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Dialog mit dem Mörder
Kann man dem Mörder von Angehörigen verzeihen? Icíar Bollaíns Film »Maixabel« handelt zwar vom baskischen Terrorismus, stellt aber universelle Fragen
Vier Jahre ist es nun her, seit die baskische Terrororganisation ETA am 2. Mai 2018 ihre endgültige Auflösung verkündete. Fast sechs Jahrzehnte lang hatte sie das Leben im Baskenland und in ganz Spanien nachhaltig geprägt und verändert, rund 850 Menschen ermordet, unzählige weitere verletzt und gesellschaftlich tiefe Wunden geschlagen, die noch längst nicht verheilt sind.
Schon lange vor ihrer Selbstauflösung stellten sich in der kleinen nordspanischen Region viele Fragen: Wie soll man damit umgehen, wenn Täter*innen und Opfer auf engstem Raum zusammenleben, sich vielleicht sogar kennen? Was machen, wenn der Etarra (Angehöriger der ETA) der Nachbar ist und nach abgesessener Haftstrafe zurück ins Viertel kommt? Was politisch tun mit den Parteien, die der ETA nahestehen? Wie soll man die Tatsache handhaben, dass viele Etarras gesellschaftlich noch immer zu Märtyrer*innen verklärt werden? Und: Wie blickt man in die Zukunft? Ist es gar möglich, sich die Hand zu reichen und zu verzeihen? Wenn ja – wie viel Reue braucht es dafür?
Es sind schwierige Fragen, auf die es kaum Antwort geben kann, und die das Baskenland noch auf viele Jahre, womöglich Jahrzehnte beschäftigen werden. Icíar Bollaín, eine der bekanntesten Schauspielerinnen und Regisseurinnen Spaniens (»Öffne meine Augen«, »El Olivo«), widmet sich mit ihrem Film »Maixabel« jetzt diesem Thema. Es ist nicht irgendeine Geschichte, die sie erzählt: »Maixabel« beruht auf dem Leben von Maixabel Lasa, deren Ehemann Juan María Jáuregui, Politiker beim baskischen Ableger der sozialdemokratischen Partei PSOE, am 29. Juli 2000 in Tolosa, einem Ort 25 Kilometer südlich von San Sebastián gelegen, ermordet wurde.
Mit dem Schuss in den Hinterkopf in einem Café eröffnet auch der Film. Aber nicht der Mord an sich ist bedeutend, sondern seine Folgen. Als bei Maixabel (Blanca Portillo) das Telefon klingelt, muss sie gar nicht erst abheben, um zu wissen, was geschehen ist; auch ihrer Tochter María (María Cerezuela), die an anderer Stelle Geburtstag feiert, genügt ein Blick ins Gesicht ihrer Tante, um zu verstehen. Im Jahr 2000 ist die Bedrohung durch die ETA im Baskenland allgegenwärtig und sehr konkret. Ein harter Schnitt zeigt den Jubel der drei Etarras, denen es nach dem Mord an Jáuregui gelingt, aus Tolosa zu fliehen.
Zehn Jahre später sind zwei von ihnen, Ibon (Luis Tosar) und Luis Carrasco (Urko Olazabal), bereits seit sechs Jahren im Gefängnis, eine Zeit, die sie zur Reflexion genutzt und sich von der ETA losgesagt haben. Über die Mediatorin Esther (Tamara Canosa) bekommen Ex-Terrorist*innen, die sich vom bewaffneten Kampf distanziert haben, nun die Chance, mit Angehörigen ihrer Opfer in Kontakt zu treten. Diese Treffen, betont Esther, dienen nicht der Absolution der ehemaligen Etarras, sondern sollen den Opfern die Möglichkeit geben, Antworten auf ihre Fragen zu erhalten.
Dass Maixabel wiederum willens ist, sich auf diese Treffen einzulassen, stößt in ihrem Umfeld auf Unverständnis. Die Witwe aber lässt sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. »Wenn ich ihnen ins Gesicht sagen kann, was sie mir angetan haben, tue ich es.« Ihre Situation betrachtet sie nüchtern. Sie sei »zu etwas geworden, das ich mir nicht ausgesucht habe. Ich werde diese Leute nie wieder los. Bis zu meinem Tod.« »Ich stehe mit ihnen auf und ich gehe mit ihnen ins Bett«, sagt Ibon über seine Opfer, wodurch der Film auch seine Reue, sein Schmerz anerkennt – ohne ihn aber mit Maixabels gleichzusetzen.
Ihre Einstellung, ihre Stärke und Verletzlichkeit zugleich, hervorragend gespielt von Blanca Portillo, setzt den moralischen Ton des Films, der nuanciert von Schuld, möglicher Vergebung und dem Versuch, den Schmerz zu überwinden, erzählt. Durch das im Spanischen üblichere Du gibt es im Original auch eine größere Nähe zwischen Opfer und Terroristen als der förmlichere Umgang auf Deutsch suggeriert.
»Maixabel« ist ein ruhig erzählter, eindringlicher Film über persönliche wie kollektive Vergangenheitsbewältigung, den man ohne Vorkenntnisse versteht, weil die Frage um Vergebung auf andere Situationen übertragbar ist. Wer sich allerdings mit der baskischen Geschichte auskennt, versteht seine Komplexität. Denn der ermordete Jáuregui war viele Jahre zuvor nicht nur selbst Teil der ETA gewesen, wie im Laufe des Films klar wird. Er hat sich im Fall Lasa und Zabala auch gegen den Militär und Guardia Civil Enrique Rodríguez Galindo gestellt, einer der Strippenzieher der GAL.
Diese paramilitärische Terroreinheit wurde in den achtziger Jahren von der PSOE-Regierung selbst ins Leben gerufen, um vermeintliche Etarras zu ermorden. Die 20-jährigen Lasa und Zabala waren 1983 ihre ersten Todesopfer. Dass ausgerechnet Jáuregui zu einem Opfer der ETA wurde, zeigt, wie wenig die Terrororganisation ihren eigenen Idealen folgte, sondern lieber diejenigen aus dem Weg räumte, deren Leben zu viele Graubereiche hatte.
Die Geschichte von Maixabel Lasa und der Film »Maixabel« geben Anlass zur Hoffnung, dass vielleicht, trotz allem, zwar keine Aussöhnung (wie auch?), aber eine Annäherung möglich ist. Zumindest, wenn es nach der »echten« Maixabel geht. In einem Interview mit der Tageszeitung »Público« sagte sie vergangenes Jahr über ihr Treffen mit den Mördern: »Ich dachte mir dabei, dass es gut wäre für die zukünftige Koexistenz«, vor allem, da diese Menschen früher oder später aus dem Gefängnis entlassen würden. »Mir fiel eine Last von den Schultern, als ich erfuhr, dass zwei der ETA-Mitglieder, die Juan Mari ermordet hatten, es nicht noch einmal tun würden, wenn sie wiedergeboren würden. Und das ist für mich eine Genugtuung. Wäre es umgekehrt, wenn sie das Gefängnis verlassen und sich für das, was sie getan haben, wie Helden fühlen, wäre das sehr schade und bedauerlich.«
»Maixabel«: Spanien 2021, Regie: Icíar Bollaín. Mit: Blanca Portillo, Luis Tosar, María Cerezuela. 115 Minuten, ab jetzt im Kino.
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