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Reizwort Gender
Geschlechterfragen werden zum Mobilisierungsfeld für rechte Politik. Ein wichtiger Akteur dabei: die selbsternannte »Männerrechtsbewegung«
Antifeministische »Maskulinisten« wollen geschlechtsspezifische Privilegien erhalten oder wiederherstellen. Sie verbreiten Verschwörungserzählungen über einen angeblichen »Umerziehungsstaat«, der einseitig Frauen fördere und bevorzuge. Nach ihrer Interpretation ist die Gleichstellung der Geschlechter längst erreicht, benachteiligt seien nun Männer und Jungen. Maskulinisten sind vor allem online präsent, im realen öffentlichen Raum nutzen sie eher eine Taktik der Verschleierung. Ihre Vereine präsentieren sich gemäßigt, heißen »Forum Soziale Inklusion«, »Geschlechterpolitische Initiative« oder »Arbeitsgemeinschaft zur Verwirklichung der Geschlechterdemokratie«. Die Namen der Zusammenschlüsse klingen harmlos, doch auf Webseiten und in Netzkommentaren wird deutlich, in welchem ideologischen Spektrum Mitglieder und Anhänger unterwegs sind.
Das wichtigste Reizwort dabei heißt »Gender«: Der englische Begriff beschreibt die soziale Konstruiertheit von Geschlecht, einst wurde er unter Berufung auf die Philosophin Judith Butler, die an einer Universität im kalifornischen Berkeley lehrt, in die wissenschaftliche Debatte im deutschsprachigen Raum eingeführt. Schon seit 2015 versuchen auch Männerrechtler, sogenannte »Gender-Kongresse« durchzuführen. Von den großspurigen Ankündigungen im Internet, die Dutzende von unterstützenden Organisationen, Tausende von Besucher*innen und riesige Messegelände als Tagungsorte versprachen, blieb am Ende allerdings stets wenig übrig. Dreimal fand die Veranstaltung stattdessen in äußerst überschaubarem Rahmen in Nürnberg statt; zuletzt fiel sie, auch wegen Corona, ganz aus. Ein typisches Muster war stets die Bitte um wohlwollende Grußworte, gerichtet an die lokale Parteiprominenz. Als sich unter den Angefragten herumsprach, dass der Tagungstitel ein Euphemismus ist und es sich faktisch um einen »Anti-Gender-Kongress« handelte, zogen viele ihre Zusage zurück.
Einfluss der AfD
Kurz nachdem die AfD 2016 erstmals in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogen war, erschien auf der Webseite des Männerrechtler-Vereins »MANNdat« ein Interview mit Hans-Thomas Tillschneider. Der neu gewählte AfD-Abgeordnete plädierte für die Beibehaltung der traditionellen familiären Arbeitsteilung und für die Rücknahme emanzipatorischer Justizreformen etwa im Scheidungsrecht. Das entlarvende Gespräch, in dem sich der maskulinistische Fragesteller Andreas Kraußer und sein AfD-Partner über »ideologisch verblendete« Gegner*innen schnell einig waren, ist eher die Ausnahme als die Regel. Denn meist versuchen Männerrechtler, sich politisch unabhängig darzustellen, um in bürgerlichen Kreisen auf Akzeptanz zu stoßen.
Ideologisch passen die verwendeten Deutungsmuster allerdings besser zur AfD. Deren Thüringer Fraktionschef Björn Höcke moniert in drastischem Ton »steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen« – gemeint ist das gleichstellungspolitische Konzept des Gender Mainstreaming auf europäischer und nationaler Ebene. In den Parlamenten wittert die Partei seit Jahren eine angebliche Männerfeindlichkeit, gibt sich besorgt über die »Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft durch Misandrie«: Ein »radikaler Feminismus« treibe die »Entfremdung zwischen den Geschlechtern« voran.
AfD-Rechtsaußen Höcke beklagt zudem die fehlende »Maskulinität« deutscher Männer. Seine Appelle, »mannhaft« und »wehrhaft« zu agieren, stehen historisch in einer höchst problematischen Kontinuität. In der Weimarer Republik arbeitete sich die deutsche Rechte an der freizügigen Atmosphäre etwa des Berliner Nachtlebens ab, in deren Zuge die traditionelle Männlichkeit verweichlicht werde. In dem von den Nationalsozialisten angezettelten Weltkrieg kämpften deutsche Männer dann »hart wie Kruppstahl« für Frauen und Kinder. Auf solche martialischen Leitbilder berufen sich heute auch Terroristen.
Die »Mannosphäre«
In Egoshooter-Computerspielen werden imaginäre Gegner per Mausklick umgebracht. Die Täter im neuseländischen Christchurch und im norwegischen Oslo begaben sich aus der virtuellen in die reale Welt, mit mörderischen Folgen. In Halle an der Saale filmte sich Stephan Balliet bei seinen Morden selbst im Livestream. Seinem Versuch des Eindringens in die Synagoge und den anschließenden Hinrichtungen willkürlich ausgewählter Opfer konnte man weltweit zuschauen. In Hanau tötete Tobias Rathjen migrantische Deutsche ohne virtuelle Inszenierung; doch auch er versendete ein digitales Manifest, war mit einem Blog online.
