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  • Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden

Verfassungsschutz schaut ein bisschen besser hin

Lagebericht dokumentiert deutlichen Anstieg bei Fällen von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Hitlergrüße, die Teilnahme an extrem rechten Aufmärschen, Sportevents und Konzerten sowie Kontakte zur NPD, der Partei »Der III. Weg« und zur AfD-Nachwuchsorganisation »Junge Alternative«: Es stimmt bedenklich, was im am Freitag in Berlin vorgestellten Lagebericht »Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden« des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) nachzulesen ist. Demnach ist die Zahl an Rechtsextremen und Reichsbürgern bei Polizei, Bundeswehr und in den Nachrichtendiensten um ein Vielfaches höher als bisher von offizieller Seite angenommen: Zwischen dem 1. Juli 2018 und dem 30. Juni 2021 zählte der Inlandsgeheimdienst in Bund und Ländern insgesamt 860 Anfangsverdachte gegen Mitarbeiter*innen der Sicherheitsbehörden. In 327 Fällen hätten sich bei genauerer Überprüfung tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben, in 533 Fällen habe sich der Verdacht nicht erhärtet. Ab wann und warum eine Person nach einer Überprüfung als konkret entlastet gilt, geht aus dem Lagebericht nicht hervor. Fest steht dagegen: 138 Fälle beziehen sich auf Sicherheitsbehörden des Bundes, 189 Fälle gibt es bei den Landessicherheitsbehörden.

Damit liegen die vom BfV vorgelegten Zahlen zehn Mal höher als im Vergleich zum ersten Lagebericht, der im Oktober 2020 unter Innenminister Horst Seehofer (CSU) entstand. Damals ermittelte der Verfassungsschutz nur 34 Fälle, bei denen sich tatsächliche Anhaltspunkte auf rechtsextreme Bestrebungen fanden. Seehofer sah darin einen Beweis, dass es kein strukturelles Problem mit rechtsextremen Kräften bei den Sicherheitsbehörden gebe. Die Aussage hatte damals für Empörung gesorgt, dem Bundesinnenminister wurde Verharmlosung vorgeworfen.

Der Zuwachs im neuen Lagebericht geht unter anderem darauf zurück, dass in die Statistik erstmals auch Personen aus dem Umfeld der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene einfließen. Ebenso werden nun auch Fälle aus der Bundeswehr berücksichtigt. Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, spricht davon, dass man »das Dunkelfeld weiter aufhellen und eine erhöhte Sensibilisierung für dieses Thema erreichen« konnte. Kurzum: Der Geheimdienst sagt, er schaue inzwischen genauer hin. Im Lagebericht schlägt sich diese Erweiterung nieder. So gab es mit 102 Fällen auf Bundesebene die meisten bei der Bundeswehr.

Rechtsextreme und Reichsbürger bei den Sicherheitsbehörden müssen allerdings nicht unbedingt mit einer Entlassung aus dem Dienst rechnen, insgesamt geschah dies in gerade einmal 60 Fällen oder es wird in laufenden Disziplinarverfahren angestrebt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte an, noch in diesem Jahr einen Entwurf für die Änderung des Bundesdisziplinargesetzes vorzulegen, damit »Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst« entfernt werden können.

Was Seehofer 2020 noch vehement bestritt, füllt im neuen Lagebericht unter Bundesinnenministerin Faeser ein ganzes Kapitel. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich angeschaut, inwieweit es mögliche Netzwerke von Rechtsextremist*innen innerhalb der Sicherheitsbehörden gibt und welche Kontakte sie auch nach außen pflegen. Herausgekommen ist eine detaillierte Analyse über Verbindungen zu extrem rechten Parteien und Vereinigungen, aber auch zu verschiedenen Akteuren der Neuen Rechten, darunter zum völkischen Institut für Staatspolitik, den Identitären und Jürgen Elässer, dem Chefredakteur des extrem rechten Compact-Magazins. Besonders bedenklich: Mehr als die Hälfte der 765 ermittelten sogenannten Netzwerkkontakte zählt der Verfassungsschutz zum gewaltorientierten Rechtsextremismus.

»Was würde erst herauskommen, wenn man so ein Lagebild extern fachlich ohne Eigeninteresse des Verfassungsschutzes vergeben würde?«, fragt die Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, auf Twitter. Das, was jetzt eingeräumt werde, sei nur »ein Blick durchs Schlüsselloch in einen Raum voller toxischer Männlichkeit, rechter Kumpanei und geteiltem Hass auf Minderheiten«. Auch in der Zivilgesellschaft gibt es Zweifel, ob die Fallzahlen nicht viel zu gering ausfallen. »Es braucht endlich eine umfassende und unabhängige Analayse des Problemfelds«, fordert die Amadeu-Antonio-Stiftung.

Politisch auf völlig anderen Pfaden wandelt die Union, die am Freitag im Bundestag einen Gesetzesvorschlag zum Kampf gegen »jegliche Art von Extremismus« vorlegte. Dieser diente vor allem dazu, Innenministerin Faeser vorzuwerfen, sie würde zu wenig gegen Gewalt von links unternehmen. Allerdings: Von 2005 bis zum Regierungswechsel im vergangenen Jahr stand das Ministerium durchgehend unter der Aufsicht von Unionspolitikern. Ignoriert wurde von CDU/CSU auch die am Dienstag von den Beratungstellen für Opfer rechter Gewalt vorgelegte Jahresbilanz, wonach es 2021 bundesweit 1391 rechte Gewalttaten mit fünf Todesopfern gab.

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