• Berlin
  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Zermürbungstaktik auf jeder Stufe

Vor allem die SPD behindert den Sozialisierungsentscheid, wo sie nur kann

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wie haben Mieter*innenkämpfe die Enteignungsforderung in dieser Breite überhaupt erst möglich gemacht – und wie werden sie zur Durchsetzung beitragen?« Das ist eine der Fragen, mit der sich die diesen Freitag in den Räumen der Technischen Universität Berlin beginnende Enteignungskonferenz beschäftigen wird. Vor allem ist es aber genau auch diese Frage, die über dem Wirken der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen steht, seit vor vielen Jahren die Idee aufkam, den seit Inkrafttreten des Grundgesetzes dort schlummernden Sozialisierungs-Artikel 15 doch endlich einmal zur Anwendung zu bringen. Und zwar in Berlin an den Beständen renditeorientierter Großvermieter wie der Deutsche Wohnen, die inzwischen vom europaweit größten Vermietungskonzern Vonovia geschluckt worden ist.

Neben CDU und FDP, die zum Teil personell so intensiv mit der Immobilienlobby verwoben sind, dass manchmal kaum auszumachen ist, wo die jeweilige Partei eigentlich aufhört und die Renditeinteressen der Immobilienwirtschaft beginnen, leistet auch die SPD zähen Widerstand gegen jeden Fortschritt bei der Vergesellschaftung Hunderttausender Wohnungen in Berlin.

Aktuell bei der Arbeitsweise der Expert*innenkommission unter Vorsitz der SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin. Die klaren Vorgaben, die die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke gegeben haben, würden von der Vorsitzenden – die eigentlich unparteiisch agieren soll – nicht eingehalten, beklagt die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

Däubler-Gmelin breche den Senatsbeschluss »am laufenden Band«, sagt Kalle Kunkel, einer der Sprecher der Initiative. »Als Vorsitzende plant sie, sich an Abstimmungen zu beteiligen – damit ist sie nicht mehr unparteilich. Das Ergebnis, also die Empfehlung der Kommission, soll ein weiteres halbes Jahr hinausgeschoben werden. Zudem will Däubler-Gmelin die Öffentlichkeit von den Kommissionssitzungen komplett ausschließen«, nennt er einige Beispiele. Auch würden die Informationsrechte der Initiative missachtet. Dass die ehemalige Bundesjustizministerin das Empirica-Institut als »neutrale wissenschaftliche Gruppe« in die Kommission einladen will, obwohl es der Immobilienlobby nahestehe, bewertet Kunkel als »besondere Provokation und Kampfansage an alle Mieter*innen«.

Der Landesvorstand der Berliner Linkspartei hat sich am vergangenen Wochenende ebenfalls mit dem Entwurf der Geschäftsordnung des Expert*innenrats befasst und hierzu einen Beschluss gefasst. Dieser habe einen »klaren Auftrag bekommen, nämlich konkret zu prüfen, wie der Artikel 15 des Grundgesetzes angewendet werden kann«, sagt die Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert. Man erwarte, »dass sich die Kommission dabei selbstverständlich an die mühsam ausgehandelten Vorgaben des Senatsbeschlusses hält«, so Schubert weiter. Dazu gehöre, dass der Rat »im Grundsatz öffentlich« arbeite und die Vorsitzende »neutral und unparteiisch« arbeite – ein Stimmrecht für sie wäre eine Abkehr von der verabredeten Viertelparität der von den drei Koalitionsparteien und der Initiative entsandten Expert*innen.

Es ist bei Weitem nicht die erste Obstruktion, die die Initiative erfährt. Schon die Besetzung der drei der SPD zustehenden Posten in der Kommission mit hochkarätigen Juristen, die sich bereits als Gegner der Sozialisierung positioniert hatten, war einer der Punkte, der für Ärger sorgte. Bereits die Einsetzung eines Rats als Ergebnis der hart geführten Koalitionsverhandlungen, der statt der sofortigen Arbeit an einem Gesetz ein Jahr prüfen sollte, sorgte für großen Unmut bei der Initiative. In seinem damaligen Amt als Innensenator ließ der heutige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) 2019 und 2020 satte 441 Tage verstreichen, bis die Prüfung der Zulässigkeit des Volksbegehrens abgeschlossen war.

