- Politik
- Homophobie in Uganda
Gottesdienst unter dem Regenbogen
Eine Kirchengemeinde im Untergrund kümmert sich in Uganda um ausgegrenzte und bedrohte LGBT-Personen
»Wir sagen den Leuten, dass wir zur Rehabilitation hier sind«, sagt Biba und muss grinsen, als sie durch ihr neues Zuhause führt. Seit zwei Monaten bewohnt die 24-Jährige ein Zimmer in einem einfach eingerichteten Haus, das hinter einer Mauer versteckt ist. An einer sandigen Straße in einem Vorort von Kampala wollen Biba und ihre Mitbewohner so wenig Aufsehen erregen wie möglich. Dass alle, die hier leben, homo- oder bisexuell sind, einige sich als trans Personen definieren, das sollten die Nachbarn lieber nicht wissen.
»Ich hatte Fotos und Pornos von lesbischen Frauen auf dem Handy«, erklärt die Frau in einem gefälschten FC-Barcelona-Trikot und sieht verlegen zum Hof. »Mein Vater hat mein Handy durchgesehen und es entdeckt. Damit war ich vor meiner Familie geoutet.« Erst blieb Biba noch im Elternhaus, aber gut behandelt wurde sie nicht mehr, sagt sie. »Irgendwann verstand ich, dass es besser ist, wenn ich gehe. Ich war nicht mehr erwünscht zu Hause.«
In Wahrheit bietet dieses Wohnheim natürlich keine Therapie. Wie ihre fünf Mitbewohner ist Biba hier, damit sie sich eben nicht ändern muss, sondern sein kann, wie sie ist. Biba fühlt sich nicht zu Männern hingezogen, sondern zu Frauen. Genau wie sich die anderen hier nicht, wie es von ihnen gesellschaftlich erwartet wird, für Frauen interessieren, sondern für Männer. Diese eigentlich private Frage ist in Bibas Heimatland Uganda derart politisch, dass sie Leben ruinieren kann.
Homosexualität ist im ostafrikanischen Land mit 46 Millionen Einwohnern eine Straftat. Im Jahr 2013 beschloss das nationale Parlament sogar, dass sie mit der Todesstrafe geahndet werden sollte, ehe das Gesetz wegen technischer Gründe für ungültig erklärt wurde. Schon 2021 legten aber die Volksvertreterinnen und Volksvertreter nach. Ein neues Gesetz, das unter anderem Vergewaltigung und Pädophilie unter besondere Strafe stellt, erklärt auch, dass auf homosexuelle Taten bis zu fünf Jahre Gefängnis steht.
In kaum einem Land der Welt ist die Politik homophober als hier. Die Bewohner der versteckten Unterkunft am Rande der ugandischen Hauptstadt Kampala wissen das genau. Hier fühlen sie sich aber bis auf Weiteres sicher. In einem der Zimmer sitzt der 20-jährige Mosha, der schon seit einem Jahr hier wohnt. Dem muskulösen Typ mit kurzen Haaren und Netzshirt wurde der Corona-Lockdown zum Verhängnis.
»Man musste ja die ganze Zeit zu Hause sein. Die Familie hat dann zu sehr auf einen geachtet. Alles wurde beobachtet, sogar wenn man telefonierte«, sagt Mosha und schaut auf sein Handy, das er die ganze Zeit fest in der Hand hält. »Dann haben sie mehr über mich erfahren. Sie haben mich zu Hause eingesperrt und mir das Telefon weggenommen, mich runtergemacht und gequält. Und irgendwann rausgeschmissen.« Vor der Pandemie hatte er »diese Seite« noch verstecken können. »In Uganda bin ich ja anscheinend illegal.«
In dieser Einrichtung mit kahlen Wänden und nur wenigen Möbeln wohnt Mosha, nachdem er in Kontakt mit einer Kirchengemeinde kam. Durch einen Freund hatte er von ihr gehört. »Da wohnte ich noch bei meinen Eltern. Aber ich ging schon mal mit zu einem Gottesdienst. Ich fühlte mich sofort wohl und willkommen.« Und als die Eltern von seiner Homosexualität erfuhren, sagte Mosha gegenüber der Gemeinde, dass er ein neues Zuhause suche. »Dann haben sie mir einen Platz hier angeboten.«
Dass Menschen wie Biba und Mosha ausgerechnet bei einer Kirche Unterschlupf finden, wäre in den meisten Ländern der Welt nicht zu erwarten – und in Uganda überrascht dies besonders. 80 Prozent der Menschen hier sind christlichen Glaubens, und die mächtigen Kirchen sind für die Ausgrenzung nicht-heterosexueller Personen mitverantwortlich. Homosexualität erklären auch sie gern zu einer westlichen Ideologie, die »afrikanische Werte« verletze.
