Politisches Beben in Australien

Australiens Mitte-Rechts-Koalition muss abtreten, zu erwarten ist ein sachter Wandel in der Klimapolitik

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 5 Min.

Dem australischen Sozialdemokraten Anthony Albanese ist es gelungen, die Labor Party nach neun Jahren in der Opposition wieder an die Regierung zu bringen. Das Mitte-Rechts-Bündnis unter dem bisherigen Premierminister Scott Morrison hat herbe Verluste eingebüßt. Für Albanese ist der Wahlsieg der Höhepunkt seiner 26-jährigen Karriere im Parlament. Als Sohn einer alleinerziehenden Mutter ist er in einer Sozialwohnung aufgewachsen.

Laut der Hochrechnungen am Samstagabend wird Labor mindestens eine Minderheitsregierung bilden können. Ob es für eine Mehrheitsregierung – also mindestens 76 der insgesamt 151 Sitze im Repräsentantenhaus – reicht, war am Abend zunächst noch unklar.

Die Wahl blieb lange spannend: Früh am Abend nannte Australiens führender Wahlanalyst Antony Green sie sogar »chaotisch«. Dies lag daran, dass zahlreiche Wähler sich von den großen Parteien abgewendet hatten. Die heimlichen »Gewinner« der Wahl waren die Grüne Partei und eine Reihe unabhängiger Kandidaten – meistens Akademikerinnen, die sich den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben haben.

Das Thema Nummer eins, das die bisherige liberal-konservative Regierung Stimmen gekostet hat, scheint der Klimawandel gewesen zu sein – ein Aspekt, den das Mitte-Rechts-Bündnis eher vernachlässigt hat.

Der sechswöchige Wahlkampf, der der Wahl vorausgegangen war, verlief ähnlich chaotisch wie der Wahlabend: Der sozialdemokratische Kandidat Anthony Albanese fiel gleich am ersten Tag der Wahlkampagne mit einem mentalen Blackout auf. Wenig später wurde bei ihm dann noch Covid diagnostiziert und er fiel für sieben Tage aus, da er sich in Quarantäne begeben musste.

Wahlkampagne voller Fauxpas

Doch auch Morrison stand ihm an Peinlichkeiten während der Kampagne in nichts nach. In einer Debatte sagte er vor Publikum, er sei »gesegnet«, keine Kinder mit Behinderungen zu haben. Kritiker nannten diesen Kommentar »verstörend«. Auch die vielen inszenierten Fotogelegenheiten, die der ehemalige Marketingmann Morrison den Medien regelmäßig servierte, brachten ihm mehr Häme als Applaus ein: So wusch er einer Kundin in einem Friseursalon in Victoria die Haare und für einen TV-Beitrag gab er seiner Familie ein Ständchen mit einer Ukulele.

Letzteres rief bei vielen unangenehme Erinnerungen an die tragischen Buschfeuer von 2019/20 wach. Damals fuhr der Regierungschef nach Hawaii und verärgerte seine Landsleute mit Bemerkungen wie »Er müsse ja keinen Löschschlauch halten«. Bei vielen Frauen verlor er Sympathien, als er wenig Empathie zeigte, nachdem eine junge Frau öffentlich machte, dass sie 2019 von einem männlichen Kollegen im Büro einer Ministerin vergewaltigt wurde. Morrisons Charakter war es dann auch, den selbst engste Parteifreunde über die vergangenen Wochen in Frage stellten: So beschuldigte ihn die liberal-konservative Senatorin Concetta Fierravanti-Wells im März, »ein Autokrat« und »ein Tyrann ohne moralischen Kompass« zu sein.

Bisher hatten die Liberalkonservativen oft noch mit einer relativ starken Wirtschaft punkten können, doch selbst diese ist inzwischen angeschlagen. Zwar ist die Arbeitslosenquote auf einem Rekordtief, doch die Inflation ist mit 5,1 Prozent inzwischen hoch: Die Preise für Lebensmittel, Wohnraum und Benzin sind in den vergangenen Wochen in die Höhe geschossen. Außerdem hob die Zentralbank den Leitzins zum ersten Mal seit 2010 deutlich an: von 0,1 auf 0,35 Prozent. Weitere Zinsanhebungen sollen zudem in der Pipeline sein. Letzteres trifft viele Bürger im Land schwer, da Australier oft hohe Hypotheken aufnehmen, um sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Auch die harsche Töne des bisherigen Kabinetts gegenüber China verunsicherte nicht nur die 1,2 Millionen chinesisch-stämmigen Bürgern unter den 26 Millionen Australiern: Obwohl viele die aus dieser Animosität neu entstandene Aukus-Sicherheitspartnerschaft mit den USA und Großbritannien für positiv bewerten, stieß den meisten die zunehmend aggressive Kriegsrhetorik negativ auf, die der bisherige Verteidigungsminister Peter Dutton vertrat.

»Builder« versus »Bulldozer«

Anthony Albanese punktete beim Volk dagegen weniger mit einem mutigen, zukunftsweisenden Ansatz; vielmehr verkaufte er sich als der »nettere Mensch« und versprach ein »milderes« Vorgehen als Morrison. Er wolle mehr »Builder« als »Bulldozer« sein, meinte er während des Wahlkampfs – also jemand, der aufbaut und nicht niederwalzt. Morrison hatte sich selbst zuvor als »Bulldozer« bezeichnet. Albanese will »Erneuerung«, aber keine »Revolution«: Beim Kampf gegen den Klimawandel verspricht er mehr Einsatz, ohne sich dabei zu allzu ehrgeizigen Zielen zu verpflichten. Er will die Emissionen bis 2030 um 43 Prozent reduzieren. Damit würde das Land immerhin zu wichtigen Handelspartnern wie Kanada (40-45 Prozent), Südkorea (40 Prozent) oder Japan (46 Prozent) aufschließen.

Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die Sozialdemokraten unter anderem Elektroautos billiger machen und das Stromnetz sowie Speicheroptionen für erneuerbare Energien verbessern. Allerdings will auch die Labor-Party »emissionsintensive« Industrien wie den Bergbau nicht gegenüber ihren globalen Konkurrenten benachteiligen. Kohlekraftwerke müssten also nicht vorzeitig schließen. Außerdem setzen sich die Sozialdemokraten ein für höhere Mindestlöhne, eine nationale Antikorruptionskommission, bessere Kinder- und Altenbetreuung und eine besser finanzierte staatliche Krankenkasse.

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