers sind die Regionalwahlen ein wichtiger Stimmungstest

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 4 Min.

Boris Johnson setzt sich für Fotos gern in Szene. Er zeigt sich beim Rundgang in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, sonnt sich vor indischen Tempeln oder lässt sich in Schlips und Anzug beim Kicken im nordenglischen Bury filmen. Doch der Versuch, damit bei ukrainischstämmigen Wählern, in Großbritannien ansässigen Hindus oder Fußballfreunden zu punkten, scheint ihm derzeit nicht zu gelingen. Ganze 29 Prozent der Briten schätzen nach Umfragen die Leistungen des konservativen Premiers, bei 65 Prozent zeigen die Daumen nach unten. Damit sorgt er am 5. Mai aller Voraussicht nach für eine Kommunalwahlschlappe seiner Tories, die seine politische Karriere beenden könnte.

Nicht alle Probleme der Regierungspartei sind hausgemacht. Sprit‑, Energie- und Lebensmittelpreise steigen wegen der Öl- und Gasverteuerung in ganz Europa rasant an. Andererseits versagte Johnsons Finanzminister, der Millionär Rishi Sunak, katastrophal. In seiner jüngsten Rede zum Haushalt schlug Sunak alle Warnungen in den Wind, die Ärmsten im Land nicht vor den Folgen der Teuerungen zu schützen. Er selbst ist mit einer Millionenerbin und Steuervermeiderin verheiratet und hat einen Hedgefonds gegründet – eine soziale Absicherung, die Geringverdienern nicht zur Verfügung steht. Da Sunak gleichzeitig Steuern und Abgaben mitten in der Krise auf Rekordniveau anhob, ist Sunaks Stern rapide gesunken.

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Ein politischer Rivale weniger, mag sich Boris Johnson gedacht haben. Doch der konservativen Kampagne fehlt es an Substanz: Darin wird suggeriert, die Tories seien sparsamer. Angesichts zahlreicher Korruptionsvorwürfe gegen die Tories führen sie sich damit selbst ad absurdum. Nun muss auch noch ihr Abgeordneter Neil Parish wegen Pornokonsums im Unterhaus den Hut nehmen. Auch dem Premier lasten seine Vergehen weiter an. Einzelheiten über Partys im Garten sowie in der Dienstwohnung an Johnsons Amtssitz zum Höhepunkt der Covid-Pandemie wurden nach und nach bekannt. Die Feten fanden statt, obwohl die Regierung selbst jede Menschenansammlung streng verboten hatte. Damit wurde Downing Street zum Tatort. Tausende seiner Landsleute durften zur selben Zeit einem sterbenden Angehörigen nicht zum letzten Lebewohl die Hand geben, selbst die Queen musste in der Kapelle allein sitzen, als ihr Gemahl begraben wurde.

Johnsons Vertuschungsmanöver haben seine Lage nur verschlimmert. Die Londoner Polizei verstand keinen Spaß und verhängte gegen den Premier – übrigens auch gegen Sunak – eine Geldstrafe. Weitere können folgen. Als erster ertappter Gesetzesbrecher in seinem Amt hat Johnson immerhin Geschichte geschrieben. Ein Abschluss der Untersuchung der Vorfälle durch die erfahrene Beamtin Sue Gray und eine weitere durch einen Parlamentsausschuss stehen dem Premierminister noch bevor. Keine rosigen Aussichten für Johnson.

Im Kern geht es bei den Wahlen am Donnerstag darum, welche öffentlichen Dienstleistungen lokal künftig erbracht werden. Die Regionalwahlen sind auch wegen deutlich niedrigerer Wahlbeteiligung nicht mit Parlamentswahlen vergleichbar. Zur Wahl steht ein Drittel aller Ratsmandate. Bereits beim zurückliegenden Kampf um dieselben Sitze schnitten die Tories 2018 schlecht ab. In London, Manchester, Liverpool und anderen Großstädten haben sie nicht mehr viel zu verlieren. Konservative Meinungsmacher stapeln nun entsprechend tief, um nachher mit angeblich unerwarteten Siegen aufzutrumpfen. Die in Tory-Hand verbliebenen Stadtbezirke wackeln wegen Johnsons Unbeliebtheit, etliche Anhänger könnten dem Premier durch Fernbleiben von den Urnen einen Denkzettel verpassen.

Gleichzeitig hoffen Labour und Liberaldemokraten, dass ihnen viele Sitze wie reifes Obst in den Schoß fallen. Auch in Schottland und Wales stehen die Tories unter Druck. Bei einem prognostizierten Verlust von bis zu 750 Kommunalmandaten landauf, landab könnten bisher unentschiedene Tory-Abgeordnete Johnson von der Fahne gehen – aus Angst, wegen ihm ihre eigenen Wahlkreise zu verlieren. Die nächsten Parlamentswahlen stehen spätestens im Dezember 2024 an.

Noch bliebe den Tories also genug Zeit, sich mit einem neuen Vorsitzenden zu regenerieren. In Frage kämen etwa der nicht durch Mitgliedschaft im Johnson-Kabinett belastete Ex-Minister Jeremy Hunt oder die ehrgeizige Außenministerin Liz Truss. Zwar verehren einige Fraktionsmitglieder Boris Johnson, weil er für ihre Wahlsiege 2019 sorgte, doch Dankbarkeit gehört nicht zu den Haupttugenden in der Politik. Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum müssten 54 der 358 Abgeordneten der eigenen Partei Johnson ihre Unterstützung entziehen.

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