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Betroffene erwarten endlich Aufklärung

Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin über ihre Erwartungen an den Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 6 Min.
Seit über einem Jahrzehnt werden in Neukölln gezielt Autos von Antifaschistinnen und Antifaschisten abgefackelt.
Seit über einem Jahrzehnt werden in Neukölln gezielt Autos von Antifaschistinnen und Antifaschisten abgefackelt.

Vor zwei Wochen hat das Berliner Abgeordnetenhaus endlich den Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex eingesetzt. Frau Klose, lässt Sie das hoffen?

Interview

Der Neukölln-Komplex umfasst über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und gezielte Drohungen gegen antifaschistisch engagierte Menschen und Projekte. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR Berlin) geht sogar von 157 Taten seit 2009 aus. Bisher ist es zu keinem Gerichtsverfahren gekommen. Ein Untersuchungsausschuss, den Rot-Grün-Rot vor Kurzem eingesetzt hat, soll nun Aufklärung bringen. Die MBR Berlin feiert aktuell ihr 20-jähriges Bestehen. Mit der Gründerin und Projektleiterin Bianca Klose hat Mischa Pfisterer gesprochen.

Ich teile die Hoffnung derjenigen, die diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert haben. Für sie ist es die einzige Möglichkeit, hoffentlich Licht in das Dunkel zu bringen oder den Nebelkerzen, die seit vielen Jahren da gezündet wurden, zumindest ein Licht entgegenzusetzen.

Mehr bleibt ja als Instrumentarium aufgrund ausbleibender Gerichtsprozesse nicht übrig.

Ich kann nur immer wieder sagen: Das ist eine Erfolgsgeschichte der vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, die den Druck auf die Politik über einen langen Zeitraum derart stabil aufrechterhalten haben, dass dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss in wenigen Wochen die Arbeit aufnehmen wird.

Bei den Betroffenen in Neukölln gibt es einen sehr starken Vertrauensverlust in die Strafverfolgungsbehörden. Wie will man denn da zusammenkommen?

Der Vertrauensverlust ist mehr als verständlich. Weil das, was bisher vorliegt, für die Betroffenen nicht befriedigend ist und sie ratlos zurücklässt. Sie haben jetzt die Möglichkeit, im besten Fall als Betroffene gleich zu Beginn des Untersuchungsausschusses – und das hoffe ich sehr – ihre Sicht der Dinge auf staatliches Handeln, Unterlassungen, ihre Fragen sehr konkret an die Mitglieder des Ausschusses zu formulieren, um dann hoffentlich durch die Erkenntnisse und Antworten, auch aus der Aktenlage, zumindest ein kleines Stück weiterzukommen.

Trotzdem bleibt das Gefühl, dass Rechtsextreme über Jahre ein sehr starkes Selbstbewusstsein entwickelt haben, weil sie den Eindruck vermittelt bekommen haben, dass der Staat gegen sie sowieso nicht in angemessener Weise vorgeht. Rechnen Sie eigentlich mit einem baldigen Gerichtsverfahren?

Vermutlich wird es bald zu einem Verfahren gegen zwei Beschuldigte in dem sogenannten Neukölln-Komplex kommen. Das Problem dabei ist aber, dass gleich mehrere Anschlagsserien nicht angemessen verfolgt wurden, dass Beweismaterial nicht angemessen gesichert wurde, dass Betroffenen nicht ausreichend Glauben geschenkt oder zugehört wurde. Dass Analysen von den Betroffenen, aber auch von antifaschistischen oder zivilgesellschaftlichen unabhängigen Beratungsstellen, nicht ernst genommen wurden.

Wird es überhaupt zu Verurteilungen kommen?

Viele der Betroffenen hoffen das seit langer Zeit, dass die Täter – wohlgemerkt Täter eines ja recht überschaubaren Personenkreises – irgendwann verurteilt werden, damit für sie die individuelle Gefahr abnimmt, weil es eventuell zu Gefängnisstrafen kommt.

Vieles von dem, was an Skandalen hochgekommen oder an Fragen aufgetaucht ist, ist dabei mehr oder weniger durch Zufall herausgekommen.

Das ist so. Und das ist eine sehr entscheidende Ebene in diesem Komplex, nämlich: Warum kam es eigentlich trotz dieser zahlreichen Sonderermittlungsgruppen, Kommissionen, Zusammenschlüsse von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt nicht zu Ermittlungserfolgen? Viele Betroffene und Außenstehende, auch Journalistinnen und Journalisten, haben immer wieder gesagt: Das Problem sind mittlerweile nicht mehr fehlende Ermittlungen, sondern dass trotz eines enormen Ermittlungsaufwands nichts Substanzielles herauskommt. Hinzu kommt: Statt die Betroffenen zu informieren, die bis heute teilweise keine Kenntnis über diese Vorgänge haben, wurde medienöffentlich ausgetragen, dass es da Ungereimtheiten gibt.

