• Berlin
  • Aufstand der letzten Generation

Endlich in den Notfallmodus schalten

Aus Protest gegen fossile Energien dreht die Letzte Generation eine Ölpipeline in der Uckermark ab

  • Louisa Theresa Braun, Strasburg
  • Lesedauer: 6 Min.
Auch hier, an der Pumpstation Lindenhof bei Demmin, wurde in den vergangenen Wochen bereits der Ölfluss unterbrochen.
Auch hier, an der Pumpstation Lindenhof bei Demmin, wurde in den vergangenen Wochen bereits der Ölfluss unterbrochen.

Der Zaun rund um das Gelände der Pumpstation Glantzhof einer Ölpipeline im uckermärkischen Strasburg ist an einer Stelle schon etwas hochgebogen. Maja Winkelmann und Jakob Beyer sind hier schon ein paar Mal durchgekrabbelt, zuletzt vor zwei Tagen. Routiniert schmeißen die beiden sich auch an diesem Mittwoch auf den Boden, schieben ihre Rucksäcke und dann sich selbst hindurch. Hinter dem Zaun verlaufen dicke silberne Rohre über eine Wiese. Durch sie fließt Rohöl aus Russland über Rostock zur PCK-Raffinerie in Schwedt. An zwei Stellen erhebt sich ein gelb gestrichenes Podest über die Rohre. Die beiden Klimaaktivist*innen der Gruppe »Aufstand der letzten Generation« klettern erst das eine, dann das andere hinauf und legen an den elektronischen Bedienungsboards einen kleinen Schalter um. Auf den Displays ist zu sehen, wie eine Zahl rückwärts läuft, nach wenigen Minuten steht sie auf Null. Der Öldurchfluss ist gestoppt. Beide Boards werden noch mit einer gelben Plastik-Sonnenblume dekoriert.

»Diese Apparatur ist dazu da, im Notfall abgestellt zu werden. Wir wollen den Ölfluss unterbrechen, um endlich in den Notfallmodus zu schalten«, erklärt Maja Winkelmann. Mit Notfall meint sie die Klimakrise, auf die die Regierung bislang nicht angemessen reagiere. »Ich kann nicht weiterleben in dem Wissen, dass wir auf einen Klimakollaps zurasen. Deshalb sehe ich mich in der Pflicht, Widerstand zu leisten«, sagt die 24-jährige Aktivistin zu »nd«. Konkret fordern sie und ihre Mitstreiter*innen von der »Letzten Generation« eine »Lebenserklärung« von Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne), die beinhaltet, dass in Deutschland keine neue fossile Infrastruktur geschaffen wird, und dass es insbesondere keine Ölbohrungen in der Nordsee gibt. »Wenn wir jetzt auf erneuerbare Energien umsteigen, machen wir uns unabhängig von Diktaturen wie Russland und Qatar. Wir würden ihre Kriege nicht mitfinanzieren«, sagt Jakob Beyer. Stattdessen würden mit den Grünen in der Regierung aber neue Flüssiggasterminals geplant.

Die PCK-Raffinerie in Schwedt ist im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine auch deswegen von Bedeutung, weil sie ausschließlich mit russischem Öl versorgt wird. Ein Embargo als Sanktion gegen Russland würde dem Betrieb die komplette Grundlage entziehen, 1200 Arbeitsplätze wären in Gefahr. Auch deswegen sei es fatal, dass die Regierung »viel zu lange nicht gehandelt« und andere Jobs in der erneuerbaren Energien-Branche geschaffen hat, kritisiert Beyer auf der Autofahrt von Berlin in die Uckermark. »Wir sind nicht gegen die Menschen, die dort arbeiten«, stellt er klar.

Das sieht ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes offenbar anders, der auf die beiden Aktivist*innen zugelaufen kommt, kaum dass sie den Ölfluss gestoppt haben. Schnell legt Maja Winkelmann sich eine Kette um den Hals und schließt sie mit einem Vorhängeschloss am Geländer der Plattform an, dann kleben sie und ihr 28-jähriger Begleiter ihre Hände mit Sekundenkleber aneinander, sodass sie auch mit ihren Armen am Geländer festhängen. »Kettet euch doch bei Baerbock oder Habeck fest, aber nicht hier!«, brüllt der Security-Mann. »Das haben wir alles schon gemacht«, erwidern die beiden gelassen.

