Wärme ohne Öl

Alte Bohrlöcher sollen in den USA verstärkt für Geothermiekraftwerke genutzt werden. Pilotprojekt in Frankreich weist Weg

  • Johannes Streeck
  • Lesedauer: 5 Min.

Gut 6000 Kilometer unter unseren Füßen dreht sich der Erdkern, eine riesige Kugel aus Nickel und Eisen. In dieser Tiefe ist der Druck über 3000 mal so hoch wie im Marianengraben, dem tiefsten Punkt des Pazifischen Ozeans. Dank dem radioaktiven Zerfall von schweren Elementen entsteht hier enorme Energie, die auf der Oberfläche in verschiedenen Formen in Erscheinung tritt. Heiße Quellen gehören genauso dazu wie Vulkanausbrüche. Mit einer Temperatur von rund 6000 Grad wird der Erdkern gerne als zweite, nähere Sonne beschrieben. Da liegt es eigentlich auch nur nahe, auch diese Sonne als Quelle nachhaltiger Energie zu nutzen.

Doch obwohl sie theoretisch weltweit verfügbar ist, bestimmt bis jetzt vor allem die geologische Beschaffenheit, wo die sogenannte Geothermie als Energiequelle nutzbar ist. In Island produziert sie rund ein Viertel der dort genutzten Elektrizität und heizt 90 Prozent der Haushalte während des kalten Winters. Die vulkanische Natur der Insel macht es verhältnismäßig einfach, die Hitze aus der Erde in Wohnhäuser zu leiten oder in Strom umzuwandeln. Andernorts ist es oftmals aufwendig und teuer, tief genug zu bohren, um zu den erforderlichen Temperaturen vorzudringen. Es sei denn, man bedient sich einfach der vielen Bohrungen, die es schon gibt.

»Quellen der Möglichkeiten« ist die grobe Übersetzung für den Namen eines Pilotprogramms des US-Energieministeriums, das auch etliche Großforschungseinrichtungen finanziert. Das Paket von Fördergeldern bietet Kofinanzierungen für Experimente an mehreren Öl- und Gasbohrungen, um deren Nützlichkeit als Quellen von Geothermie auszuloten. Durch die Nutzung von bereits bestehenden Bohrlöchern soll dieses Konzept einen der kostspieligsten Teile geothermischer Technik ersparen, nämlich das Bohren selbst.

In den Elk Hills, einem Wüstengebiet bei Bakersfield in Kalifornien, wird schon seit über 100 Jahren Öl abgepumpt. Bei der Förderung von Erdöl kommen große Mengen stark erhitzten Wassers mit an die Oberfläche. Nun soll die Firma ICE Thermal Harvesting mit 1,7 Millionen Dollar vom Energieministerium Systeme installieren, die mit dem heißen Schmutzwasser Strom produzieren. Bis jetzt werden diese meistens als Abfallprodukt der Förderung behandelt und absurderweise oft kostspielig mit Hilfe von fossilen Brennstoffen abgekühlt, statt nutzbar gemacht zu werden. Auch im sogenannten Austin Chalk, einem Fördergebiet, das sich quer durch den Bundesstaat Texas zieht, soll mit Hilfe von Geldern des Energieministerium das geothermische Potenzial von aktiven Ölquellen erforscht werden. In der ländlichen Vorstadt Norman in Oklahoma ist als Teil des Pilotprojekts sogar geplant, gleich eine ganze Gemeinde von der Thermalenergie einer naheliegenden Ölquelle zu beheizen und mit Strom zu versorgen.