Parallel dazu gab es immer mehr Vorfälle und Skandale, die immer mehr Fragen aufgeworfen haben. Bis hin zu Polizist*innen mit stark rechtsextremem Drall, die oh Wunder! , dann sogar in rassistische Übergriffe involviert sind

Genau. Oder bis hin zu einem Polizisten, der wegen Geheimnisverrats vor Gericht steht, weil er Polizei-Interna an einen AfD-Kollegen weitergegeben haben soll. Oder einem leitenden Staatsanwalt, bei dem Befürchtungen bestanden, dass er Sympathien für die AfD hegt. Nicht nur durch die zahlreichen Vorfälle, sondern auch durch die neuesten Verlautbarungen seitens des Bundes-Innenministeriums bezüglich der rechtsextremen Haltung bei Mitarbeitenden in den Strafverfolgungsbehörden ist klar, dass es dort Sympathisanten des Rechtsextremismus gibt.

Dann ermittelt man eben ein bisschen, Hauptsache keine Erfolge?

Das ist etwas, was immer in der Kritik stand: diese erfolglosen polizeilichen Ermittlungen und dieses Behördenhandeln. Gibt es strukturelle Gründe dafür? Gibt es also Involvierungen oder Sympathisierungen mit rechtsextremen Personen? Gibt es eventuell sogar Weitergaben von Informationen an Rechtsextreme?

Aber ein einzelner Prozess wird in diesem Zusammenhang doch all die Fragen überhaupt nicht umfänglich beantworten.

Genau darum haben ja viele Betroffene seit langer Zeit diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert: Weil sie der Meinung sind, dass vor Gericht nur ein so kleiner Teil der Taten verhandelt werden wird, dass es eines anderen Gremiums bedarf.

Man hätte zum Beispiel auch früher schon auf Ihre langjährige Expertise vertrauen können.

Die Mobile Beratung ist dadurch, dass wir im Feld arbeiten, so eine Art Frühwarnsystem von Entwicklungen in diesem Bereich. Wir leisten sehr praktische Arbeit mit den Menschen und wir schauen uns sehr genau an, wie sich bestimmte Probleme auf den Straßen oder im Netz, eben im Alltag der Menschen, verbreiten. Das heißt, die Menschen, die sich an uns wenden, sind die ersten, die individuell diejenigen Entwicklungen und Bedrohungen erfahren, die sich dann in der Gesellschaft insgesamt zeigen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel der Kulturkampf von rechts, das heißt Angriffe und Intervention von extremen Rechten und rechtspopulistischen Akteuren auf Gedenkstätten, auf Theater oder die Bedrohung von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern, auch gerade von ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern. Da haben wir schon früh darauf hingewiesen, dass das die Herausforderungen unserer Zeit sind. Dasselbe galt für die Enthemmung der Mitte oder aktuell für den verschwörungsideologischen Charakter der Corona-Proteste.

Und diese Hinweise werden von den entsprechenden Stellen auch gehört?

Der Staat hat sich mit vielen Millionen Euro bereit erklärt, diese Arbeit auf der einen Seite zu unterstützen und auch zu ermöglichen. Auf der anderen Seite ist es aber trotzdem immer wieder auch eine Herausforderung, Gehör zu finden und klarzumachen: Ihr leistet euch eine sehr breite demokratische Infrastruktur, also hört auch, was wir euch an Analysen zur Verfügung stellen, damit ihr euer politisches Handeln darauf ausrichten könnt!

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin feiert in diesen Tagen ihr 20-jähriges Bestehen. Sie waren von Anfang an dabei. Wie war das in den Anfangsjahren?

Naja, in der Gründungszeit vieler mobiler Beratungsteams – gerade zu Beginn dieser sogenannten Nullerjahre – wurde ja Rechtsextremismus als ein spezifisch ostdeutsches Problem angesehen. Die damalige Arbeit gegen Rechtsextremismus war sehr stark täterfokussiert und wurde vor allem mit einer starken Gewaltförmigkeit in Verbindung gebracht, aber natürlich auch mit Fragen von Dominanzverhältnissen extrem rechter Jugendkulturen im Alltag der Sozialräume in Ostdeutschland. Und wenn ich von Dominanzverhältnissen spreche, dann natürlich auch vor allem von Gewalt der extrem Rechten, von Kameradschaften, Übergriffen und von Bewaffnungen.

Und Sie hatten damals einen ganz neuen Ansatz?

Ja, das Neue damals bei uns war, dass wir uns auf die Menschen fokussiert haben, die man gemeinhin als demokratische Zivilgesellschaft bezeichnet. Das heißt, man hat letztlich immer gesagt: der Rechtsextremismus, der Rassismus, der Antisemitismus, die Verschwörungsideologien, der Rechtspopulismus können nur so wirkmächtig sein, wie Demokratinnen und Demokraten es zulassen. Und das ist bis heute unser Ansatz in der nachfrageorientierten Arbeit, in der vertraulichen und auch kostenlosen mobilen Beratungsarbeit, dass wir auf Nachfrage diese Zivilgesellschaft stärken und handlungssicherer machen möchten.

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