Tatsächlich hat der »Aufstand der letzten Generation« seit Jahresbeginn in ganz Deutschland auf vielfältige Weise gegen den Klimanotstand protestiert: mit Autobahnblockaden, Lebensmittelrettungsaktionen, zuletzt mit einer Hörsaal-Besetzung an der Leipziger Uni und Protesten bei Wahlkampfveranstaltungen von Robert Habeck und Christian Lindner (FDP). Anfangs waren die Hauptforderungen der Gruppe ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine Agrarwende. »In Angesicht des Krieges in der Ukraine erscheint die Forderung nach keiner neuen fossilen Infrastruktur aber notwendiger«, so erklärt Jakob Beyer den neuen Fokus. Seit Ende April stellen die Aktivist*innen daher regelmäßig Ölpipelines in verschiedenen Orten in Deutschland ab.

Wie das funktioniert, könne man online recherchieren. Die Endverbraucher würden von dem kurzzeitigen Ölstopp nichts merken, lediglich in der Raffinerie käme dann etwas weniger russisches Öl an. Wenn nicht, wie dieses Mal, schon jemand vom Sicherheitspersonal vor Ort ist, würden die Aktivist*innen anschließend die Betreiber*innen anrufen, damit weitere Systeme abgestellt werden können. »Es soll alles friedlich und gewaltfrei sein«, betont Beyer. Bei seinen ersten Aktionen sei er so aufgeregt gewesen, »dass es kaum aushaltbar war. Aber mittlerweile ist es okay. Wir wissen, dass es funktioniert«, sagt der junge Berliner. Die Aktion sei nicht nur symbolisch, Beyer ist überzeugt, damit Druck auf die Politik ausüben zu können, das habe die Geschichte des zivilen Widerstands immer wieder gezeigt. Dennoch müsse der »Aufstand« noch größer werden, »damit wir nicht mehr ignoriert werden können«, sagt er.

Regelmäßig sind die Aktivist*innen Repressionen durch die Polizei ausgesetzt. Bis zu drei Tage haben Maja Winkelmann und Jakob Beyer bereits in einer Zelle verbracht. »Da ist man für sich allein, hat keine Beschäftigung und ist den Leuten dort ausgeliefert«, erzählt Beyer. Trotzdem nehmen die beiden Festnahmen in Kauf, »denn wir müssen alles probieren, um es zu schaffen, die Regierung zur Einsicht zu bringen«, erklärt Winkelmann. Noch sei die Hoffnung da, oder andersherum ausgedrückt: »Wir haben keine Chance, wenn wir es nicht versuchen.«

Auch an diesem Mittwoch kommen nach wenigen Minuten etwa zehn Polizist*innen auf das Gelände. Einige kennen die zwei schon von der vergangenen Aktion vor zwei Tagen. »Wieder festgeklebt?«, fragt einer und bestellt den Rettungsdienst. »Hallo Frau Winkelmann, hallo Herr Beyer«, begrüßt ein Sanitäter die beiden Aktivist*innen – auch sie kennen sich schon. »Wir waren hier schon mehr als einmal im Einsatz, das ist immer ein großer Aufwand«, sagt ein Polizist zu »nd«. Darin, die Aktivist*innen vom Geländer abzulösen, sind die Einsatzkräfte jedoch bereits geübt: Mit einem Bolzenschneider wird die Kette durchtrennt, mit Sonnenblumenöl der Sekundenkleber abgelöst. Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung wird Winkelmann und Beyer nun zum wiederholten Male vorgeworfen, wieder werden sie kurzzeitig festgenommen. Diesmal müssen sie allerdings nur einige Stunden auf der Polizeiwache in Woldegk verbringen und dürfen am Abend wieder zurück nach Berlin fahren. Es wird nicht ihre letzte Aktion zivilen Ungehorsams gewesen sein, so viel ist sicher.

Auch die nd-Redakteurin wurde von der Polizei von ihrer Arbeit abgehalten. Ihr Arbeitshandy und -laptop wurden beschlagnahmt – und damit auch die Fotos und Videos von der Aktion.

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