»Wann tun wir endlich was dagegen?«

Ausgerechnet NBA-Trainer Steve Kerr wurde nach dem Schulmassaker in Texas zum wütenden Sprachrohr der Trauernden

Viele Menschen, berühmt oder unbekannt, haben seit Dienstag ihr Entsetzen, ihre Wut oder ihre Trauer über den jüngsten Amoklauf in den USA hinaus in die Welt geschrien, geweint oder gesungen. Die offenbar eindrücklichste, weil vielleicht auch überraschendste Wutrede aber hielt Steve Kerr. Der 56-Jährige ist ein ehemaliger Basketballer, der fünfmal an der Seite von Größen wie Michael Jordan und Tim Duncan die NBA-Meisterschaft gewann und als Trainer drei weitere mit den Golden State Warriors aus Oakland folgen ließ. Parallel wurde er zuletzt auch zum US-Nationaltrainer berufen.

Kerr ist bekannt dafür, recht progressive politische Gedanken auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Er unterstützte die Black-Lives-Matter-Bewegung und kritisierte Donald Trumps Aufstieg zur Präsidentschaft mit Hilfe von Beleidigungen von Frauen und Minderheiten. Doch einen dermaßen emotionalen Ausbruch hat man von dem dreifachen Vater noch nie gesehen. Als Spieler warf er stets kaltschnäuzig einen Dreipunktwurf nach dem anderen in den Korb, als Trainer ist er ein Vertreter des besonnenen modernen Spielerverstehers. Wenn er doch mal aus der Haut fährt, dann höchstens wegen eklatanter Fehlentscheidungen eines Schiedsrichters.

Am Dienstagabend aber, kurz vor Spiel vier der NBA-Halbfinalserie seiner Warriors bei den Dallas Mavericks in Texas, dem Bundeststaat, in dem wenige Stunden zuvor das Massaker an der Uvalde Highschool stattgefunden hatte, konnte sich Kerr bei der üblichen Pressekonferenz nicht mehr zusammenreißen: »Keine Basketballfrage hat heute irgendeine Bedeutung«, begann er. Kerr hatte selbst drei Jahre lang in Texas bei den San Antonio Spurs gespielt und dort zwei seiner fünf Meistertitel gewonnen. Kein Wunder also, warum ihm diese Tragödie offenbar besonders nahe ging.

Doch nicht nur diese: »In den letzten zehn Tagen wurden schwarze Menschen in einem Supermarkt in Buffalo, dann asiatische Kirchengänger in Südkalifornien und nun kleine Kinder in einer Schule ermordet«, sagte Kerr mit tränenerstickter Stimme. Dann musste der Duck raus: Kerr schlug laut mit der Hand auf den Tisch und schrie: »Wann machen wir endlich was dagegen?« Seine Unterlippe zitterte, aus der flachen Hand wurde eine Faust. »Ich bin es so leid, hier immer wieder mein Beileid an Familien aussprechen zu müssen, die am Boden zerstört sind. Ich habe die Schweigeminuten einfach satt. Mir reicht’s!«

Kommentatoren verbanden die Wutrede mit dem Attentat, bei dem Kerrs Vater, ein bekannter Politologe, einst erschossen worden war. Doch diese Tat liegt fast 40 Jahre zurück und passierte mitten im libanesischen Bürgerkrieg in Beirut. Steve Kerr ärgerte sich nun nicht mehr über den Islamischen Dschihad. Nein, es waren 50 US-Senatoren, die sein Blut zum Kochen brachten. Jene von der Waffenlobby unterstützten konservativen Republikaner verhindern eine Abstimmung über ein Gesetz, das Schlupflöcher bei Hintergrund-Checks vor Waffenkäufen schließen will, obwohl angeblich 90 Prozent aller US-Amerikaner genau das wollen. Und so fragte Kerr die Politiker direkt: »Werden Sie ihr eigenes Verlangen nach Macht über das Leben von Kindern, Senioren und Kirchengängern stellen? Denn genau danach sieht es aus. Das ist erbärmlich.«

Jimmy Kimmel, Moderator einer der meist gesehenen Late-Night-Shows im US-Fernsehen sagte später: »Wie sehr alles aus dem Gleichgewicht geraten ist, erkennt man daran, dass der Trainer der Golden State Warriors mehr Führungsstärke und Leidenschaft zeigt als fast jeder republikanische Kongressabgeordnete.«

Kerr hatte nicht nur zu Journalisten und ein paar Politikern gesprochen. Allen, die seine Botschaft hörten – und das sollten dank sozialer Medien binnen eines Tages Hunderte Millionen weltweit werden – redete er noch ins Gewissen: »Wir dürfen nicht abstumpfen! Wir dürfen nach einer Schweigeminute nicht einfach wieder unserem Basketballteam zujubeln.«

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