Nur gegen Sexismus reicht nicht

Die Linkspartei wird ihre strukturellen Probleme nicht mit dem Blick auf »Hauptwidersprüche« lösen.

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.

Die öffentliche Debatte um die Übergriffs-Vorwürfe in der Linkspartei und um den Umgang dauern an. Dabei heißt es in nahezu allen Äußerungen aus der Partei, es dürfe keinen Sexismus geben, in der Partei gebe es keinen Platz für Sexismus. Das kann allerdings fast alles bedeuten zwischen »wir haben jetzt genug getan, hört auf zu nerven« und »diese Partei hat ein massives Problem und muss sich grundlegend ändern«.

Dabei könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Personen und Instanzen, die nur unkonkret von Sexismus sprechen und die wirklichen konkreten Vorwürfe nicht erwähnen, das Problem verharmlosen und eigentlich ignorieren wollen. 

Man könnte nun auch sagen, dass Sexismus aber das größere, hinter den sexualisierten Übergriffen und Grenzüberschreitungen liegende Problem, ja der eigentlich gesellschaftliche Widerspruch sei, und alles andere nur Symptome davon sind. Deswegen wäre es für eine emanzipatorische und radikal die Wurzeln der Probleme angehende Linke ja sinnvoll, sich nicht auf die Erscheinungsformen, sondern auf das Grundproblem zu fokussieren. Das klingt gut, ist aber Quatsch. Denn je größer und unkonkreter das Problem, desto unmöglicher und unwahrscheinlicher wird seine Bearbeitung. Zudem ist ja Sexismus unbestreitbar in allen Parteien und gesamtgesellschaftlich ein Problem, ein direkter Handlungsdrang für die Linkspartei ergibt sich dadurch also nicht. Wenn man aber über die konkreten Probleme und Strukturen, die sie ermöglichen, spricht, ist das Problem immer noch groß und schwierig zu behandeln. 

Aber es gibt konkrete Vorschläge und Maßnahmen, über die man diskutieren kann, wie in dem Aufruf linker Feministinnen »Den Grundkonsens erneuern«. Viele dieser Fragen sollten bis zum Parteitag Ende Juni soweit diskutiert sein, damit es nicht nur zu Absichtserklärungen kommt, sondern ein tatsächlicher Wandel eingeleitet werden kann: Wie sollte eine »Arbeit mit den Betroffenen, die sie ernst nimmt und eine Re-Viktimisierung verhindert« konkret aussehen? Sollten »Weiterbildungen zur Sensibilisierung für Sexismus/sexualisierte Gewalt für Mandatsträger und Personen in leitender Funktion« verpflichtend gemacht werden? Welche »Möglichkeit einer vorübergehenden Suspendierung von Parteifunktionen des Beschuldigten« sollte es geben?

Ein Beispiel dafür, wie man die Debatte nicht voran- sondern hintertreibt, ist der Gastkommentar des »Altstars« der Partei, Gregor Gysi, in der vergangenen Woche im »nd«. Die zu Tage tretenden Fälle von Vertuschung und Übergriffen werden bei ihm zum »Sexismus-Vorwurf« und entspringen anscheinend nicht tatsächlichen Problemen, sondern einer Kampagne des »Spiegel« zur »inneren Zerfleischung der Partei«. Mögliche Probleme tut er lapidar ab: »Selbstverständlich dürfen wir Sexismus – in welcher Form auch immer – in unserer Partei nicht zulassen.« Wie soll dieses »nicht zulassen« aussehen, was soll man dagegen unternehmen – das ist ihm keine Silbe wert, in häßlicher altlinker Tradition scheint es sich lediglich um einen Nebenwiderspruch beziehungsweise »Nebenfragen und Nebenschauplätze« zu handeln. In der Aufzählung der »wichtigen politischen Fragen«, auf die man sich konzentrieren müsse, kommt Sexismus nicht vor, geschweige denn die Aufarbeitung von Übergriffen, Machtmissbrauch und Verschleierung: »Wir brauchen also eine Wiedergewinnung der kulturellen und seelischen Ostidentität, eine Konzentration auf die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Guten Arbeit, eine Verankerung der sozialen Verantwortung bei der ökologischen Nachhaltigkeit und eine realistische Friedens- und Außenpolitik.«

Dagegen zählt Melanie Wery-Sims, Mitglied im Bundesvorstand der Partei und Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz in einem Gastbeitag für den Blog »Volksverpetzer« vom Donnerstag die Probleme konkret auf: »Sexismus, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, Täterschutz«. Dagegen bräuchte es »ehrliche und konsequente Aufarbeitung und künftige Prävention« für einen »Neustart der Linken«. Wery-Sims berichtet auch von eigenen Erfahrungen und kritisiert, dass »es Kräfte innerhalb der Partei gibt, die unsere Forderungen und Prinzipien vielleicht nach außen hin vertreten, aber in Wahrheit genau für das Gegenteil stehen«.

Auch der Beschluss des Parteivorstandes vom 20. April forderte ein »konsequentes Handeln gegen Sexismus, Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt« und machte konkrete Vorschläge. Man kann der Partei nur die Daumen drücken, dass sich das als Mehrheitsmeinung entpuppt.

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