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Bundeswehr mit Freifahrtschein
Leo Fischer beobachtet, wie das Militärische ins Popkulturelle gewandelt wird
Schon lange vor dem aktuellen Konflikt war sie zu beobachten: die allmähliche Wiedereinführung des Militarismus ins deutsche Lebensgefühl. Hatten 68er-Generation und die Kriegsskepsis Anfang der Nullerjahre hier noch gewisse Vorbehalte erzeugt, so scheint die Umwandlung des Militarismus in Popkultur nahezu widerstandslos abgeschlossen. Dabei geht es weniger um tatsächliche militärische Bedarfe, sondern um eine Geisteshaltung, um eine neue deutsche Ideologie, deren Untiefen gar nicht absehbar sind.
Noch nicht lange ist es her, da war es höchst umstritten, wohin das Geld in der Bundeswehr eigentlich fließt; dubiose »Berater« hatten tüchtig profitiert, als es unter der damaligen Verteidigungsministerin und jetzigen EU-Chefin von der Leyen darum ging, die Bundeswehr nach der Aussetzung der Wehrpflicht zu »modernisieren«.
Diese Modernisierung hatte zwei Komponenten. Zum einen ging es darum, die Armee als Arbeitgeberin attraktiv zu machen. Die Bundeswehr drang mit modernem Marketing in die Klassenzimmer vor, machte hübsch-harmlose Stände auf Berufsmessen. Plakate in bewusst martialischer Computerspiel-Optik sollten gewaltaffine junge Menschen zum Heer locken. Nichts an der Ästhetik erinnerte an das edle Versprechen vom »Staatsbürger in Uniform«. Die Aussage war schlicht: »Hier darfst du ballern.« Völlig indolent ging diese Kampagne weiter, als das Land von rechtsextremen Anschlägen erschüttert wurde; nirgendwo wurde reflektiert, welche Bedürfnisse hier von einem staatlichen Organ geadelt wurden.
Sekundiert wurde diese Kampagne über Social Media: Alles war erlaubt, um den Ruf der Streitmacht zu heben. Dass Social-Media-Beauftragte der Bundeswehr im Aktionsgeflecht der »Identitären Bewegung« zu agieren schienen – geschenkt. Intellektuell versuchte man es auch, etwa mit Ständen auf der Hipstermesse »Republica«, wo der aktivistischen Digitalbohème das als neue Normalität verkauft werden sollte – immerhin gab es da noch sachte Widerstände.
Seit Kurzem sieht man Soldaten auch im ICE – die Uniform verschafft ihnen wohl irgendwie Freifahrten, ähnlich wie bei der Polizei. Die implizite Gleichsetzung von Armee und Polizei wurde praktisch nirgendwo in Frage gestellt, stattdessen war vom verbesserten »Sicherheitsgefühl« der Mitfahrenden die Rede. Was an dem zum Töten ausgebildeten Teenager in Flecktarn, der im Zugabteil neben mir auf seinem Tablet japanische Splatter-Pornos anschaut, zu meinem Sicherheitsgefühl beitragen soll, ist mir schleierhaft, wird aber ebenso wenig in Frage gestellt wie die Polizeikräfte, die seit Jahren mit schweren Waffen in Bahnhöfen patrouillieren. Notfalls könnten Sie Dutzende Menschen auf einmal töten – in welchem Szenario gefährdet diese Bewaffnung keine Unschuldigen?
Die Kampagne ist so perfide, weil es von Anfang darum ging, die Gesellschaft zu ändern für die Bedürfnisse der Armee, nicht umgekehrt. Während von der Leyen vom Heer als modernem Arbeitgeber fabulierte, gab es bruchlose Kontinuitäten zum Dritten Reich, gab es Kasernen, die nach Verbrechern benannt waren, gespenstische Gedenkrituale, massiven Missbrauch junger Leute in »Aufnahmezeremonien« – abgesehen von rechtsradikalen Netzwerken in Militär und Sicherheitsbehörden, deren Aufarbeitung überhaupt erst begonnen hat.
Es gibt kaum noch eine gesellschaftliche Kraft, die diese Entwicklung plausibel kritisieren kann, nachdem sich Teile der Friedensbewegung in der Kumpanei mit Esoterik, Verschwörungstheorien und Antisemiten ins Abseits begeben haben. Die Bundeswehr kriegt jedenfalls freie Fahrt.
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