Dabei ist das Christentum an sich ein Wertegerüst, das aus dem Westen nach Afrika kam. Das wird dabei großzügig übersehen. Der seit mehr als 35 Jahren regierende Präsident Yoweri Museveni hat nicht das Christentum, wohl aber die LGBT-Bürgerrechtsbewegung als »sozialen Imperialismus« bezeichnet. Gegenüber dem US-amerikanischen Sender CNN sagte er im Jahr 2016 auf die Frage, ob er etwas gegen Homosexuelle habe: »Natürlich! Sie sind ekelhaft. Was für Leute sind das? Ich weiß nicht, ich wusste nie, was sie tun. Aber mir wurde es vor Kurzem berichtet. Und das ist schrecklich! Ekelhaft!«
Musevenis zerknirschter Gesichtsausdruck offenbarte, wie angewidert er war. Und so wies der Regierungschef im Prinzip auch die Idee von sich, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Sexualität diskriminiert werden sollten. Von der US-amerikanischen Reporterin forderte er: »Respektieren Sie afrikanische Gesellschaften und ihre Werte. Einfach so, wie wir auch nicht in die Ihren eingreifen.« Wer nicht einverstanden sei, solle einfach still sein. »Und falls wir falschliegen, werden wir es schon selbst rausfinden.«
Nicht jeder teilt diese Meinung, nicht einmal jede Kirche. Zehn Minuten mit dem Auto entfernt, hinter einer sehr holprigen und sandigen Straße sitzt hinter einer noch höheren Mauer Ramathan Kaggwa in einem Büro mit Klimaanlage. »Die Kirche hat doch dieses Bild von sich, dass alle willkommen sind, sogar Diebe und Mörder«, sagt der erst 25-jährige Pastor gleich zu Beginn des Gesprächs. »Ich weiß aber von keiner anderen Kirche in ganz Afrika, die gegenüber LGBT-Personen die Arme öffnet und sagt: ›Ja, kommt zu uns!‹«
Ramathan Kaggwa, ein schmächtiger Typ mit dunklem Sakko und einem Armband in Regenbogenfarben, tut dies seit vier Jahren, als er die Kirche Adonai Christian Ministries gründete. Zuvor hatte er sich dem Pastor seiner Heimatgemeinde in Kampala geöffnet und gefragt, was er tun könne, da er nun mal schwul sei. »Er zitierte die Passagen zu Sodom und Gomorrha und sagte, Homosexualität sei eine Sünde. Dann gab er mir Aufgaben.«
Der damals 17-jährige Ramathan sollte 40 Tage lang fasten, eine Nacht in der Woche draußen schlafen und viel beten. »In der Kirche sagten sie, das Schwule sei ein Geist, ein Dämon, den man austreiben könnte.« Von den Ansagen, die der Pastor auch vor der ganzen Gemeinde über Homosexuelle machte, fühlte sich Ramathan verletzt, versuchte trotzdem ein guter Christ zu sein. »Aber je mehr ich betete, desto schwuler wurde ich. Irgendwann dachte ich über Selbstmord nach.«
Ramathan Kaggwa war noch minderjährig, als er schließlich von seiner Gemeinde verstoßen wurde. An die Universität schaffte er es trotzdem und studierte Labortechnik. Doch bei seinem ersten Job wurde er geoutet und verließ die Stelle wieder. Seitdem leitet Kaggwa einen Frisör- und Hygienesalon für Frauen und Männer. Mit dessen Einnahmen und Spenden finanziert er die Adonai Church. Die aber ist nicht nur permanent von Finanzsorgen begleitet: »Wir haben ständig die Frage, wie wir das Überleben der Kirche und der Unterkunft für die Ausgegrenzten sichern können.«