Wie einfach die Produktion von Elektrizität durch die Wärme aus Bohrlöchern sein kann, zeigten schon die 2020 veröffentlichten Ergebnisse eines Testlaufs im französischen Chaunoy-Ölfeld in der Nähe von Paris. In Chaunoy, wo inzwischen mehr Wasser als Öl aus den Bohrlöchern kommt, wurde das heiße Wasser aus der Ölförderung in Dampf umgewandelt, der Turbinen zur Stromerzeugung antreibt. Eine Besonderheit des französischen Pilotprojekts ist der Umstand, dass hier trotz vergleichsweise niedriger Temperaturen noch Elektrizität generiert werden konnte. Laut einer 2019 vorgenommen Versuchsreihe konnte das durch EU-Gelder finanzierte »MEET«-Forschungsprojekt schon mit durchschnittlichen Temperaturen von 90 Grad Celsius Strom erzeugen.

Besonders in den USA, wo fast die Hälfte der Energie für Heizzwecke verbraucht wird, ist die neue Technologie vielversprechend. Doch bevor Energie aus versiegten Öl- und Gasquellen als brauchbare Alternativen zu fossilen Brennstoffen genutzt werden kann, gilt es noch einige Hürden – und Distanzen – zu überwinden. Versuche wie der in Norman (Oklahoma), wo mehrere hundert Haushalte durch Geothermie beheizt werden könnten, sind im Moment nur an sehr wenigen Orten umzusetzen. Da jeder Zentimeter Strecke, den die zutage geförderte Energie zurücklegen muss, einen Wärmeverlust bedeutet, können bislang nur Gebäude in der unmittelbaren Umgebung von Öl- oder Gasquellen effektiv von diesen beheizt werden. Je weiter die Technik zur Isolierung der wärmeleitenden Rohre voranschreitet, desto größer wird deren theoretische Reichweite.

Die amerikanische Umweltschutzorganisation »Environmental Defense Fund« rechnet derzeit mit rund 81 000 Öl- und Gasquellen in den USA, die als inaktiv oder verlassen eingeordnet werden. Von diesen wurden viele nicht korrekt versiegelt, wodurch allerlei Schadstoffe in die Umwelt austreten. Laut »Environmental Defense Fund« ist allein das Methangas, dass aus diesen »verwaisten« Quellen austritt, für einen CO2-Ausstoß verantwortlich, der sich mit dem von zwei bis fünf Millionen PKWs vergleichen lässt. Im Öl- und Gasgeschäft folgen auf rapide Wachstumsphasen oft Pleitewellen. Diese sogenannten »Boom-and-Bust«-Zyklen produzieren fraglos genug Anwärter. Auf Anfragen des »nd« zu diesem Thema antwortet ein Repräsentant des Energieministeriums, dass viele der verwaisten Quellen wegen ihres instabilen Zustands für die Geothermie nicht nutzbar sein werden. Wenn zumindest ein Bruchteil der verlassenen Bohrstellen als Teil eines Umbaus zur Geothermie adäquat versiegelt wird, wäre dies schon ein Teilerfolg.

Die klimaschädlichen Öl- und Gasbohrungen zu Quellen sauberer Geothermie umzuwandeln macht sich gut auf dem Papier. Momentan geht es jedoch bei allen Pilotprojekten noch um die Integration von geothermischen Systemen in aktive Ölquellen. Im Pressetext des europäischen Experiments von Chaunoy ist auch ganz explizit von »Co-Produktion« von Energie die Rede, nicht von Ersatz. Manche der komplexeren geothermischen Systeme bauen zudem auf die gleichen Prozesse wie das sogenannte »Fracking« auf, bei dem Flüssigkeitsmischungen unter hohem Druck unter die Erde gepumpt werden, um das Gestein durchlässiger zu machen. Fracking hat nachweislich umliegende Wasserspeicher verunreinigt und mancherorts sogar zu Erdbeben geführt. Das US-Energieministerium ist sich dieser Gefahr zwar bewusst, verweist aber auf eine kürzliche Studie, die das »Risiko durch seismische Aktivitäten« als »nicht hoch« eingestuft hat. Wie sicher – und wie effektiv – die Technologie ist, wird sich zeigen.

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