»Diese Taktik der Einbindung in Strukturen und gleichzeitige Behinderung der Umsetzung der Vergesellschaftung wirkt sich natürlich auch bei uns aus. Es gibt immer wieder auch sehr intensive Diskussionen bei uns«, berichtet Kalle Kunkel von der Initiative. »Bisher haben wir es in diesen Auseinandersetzungen aber ganz gut geschafft, sie als Weg zu nutzen, um uns zu verständigen. Wir lernen im Gehen«, so das positive Zwischenfazit.

Überrascht vom Vorgehen ist man allerdings nicht sonderlich. »Wir sind in die Kommission in der Erwartung hineingegangen, dass sie dafür da ist, den Prozess zu torpedieren. Wir haben uns entschieden, uns zu beteiligen, um den Gegnern der Sozialisierung etwas entgegenzusetzen – und zwar öffentlich«, sagt der Sprecher von Deutsche Wohnen & Co enteignen. »Wir diskutieren derzeit nicht akut, ob wir aus der Kommission wieder aussteigen. Man muss mit kühlem Kopf auf die Provokationen und taktischen Spielchen reagieren«, so Kunkel weiter.

Für die Initiative gehe es »im Moment nicht darum, ob wir schließlich über einen zweiten Volksentscheid, bei dem über ein ausgearbeitetes Vergesellschaftungs-Gesetz abgestimmt wird, die Enteignung durchsetzen müssen«. Vielmehr setze man darauf, »alle drei Koalitionsparteien an ihre Pflicht zu erinnern, den Volksentscheid, für den sich im September 2021 über eine Million Berlinerinnen und Berliner, fast 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler, ausgesprochen haben, umzusetzen«, sagt Kalle Kunkel. »Wir werden keine Partei da herauslassen. Nicht die SPD, die die Ziele offen torpediert. Aber auch nicht Grüne und Linke, von denen einige es auch ganz gut fänden, dass wir den Kampf wieder zurück auf die Straße bringen, damit sie einerseits ungestört ihrer Regierungsarbeit nachgehen und gleichzeitig eine große Nähe zur Bewegung darstellen können«, kündigt er an.

»Wir als Linke müssen lernen, solche Projekte wie Deutsche Wohnen & Co enteignen stärker in Konjunkturen zu denken«, lautet eine Erkenntnis aus dem Prozess. »Wer soll es durchhalten, jahrelang im maximalen Kampagnenmodus zu bleiben?«, fragt Kunkel. Die Zeit der Kommissionsarbeit will man nutzen. Dieses Jahr bietet die Chance, die Strukturen der Initiative zu konsolidieren und die Mieter*innenorganisierung in den Bezirken zu stützen und auszubauen. »Es geht ja eigentlich darum, den Wohnungskonzernen und ihren Machenschaften etwas entgegenzusetzen, und nicht darum, sich an der SPD abzuarbeiten«, sagt der Aktivist. »Wir haben in den letzten Jahren schließlich eine stadtweit handlungsfähige Organisation aufgebaut. Das ist auch wichtig für die Zukunft. Denn die demokratischen Strukturen, die wir im Wohnungssektor etablieren wollen, werden auch gelebt werden müssen«, so Kunkel.

In Berlin wurden in den vergangenen Jahren wichtige Lektionen im Kampf gegen den scheinbar übermächtigen Gegner Immobilienlobby gelernt, weitere werden noch kommen. Diese Erkenntnisse werden bei der Enteignungskonferenz in die Republik und die Welt hinausgetragen. Stand Mittwoch, zum Redaktionsschluss dieser Seite, haben sich bereits fast 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet.

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