Diese vermeintlichen Einzelkämpfer sind nahezu immer Männer – und sie sind eben keine einsamen Wölf, sondern eingebunden in eine Hass-Community, in der alle hetzen und einer schießt. Wie ihr Vorbild Anders Breivik wollen sie zu Helden werden, möglichst viele Feinde töten. Ein ähnlich hohes Gewaltpotenzial haben die sogenannten Incels, die Abkürzung steht für »Involuntary Celibate«, unfreiwillige Enthaltsamkeit. Unter dem zölibatären Etikett treffen sich in zumeist US-amerikanischen Foren Männer mit fragilem Selbstbewusstsein, die Probleme haben, erotische Kontakte zu Frauen aufzubauen. Sie bekämpfen den Feminismus, wollen die Zeiten zurück, in denen sie qua Geschlechtszugehörigkeit das Sagen hatten. Wozu sexuelle Enttäuschung kombiniert mit Frauenhass und gekränkter Männlichkeit führen kann, zeigte 2018 die Amokfahrt im kanadischen Toronto, als der 28-jährige Alek Minassian im Lieferwagen mit Absicht über einen Gehweg raste und zehn Passanten tödlich verletzte. Kurz zuvor hatte der Attentäter auf Facebook geschrieben: »Die Incel-Revolution hat bereits begonnen.«
In der medialen Aufarbeitung solcher Anschläge stehen häufig Judenhass oder islamophobe Motive im Vordergrund. Doch schon Anders Breivik wetterte in seinem über tausend Seiten starken Manifest nicht nur gegen »Kulturmarxisten« und Geflüchtete, sondern auch gegen den Feminismus; er verlangte die Wiederherstellung des Patriarchats. Als Onlinekommentare 2011 nach den Massenmorden in Norwegen Schadenfreude oder gar Sympathie für den Täter posteten, führte dies immerhin zu Kontroversen innerhalb der »Mannosphäre«. Eher moderate Stimmen wie der Blogger Arne Hoffmann distanzierten sich von solchen Äußerungen. Die Männerrechtler präsentieren sich im Internet seither widersprüchlich. Gemäßigte und militante Strömungen sind zwar weiterhin gut untereinander vernetzt, gesellschaftlich aber wirken sie weitgehend isoliert und auf sich selbst bezogen.
Frust und Feindschaft
Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für maskulinistische Tendenzen ist der Frust von Männern nach einer Scheidung. Größter deutscher Interessenverband mit nach eigenen Angaben rund 4000 Mitgliedern ist der »Väteraufbruch für Kinder« (VafK). Einst progressiv aufgestellt, forderte er nach seiner Gründung vor gut 30 Jahren ein verbessertes Sorgerecht, daneben aber auch egalitäre Geschlechterrollen und kürzere Arbeitszeiten für Eltern. Doch die Fluktuation ist hoch, viele Interessierte kommen bei akuten persönlichen Problemen und verlassen den Verein wieder, sobald sie diese gelöst haben. Ein klares Profil zu zeichnen ist daher schwierig.
Der »Verband alleinerziehender Mütter und Väter«, dem faktisch ganz überwiegend Mütter angehören, begegnet dem VafK mit großen Vorbehalten. Auch andere frauenpolitische Gruppen sind skeptisch, schon weil Trennungsväter-Aktivisten im öffentlichen Raum oft wenig diplomatisch oder gar aggressiv auftreten. Der »Väteraufbruch« als Ganzes war jedoch nie frauenfeindlich orientiert. Der Balanceakt zwischen ehrenamtlich geleisteter Beratung und gesellschaftlichem Engagement ist typisch für viele Selbsthilfegruppen. In jüngerer Zeit ist allerdings eine klare Fixierung auf das Trennungsthema feststellbar – und eine heikle Nähe zu rechtskonservativen Positionen in einflussreichen Ortsvereinen. Schon 2006 hatte sich der Schauspieler Mathieu Carrière bei einer Demonstration in Berlin ans Kreuz fesseln lassen: Unter dem reißerischen Motto »Schluss mit dem Krieg gegen Väter« stilisierte er sich zum Opfer mütterlicher Emanzipation.
Trotz solcher spektakulären Aktionen: Der von antifeministischen Kräften vereinnahmte Begriff »Männerrechtsbewegung« ist reines Wunschdenken. Bewegung klingt nach Graswurzel, doch statt um organisches Wachstum von unten handelt es sich eher um das Verlegen von Kunstrasen. Der Maskulinismus tobt sich vorwiegend in den Echokammern virtueller Stammtische aus. Auffällig oft wiederholen sich dort die Namen der Verfasser, für Onlinekommentare in großen Zeitungen werden zusätzlich Pseudonyme genutzt. Das Netz erzeugt so eine verzerrte Wahrnehmung hoher Bedeutsamkeit. Offline dagegen spielen Männerrechtler kaum eine Rolle; ihr Versuch, Einfluss auf die staatlichen Konzepte von Gleichstellungspolitik zu gewinnen, ist bisher weitgehend gescheitert. Bedeutsam aber bleibt die ideologische Einflussnahme: Denn manche Standpunkte, vor allem zum heiklen Trennungsthema, sind über das rechte Milieu hinaus auch in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig.
Thomas Gesterkamp diskutiert seine Thesen auf der Fachtagung »Antifeminismus auf dem Weg durch die Institutionen« der Heinrich-Böll-Stiftung, die am 10. Mai in Berlin stattfindet. Mehr unter www.boell.de
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