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Hauptpreis Würdelosigkeit

Der Film »One of These Days« zeigt Menschen als zugerichtete Konkurrenzwesen, die für einen Autogewinn alles tun

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Es ist doch nur ein Auto
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Es ist doch nur ein Auto

Im Jahr 1992 erfand ein so windiger wie findiger Autohändler in Texas ein Event, das später als »Hand on a Hardbody« einige Berühmtheit erlangen sollte, insbesondere als 2005 eine der Nachfolgeveranstaltungen aus dem Ruder lief. Es handelt sich dabei um einen Wettbewerb, bei dem, so die schlichte Idee, mehrere Kandidaten um einen Neuwagen herumstehen, diesen mit der Hand berühren und derjenige, der das am längsten durchhält, gewinnt das Auto. Einmal pro Stunde dürfen die Kombattanten zur Toilette, alle sechs Stunden gibt es eine 15-minütige Pause. Bereits 1997 erschien mit »Hands on a Hardbody« ein Dokumentarfilm, der eine solche Veranstaltung begleitete, später wurde die Doku sogar als Musical adaptiert und unter anderem 2013 am Broadway aufgeführt.

Nun hat der deutsche Regisseur Bastian Günther aus dem Setting und der Eskalationsgeschichte einen Spielfilm mit dem Titel »One Of These Days« gemacht. Günther setzt bei seiner Inszenierung auf beinahe dokumentarischen Realismus. Im Mittelpunkt seiner Geschichte stehen der 30-jährige Kyle (Joe Cole), der als prekär beschäftigte Service-Kraft an »Hands On«, wie das Event im Film heißt, teilnimmt, um seiner Familie mit Frau und kleinem Sohn ein wenig aus der Armut zu helfen, sowie die 51-jährige Veranstalterin des Wettbewerbs, Joan, die nicht nur mit einer gescheiterten Affäre und dem Fortzug ihrer Tochter nach Florida zu kämpfen hat, sondern zunehmend auch mit den aggressiven Teilnehmern ihrer Kleinstadt-Show. Die Veranstaltung wird live im Fernsehen übertragen, es gibt Partys und Fans, die das Spektakel beobachten.

Günthers Blick auf seine Protagonisten ist düster und pessimistisch, und obwohl manche Figuren zu oberflächlich angelegt sind und der Film oft etwas zu verliebt ist in seine starke, aber letztlich auch banale Kapitalismus-Analogie, kommt der Regisseur einer plausiblen Reflexion über die Zustände im Spätkapitalismus beunruhigend nahe. Denn in seiner Filmwelt gibt es so wenig Hoffnung wie in der realen, die Menschen in ihr sind zugerichtete Konkurrenzwesen, denen ein Haufen Blech auf Rädern so viel bedeutet, dass sie bereit sind, dafür ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, sich in der Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preiszugeben und sich schließlich sogar gegenseitig an die Wäsche zu gehen. Sie sind kaum mehr als das, wozu der Markt und seine Profiteure sie gemacht haben. Zugleich willfährige Kunden und Arbeitssklaven, besinnungslose Mehrwertlieferanten, die sich längst ihrem Schicksal ergeben haben. Niemandem geht es gut in dieser Hölle auf Erden, alle kämpfen, in diesem Fall buchstäblich, bis zum Umfallen um das kleine bisschen Glück aus Blech und Gummi – und wie im Real Life kippt der existenzielle Konkurrenzkampf auch hier naturgemäß fortwährend ins Kriminelle beziehungsweise handfest Gewalttätige, Barbarische.

Kyles Existenz ist eine einzige Demütigung, und die zärtliche Beziehung zu Maria (Callie Hernandez) und dem gemeinsam Sohn repräsentiert zwar den einzigen Wohlfühlort, aber selbst dieses letzte Refugium menschlicher Warmherzigkeit ist den kapitalistischen Zumutungen ausgeliefert. Günther zeigt die beiden, wie sie nach dem Sex umgehend wieder zum Thema kommen: Marias Cousin bietet irgendeinen schrecklichen Hilfsjob an, der zwanghafte Verkauf der eigenen Arbeitskraft übernimmt nach vollendeter Lusttätigkeit wieder das freudlose Denken der noch nackten, warmen Protagonistenkörper.

Kurz bevor das Drama seinen Lauf nimmt, kurz bevor Kyle nach schlaflosen Tagen mit den Händen am Truck, aufgeben wird, sagt Maria ihrem völlig übernächtigten Mann: »Es ist nur ein Auto«, und dieser Satz, so rein und wahr und schön er ist, wirkt in Günthers Filmwelt wie eine vollkommene Verrücktheit, wie eine absurde Unverschämtheit, wie Blasphemie, Verrat – die warenförmige Wirklichkeit in a nutshell.

»One Of These Days« zeigt schwitzende Menschen in einer eiskalten Welt. Alles hier wird zur Farce, Solidarität gibt es als menschliche Regung zwar noch, allerdings nur noch als Funktion, etwa wenn die Teilnehmer gemeinsam entscheiden, mit den Händen am Wagen einige Runden um denselben zu drehen, um sich die Beine zu vertreten. Auch die von einer Teilnehmerin vorgetragenen Bibelverse oder das Absingen der Nationalhymne sind nichts als hohles, nervtötendes Geschnarre, Pflichtübungen. Für diese Leute, die um ein Auto herumstehen und sich gegenseitig belauern, ist nichts mehr geblieben als genau das: der ermüdende Tanz ums Blechkalb. Nur in einer einzigen Szene sind sich die Konkurrenten nah, schimmert so etwas wie die Möglichkeit, den ganzen Wahnsinn zu beenden: übermüdet und entkräftet geraten sie in einen kollektiven, hysterischen Lachanfall.

In dieser Szene kommt der Film zu sich, denn so wenig an der ganzen Sache lustig ist, so sehr wird hier die neoliberale Lüge des Selbstoptimierungs-Wahns, von der sich ja tatsächlich Milliarden Menschen haben einreden lassen, ihr Unbehagen und Unglück sei selbstverschuldet und mit Fleiß, »Stehvermögen«, Zuversicht, Anstrengung und Gottvertrauen könnten alle ihr Glück machen, als schlechter Witz ausgestellt. Denn erfolgreich, wohlhabend und glücklich sein, einen Truck gewinnen, können unter kapitalistischen Bedingungen immer nur sehr wenige; in diesem Fall nur eine*r. Und das alles ist, wo kein Anlass zur Revolte, so doch immerhin noch geeignet zum kollektiven Lachkrampf.

»One Of These Days«: Deutschland/USA 2020, Regie: Bastian Günther. Mit: Carrie Preston, Joe Cole, Callie Hernandez, Chris Gann. 120 Minuten, Start: 19.5.

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