Siebenmal musste Kaggwa schon die Räumlichkeiten seiner Kirche spontan wechseln, nachdem die Polizei sie gefunden hatte. »Wir werden einfach vertrieben. Die gezahlte Miete ist dann auch weg. In dieses Haus hier sind wir gerade erst vor Kurzem gezogen.« Dass Kaggwa schon über 35 wohnungslosen Personen ein Obdach vermittelt hat, wird ihm nicht etwa hoch angerechnet. »Polizisten haben schon Pistolen auf uns gerichtet. Wir sind Kriminelle!«
Die Diskriminierung gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans Personen in Uganda ist groß: Im November 2019 nahm die Polizei 120 Personen in einer LGBT-freundlichen Bar fest, offiziell wegen Konsums illegaler Drogen – wobei Betroffene bestritten, Drogen genommen zu haben. Einen Monat zuvor hatte es Festnahmen an einem anderen Ort gegeben, wo sich die LGBT-Szene aufhielt.
Im April 2020, als sich gerade das Coronavirus ausbreitete, drang die Polizei in eine Unterkunft für ausgegrenzte homosexuelle Personen ein und nahm 20 von ihnen fest. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Abstands- und Hygieneregeln. Ein gutes Jahr später erfuhr die Polizei von einer inoffiziellen Trauungsfeier eines schwulen Paares. 44 Personen wurden festgenommen. Ein Video von der Veranstaltung wurde kurz darauf online gestellt.
Zu den Teilnehmern der Feier gehörten auch einige, die nun in einer Unterkunft der Adonai Church leben – für deren Obdach man auch weder Christ sein noch konvertieren muss: »Die ganzen anderen Kirchen glauben nicht, dass Christus auch für homosexuelle Menschen gestorben ist«, sagt Ramathan Kaggwa und lächelt. »Meine Botschaft aber ist: Wir sind eins, wir gehören zusammen. Hier leben wir radikale Inklusion.«
Durch das Fenster dringt Gospelmusik ins Büro des Kirchengründers. In der Adonai Church beginnt der Sonntagsgottesdienst. In einem Zelt hinter der schützenden Mauer ist vorne ein Altar aufgebaut, hinten wird auf einem Keyboard mit Verstärkern so laut gespielt, dass die ganze Nachbarschaft es hören kann. Begriffe wie LGBT oder ähnliches Verräterisches werden in der ganzen Predigt aber nicht fallen. Die Gemeinde trifft zusammen: Sie besteht aus Biba, die eigentlich Muslima ist und ihren Glauben auch behalten will, aber auch Mosha, die sich nun mit Perücke und einem eleganten blau-roten Kleid zeigt.
Vorne beginnt die Predigt einer Pastorin, die Ramathan Kaggwa über die letzten Monate ausgebildet hat. Über soziale Medien wird sie sogar live in die Welt gestreamt. »Wir fühlen uns gesegnet«, sagt sie und schaukelt zur Musik, richtet sich zur Handykamera, die auf einem hüfthohen Ständer vor ihr aufgebaut ist: »Danke, dass Ihr von zu Hause aus die Adonai Church besucht. Jesus Christus ist am Kreuz für uns gestorben und wiederauferstanden. Er hat uns gerettet. Halleluja!«
Den ganzen Sonntag wird eine emotionale Party laufen. Junge Menschen, die nicht mehr Teil der Gesellschaft sein dürfen, bilden hier in einer Gated Community am Rande von Kampala ihre eigene. Sie können sein, wie sie sind. Jedenfalls solange die Polizei nicht weiß, wo sie sind.
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